"Für uns ist das eines der Highlights des Jahres", schwärmt Marianne Jung. "Hier werden Natur und Kirche zusammengeführt. Das müsste es viel öfter geben", findet die Seniorin aus Junkersdorf, die sich mit ihrem Mann Helmut etwa eine gute halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes einen Platz in der zweiten Reihe sichert. Mit direktem Blick auf den Altar. "Die Teilnahme ist für uns eine Selbstverständlichkeit; bestimmt 15 Mal waren wir schon mit dabei. Sogar mit Regenschirm haben wir hier schon gesessen." Auf der Wiese mit den vielen Tieren drum herum und dem Klang der Jagdhörner Eucharistie zu feiern – das habe was. Außerdem treffe man immer viele alte Bekannte. "Auf die Messe im Tierpark freuen wir uns das ganze Jahr! Die steht fest in unserem Kalender."
"Katholikentagsflair" konstatiert Ralf König auf den ersten Blick. "Hier kann man ins Weite schauen und seine Nachbarn einfach mal ungezwungen ansprechen." Der 61-Jährige ist ehrenamtlicher Lektor der benachbarten Universitätskirche und singt im Erwachsenenchor von St. Stephan, der Gastgebergemeinde dieser traditionellen Waldmesse. "Die Sonntagsmesse mal außerhalb der sonst üblichen geschlossenen Mauern – das macht etwas mit den Menschen. Sie wirken gleich viel offener und freier", beobachtet König, der mit Enkel Leon gekommen ist. Für den Kleinen ist natürlich im Anschluss an das lange Stillsitzen die Flugschau mit einem Weißkopfadler und Falken die besondere Attraktion, die ihn zu diesem Opa-Ausflug bewegt; Vögel, die der Fünfjährige sonst nur aus seinen Bilderbüchern kennt.
Anzahl der Messbesucher hat sich in 20 Jahren verzehnfacht
Es ist Idylle pur: Zwischen grasendem Damwild, Eseln, Hochlandrindern und Ziegen stolzieren Pfaue, Gänse, Enten und Hühner. Und es ist wie eine Art Familientreffen, weil man sich untereinander kennt und für jede Generation etwas mit dabei ist. In jedem Jahr wird der Lindenthaler Tierpark, dieses Fleckchen unberührter Natur und weitläufiges Areal am Kölner Stadtrand, zum Schauplatz für einen ungewöhnlichen Gottesdienst. Denn seit 20 Jahren lädt die Gemeinde am Ort immer im September zu dieser Open-air-Messe ein, so dass sich über die Zeit eine eigene Fan-Gemeinde gebildet hat, sich die Veranstaltung immer noch wachsender Beliebtheit erfreut und in Spitzenzeiten – wenn die Kapazitäten durch Corona nicht gerade begrenzt sind – knapp 1000 Teilnehmende verzeichnet werden. Initiator Heribert Resch, der die Idee damals aus dem Süddeutschen mitgebracht hat und nach zwei Jahrzehnten Leitung nun die Verantwortung abgeben und in die zweite Reihe treten will, bedauert: "Leider mussten wir diesmal so vielen absagen, die auch noch gerne gekommen wären, aber wegen der geltenden Pandemiebestimmungen durften es eben nur 500 Anmeldungen sein."
Was an Motivation hinter einem solchen Engagement steckt? "Dank und Bitte", bringt es der 82-Jährige auf die Kurzformel. "Es geht darum, für Gottes Schöpfung sehr bewusst zu danken. Und gleichzeitig darum zu bitten, dass sie dem Menschen in ihrer Schönheit erhalten bleibt. Und wo kann man das besser als ausgerechnet hier: mitten im Grünen unter freiem Himmel." Resch freut sich, dass sich die anfängliche Interessentenschar von etwa 60, 70 Waldmessebesuchern mittlerweile mehr als verzehnfacht hat und aus diesem "Heimspiel" der Lindenthaler, wie Resch das nennt, längst ein Selbstläufer geworden ist, der mittlerweile Menschen aus dem gesamten Stadtgebiet und darüber hinaus anziehe.
Anerkennung von Oberbürgermeisterin Reker
Eine Institution geschaffen habe Resch, meint in einem herzlichen Grußwort Oberbürgermeisterin Henriette Reker und würdigt dessen Initiative als "vorbildlich", weil sie dazu beitrüge, "dass unsere Gesellschaft zusammenhält". Eine solche Messe diene "der Selbstvergewisserung unserer Beziehung zur Natur und dazu, ihren Wert wiederzuentdecken". Sie hoffe für die nächsten Jahre und Jahrzehnte auf einen Fortbestand dieser wichtigen Tradition.
Im Einklang mit der Natur leben, sorgfältig und liebend mit den Ressourcen der Schöpfung umgehen und für sie an einem Tag wie diesem danken – das zu tun ist auch der wiederkehrende und eindringliche Appell, den Monsignore Robert Kleine an die versammelte Gemeinde richtet. "Die Verantwortung gegenüber der Schöpfung ist nicht nur ein Thema von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, sondern stellt für Christinnen und Christen eine Verpflichtung dar, die sich aus unserem Glauben an Gott als den Schöpfer dieser Welt ergibt", betont der Kölner Stadt- und Domdechant in seiner Predigt. So müsse auch das Konsumverhalten in der Kirche kritisch hinterfragt und verändert werden.
Kleine: Der menschengemachte Klimawandel ist Realität
"Die Dringlichkeit, in Fragen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit aktiv zu werden, hat sich in den letzten Jahren verstärkt", stellt er fest. Für die Kirche sei die Bewahrung des Lebens und der Schöpfung in ihrer Ganzheit auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. "Es geht für uns als Kirche, als Gemeinden und als Einzelne darum, nachhaltig zu wirtschaften, Mobilität umweltfreundlich zu gestalten und gesellschaftspolitische Verantwortung für die Armen und für die bedrohte Schöpfung wahrzunehmen." Analog zu "Fridays for Future" müsse die Kirche eigentlich eine Bewegung der "Christians for Future" sein. "Das ist uns aufgetragen", sagt Kleine wörtlich. Das Stadtdekanat Köln ist seit einigen Jahren Mitglied der ökumenischen Initiative "Churches for Future – Kirchen für Klimagerechtigkeit".
Eindringlich warnt der Stadtdechant vor den dramatischen Folgen des Klimawandels und einem schon jetzt vorausgesagten Artensterben – besonders im Mittelmeer, da die Welt aktuell auf mindestens drei Grad Erwärmung zusteuere, wie er ausführt. "Der menschengemachte Klimawandel ist Realität." Zunehmend seien seine ökologischen und sozialen Auswirkungen auch in Deutschland zu spüren. Die Lebensmöglichkeiten von Pflanzen, Tieren und den Menschen würden durch den derzeitigen Lebensstil des Menschen geschädigt. Konkret fordert Kleine: "Unsere Gesellschaft muss sich deshalb von Denk- und Handlungsweisen, die in der Vergangenheit auf der Ausbeutung von Menschen, Mitgeschöpfen und natürlichen Ressourcen beruhten, verabschieden."
An die nachfolgenden Generationen denken
Denn jedes dritte Tier werde es absehbar nicht mehr geben, "wenn wir den Schalter nicht umlegen", gibt der Theologe zu bedenken. Um hier einen grundlegenden Wandel zu erreichen, bedürfe es der gemeinsamen Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Als Europa, als Land, als Stadt Köln, als Einzelner könne jeder einen Beitrag leisten. "Nicht mehr lange haben wir die Möglichkeit, die natürlichen Grundlagen für uns und unsere Kinder zu bewahren", erklärt er mit Nachdruck. Vieles lasse sich schon jetzt nicht mehr rückgängig machen. Leidenschaftlich wirbt Kleine: "Denken wir aber an die nachfolgenden Generationen!"
Allein der christliche Begriff „Schöpfung“ mache deutlich, dass es sich dabei um einen Plan der Liebe Gottes handele, wo jedes Geschöpf einen Wert und eine Bedeutung besitze. Zwar könne man forschen und studieren, um dieses "System" mit dem Verstand zu durchdringen und nützliche Dinge wie segensreiche Arzneien und Impfstoffe zu entwickeln. Eine ganz andere Zugangsweise aber sei, sich einfach aufzumachen, um bei einem Spaziergang Wald und Flur zu genießen und das vielfältige Leben von Fauna und Flora zu beobachten. "In unserer Begeisterung und in unserer Freude über diese schöne Welt sind wir dem Geheimnis der Natur mitunter viel näher als in allen Labors dieser Welt", so Kleine.
Beatrice Tomasetti