Florian Wünsche - Schauspielerei in Corona-Zeiten

"Die Form der Kunst, die alleine keinen Spaß macht"

Entertainer sind besonders hart von der Corona-Krise getroffen. Schauspieler Florian Wünsche spricht über die Herausforderungen der Krise und sein Projekt "Stift und Papier", wo junge Leute isolierten Menschen im Altersheim Briefe schreiben.

Schauspieler Florian Wünsche (SOKO Stuttgart, Verbotene Liebe) (privat)
Schauspieler Florian Wünsche (SOKO Stuttgart, Verbotene Liebe) / ( privat )

HIMMELKLAR: Ich würde einmal gern einen Monat zurückgehen, als das alles angefangen hat. In was für einer arbeitsmäßigen Situation hat Dich das erwischt? Und was hat sich durch die Corona-Zeit für Dich geändert?

Florian Wünsche (Schauspieler): Ja, tatsächlich war das die spannendste Zeit seit langem. Ich war viel unterwegs, ich habe die Soko gedreht in Stuttgart, war viel in Berlin in Vorbereitung auf ein neues Projekt, dass wir am 24. März begonnen hätten zu drehen im Schwarzwald und im Elsass. Im Vorfeld haben wir dafür sehr intensiv geprobt. Wir hatten viele Meetings und Drehbuchbesprechungen. Es fiel dann alles in sich zusammen.

Ich weiß noch, ich war in Berlin und hatte eigentlich noch den kompletten Montag Zeit für Kostümproben und so weiter. Dann kam ein Anruf aus Stuttgart: "Ok Flo, Du musst heute in den Flieger, weil ab morgen ist der Flughafen dicht." Und da war schon abzusehen, dass das eine knackige Nummer werden wird.

Wir versuchen zu drehen, was drehbar ist, und sind auch von unserem Drehplan abgewichen in dem Moment. Wir drehen ja nicht chronologisch und hatten fünf angeschnittene Folgen, die wir bis dahin produziert haben. Die Maßgabe war bis zum Ende der Woche möglichst zwei sendefähige Folgen noch fertig zu bekommen. Wir haben genau noch den Dienstag gedreht, Mittwochs saß ich in der Maske, bin gerade am Set und da kam dann endgültig die Mitteilung, dass wir dichtgemacht werden.

Das wurde dann relativ schnell abmoderiert, das neue Projekt lag auch noch auf Halde, wobei es aufgrund der logistischen Gegebenheiten im Raum Freiburg gar nicht mehr möglich war irgendetwas zu drehen. Man hat immer noch die Hoffnung, dass wir da irgendetwas zustande bringen, aber die Vernunft war dann auch zum Wohle der Gesundheit zu sagen: "Lasst uns das abbrechen, vertagen oder verschieben." So habe ich das in der Phase empfunden.

HIMMELKLAR: Das heißt aber auch, dass es noch keine Notfallpläne gibt, wann ihr das alles wieder aufgreifen wollt?

Wünsche: Ja, es gibt natürlich grobe Pläne. Jetzt ist es bei uns natürlich so, dass gerade die Mitarbeiter hinter der Kamera aus der gesamten Bundesrepublik zusammengesucht werden, die auch um das Jahr voll zu kriegen, natürlich sehr eng getaktet andere und Folgeprojekte haben.

Wir können jetzt zu dem Zeitpunkt, solange wir keine behördlichen Verifizierungen haben, dass es weitergehen kann, keine Menschen vorblocken. Das wäre auch gar nicht finanzierbar.

Insofern müssen wir à la minute arbeiten. Wenn wir wieder loslegen können, muss erst geschaut werden, dass wir ja auch wirklich jemanden auf der Kamera sitzen haben, dass wir Maskenbildner und Tonangler zur Verfügung haben. Das heißt, absehbar ist es erst, wenn das Go der Behörden kommt und die Produktion ein Team hat. Dann kommen wir erst ins Spiel und dürfen weitermachen.

HIMMELKLAR: Jetzt ist es nicht so, dass Du auf der Couch sitzt und Dich langweilst. Du arbeitest gerade an dem Projekt "Stift und Papier". Da können wir gleich noch einmal drüber sprechen. Was ist denn eigentlich mit Deinen ganzen Kollegen? Wie verbringt man jetzt die Zeit, wenn man schauspielerisch nicht arbeiten kann?

Wünsche: Das ist die Form der Kunst, die alleine keinen Spaß macht. Wir sind keine Musiker, die einfach die Klampfe in die Hand nehmen. Wir können uns nicht vor einen Ton-Klumpen setzen und etwas produzieren. Das betrifft uns alle.

Wir stellen uns ja nicht vor den Spiegel, und spielen uns was vor. Das wäre auch ein bisschen absurd. Da müsste man auch an seiner Psyche ein bisschen zweifeln, wenn es so weit kommt. Ich telefoniere hin und wieder mit einigen Kollegen. Jeder versucht einfach Zeit von der Uhr zu nehmen, sich in Drehbücher reinzulesen, sich soweit vorzubereiten auf den Tag X, wann auch immer er kommt.

Und ansonsten macht der gemeine Schauspieler und seine putzige Familie genau das, was jeder Arbeitnehmer, der gerade betroffen ist von der Situation tut: Lesen, sich vielleicht um den Haushalt kümmern, die alltäglichen Dinge. Da machen wir, glaube ich, als Individuen nicht viel anders als jeder andere auch.

HIMMELKLAR: Also nicht mal schnell vor die Webcam stellen und ein  Wohnzimmertheaterstück spielen?

Wünsche: Tatsächlich gibt es auch solche Sachen. Zum Beispiel die Kollegin Alexandra Kamp hat zusammen mit Francis Fulton-Smith, seines Zeichens Bambi-Preisträger, genau so etwas gerade am Start. Die machen eine Webserie über Zoom, was dann zusammengeschnitten wird und natürlich eine für uns sehr unplanbare Situation ergibt. Das ist dann Improspiel, was aber wahnsinnig toll aussieht. Klar, einige sind in der Hinsicht aktiv, aber natürlich nicht alle.

HIMMELKLAR: Ihr seid ja als Schauspieler in der Regel Freiberufler, das heißt die finanzielle Kiste spielt auch noch mal eine Rolle. Verdienstausfall und so etwas, nicht wahr?

Wünsche: Ja, da könnte man jetzt ganz weit ausholen. Wir sind da wirklich in Gänze nicht wirklich gut integriert in Sozialleistungen. Wir zahlen natürlich ordentlich, kommen aber gar nicht auf die lohnsteuerpflichtigen Tage, die es bedarf um in irgendeiner Form Anspruch vom Staat zu haben.

Klar, die Solo-Selbstständigenhilfe ist ein Thema. Ich habe Glück, dass ich aufgrund des neuen Projekts das Angebot bekommen habe, in Kurzarbeit zu gehen. Insofern muss ich mir keine Gedanken machen. Aber klar, ein Großteil meiner Kollegen, gerade auch an den Theatern, die haben jetzt eine sehr sehr schwierige Zeit vor der Brust. Gerade wenn man an kleinen Bühnen ist, das reicht gerade so, um ein Leben zu bestreiten. Das sollte man auch nicht beschönigen.

Es gibt viele Kollegen, die dann parallel kellnern und im Café arbeiten. Wir sind auch relativ viele, das muss man auch dazu sagen. Ich könnte die Zahl gar nicht beziffern, aber es wird so ungefähr 100.000 bis zu einer viertel Million Schauspieler in Deutschland geben.

Klar, wenn du in einem Theater spielst und parallel noch in einem Café kellnerst, dann sind das beides Jobs, die aktuell nicht ausführbar sind. Kein Geld kommt rein. Und da muss man halt gucken, wie wir aufgefangen werden. Da kann man nur die Daumen drücken und hoffen, dass jeder da auch gut durchkommt, ohne sich auch perspektivisch zu beschneiden, muss man auch mal ganz ehrlich sagen.

Es gibt sicher auch Kollegen, die einen drastischen Schluss daraus ziehen müssen und sagen: "Ok, das ist ein ganz toller Beruf, der sehr viel Leidenschaft erfordert. Und in Leidenschaft steckt nun mal das Wort leiden drin." Die gewisse Leidensfähigkeit ist in der jetzigen Situation auch ausgeschöpft und da kann man nur die Daumen drücken, dass alle durchhalten und soweit finanziell auch durchkommen, dass sie sich den Traum bewahren können, weiterhin an dieser Passion festzuhalten.

HIMMELKLAR: Wir haben es gesagt, Du musst Dich jetzt nicht unbedingt langweilen. Du hast eher zu viel als zu wenig zu tun, weil Du Dich mit ein paar Leuten zusammengetan hast für das Projekt „Stift und Papier“, wo ihr quasi versuchen wollt, zu älteren Menschen in Isolation Kontakt herzustellen, aber auf ganz andere Art und Weise. Kannst Du das erklären?

Wünsche: Ja, "Stift und Papier" ist im Prinzip eine Initiative, gedacht ursprünglich als Aufruf, sich einfach mal Gedanken zu machen, wann man denn das letzte Mal einen guten, alten und ehrlichen Brief geschrieben hat. Sich mit dem Handgelenk bemühen, ein paar Zeilen auf Papier zu bringen. Wir wollten das als Aufruf verstehen und den Menschen, die darauf Lust haben und die Kapazitäten und die Muße spüren, abholen und sagen: "Hey, schreib doch mal einen Brief an jemanden, den du nicht kennst."

Das ist zwar ein Sprung ins kalte Wasser, aber wir wollen Briefkontakte vermitteln. So kann man das verstehen. Wir haben bundesweit einen Aufruf gestartet, mittlerweile gibt es über 15.000 Menschen, die sich bei uns gemeldet haben. Sie wollen einen Brief an jemanden schreiben, der nicht nur von der Kontaktsperre betroffen ist, wie wir es gerade erleben, sondern auch unter einer Besuchssperre leidet. Das betrifft primär die Bewohner in Alten- und Pflegeeinrichtungen und denen wollen wir ein Lächeln ins Gesicht zaubern und haben deswegen dazu aufgerufen.

HIMMELKLAR: Was schreibe ich denn einem Menschen, den ich nicht kenne in so einem Brief?

Wünsche: Das ist eine sehr gute Frage. Das muss jeder für sich individuell natürlich bewerten. Ich glaube, da gibt es kein richtig und kein falsch. Wichtig ist, glaube ich, dass man mit Worten schöne Bilder malt und positive Gedanken formuliert. Man sollte ein Fenster in die Welt öffnen und somit ein bisschen von der Tristesse des Alltags in Zeiten des Lockdowns wegnehmen und einfach etwas Gutes tun.

Wenn man gar nichts über das Gegenüber weiß außer den Vornamen, muss man sich erst einmal ein bisschen porträtieren, damit man sich dem Gegenüber ein bisschen beschreibt, aber grundsätzlich würde ich damit anfangen, dass man sagt: "Hallo ich bin Flo und ich hoffe, dass es Dir gutgeht, liebe Heidi." Da kann man auch gerne mal die Hosen runter lassen und sagen: "Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt einen Brief geschrieben habe."

Und jetzt gucken wir mal, wo das Ganze hinführt. Ich glaube, je offener und transparenter man das macht, ohne sich Gedanken zu machen, wie das das Gegenüber aufnehmen könnte, umso schöner und natürlicher kommt das Ganze. Man sollte aber natürlich darauf achten, das haben wir von einigen Einrichtungen schon erfahren, dass man doch bitte ein bisschen sensibilisiert dahin gehend ist, dass der Empfänger vielleicht nichtmehr so gut lesen und sehen kann. Also am besten groß und leserlich schreiben. Das sind so die Barrieren, die auftauchen. Das ist die Grundidee von "Stift und Papier".

Unter stiftundpapier.org gibt es alle Informationen und da ist alles sehr übersichtlich und knackig zusammengefasst. Da haben wir ein Kontaktformular. Wir haben über 15.000 Menschen, die Briefe schreiben wollen und haben knapp 4.000 Briefe vermittelt.

Das ist eine ungeheure Zahl, aber wir sind natürlich ehrenamtlich unterwegs und wir geben Gas. Wir stoßen technisch hin und wieder an gewisse Grenzen, was wir natürlich auch versuchen parallel zu beheben. Es wird eine Software geschrieben, die das Ganze automatisiert. Im Moment machen wir das alles noch händisch. Das ist noch ein ganz junges Baby und wie Babys halt sind, sie taumeln, sie fallen auch gerne mal um, aber wir pflegen und hegen es und bemühen uns wirklich jedem gerecht zu werden und jeder Nachfrage nachzukommen.

HIMMELKLAR: Respekt dafür, wirklich coole Aktion. Die Abschlussfrage, die ich Dir noch stellen muss und die jeder Mensch in diesem Gespräch beantworten muss: Grundsätzlich auf deine Lebenssituation betrachtet: Was gibt es für Momente, die Dir Hoffnung bringen?

Wünsche: Genau das, was wir gerade tun. Das ist das Bewusstsein, dass man für den Mitmenschen da ist. Dass man sich ein bisschen lösen kann und in der aktuellen Situation sagen kann: "Wir sind gesund, es ist alles gut und wir sind in einem Land geboren, dass sich sehr sehr gut um seine Bevölkerung kümmert." Und darüber hinaus kann jeder kann die Zeit nutzen zum Reflektieren, zu entschleunigen und zurück dahin zu finden, wo wir eigentlich hingehören. Das ist ein großer Haufen Menschen, die füreinander und miteinander da sind. Das gibt mir Hoffnung.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Hinweis:

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.


Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht (MDG)
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