Katholische Elternschaft Deutschlands für mehr Verantwortung von Kirche und Eltern

"Die Kirche schneidet sich ihren Nachwuchs ab"

Kann Schule die Probleme unserer Gesellschaft lösen? Die Katholische Elternschaft Deutschlands sagt Nein. Deren Bundesvorsitzende, Marie-Theres Kastner, findet, dass die Eltern wieder mehr Verantwortung übernehmen sollten.

Schülerin macht Hausaufgaben / © Pixabay (Pexels)
Schülerin macht Hausaufgaben / © Pixabay ( Pexels )

DOMRADIO.DE: Welche Probleme werden denn aktuell auf die Schule abgewälzt?

Marie-Theres Kastner (Bundesvorsitzende Katholische Elternschaft Deutschlands): Wenn ich die Diskussionen der letzten Jahrzehnte Revue passieren lasse, dann muss ich einfach feststellen: Bei allem, was an gesellschaftlichen Problemen mit Jugendlichen auftaucht – ob das Drogenabhängigkeit ist, ob das Spielsucht ist, ob das sonst irgendwelche Dinge sind – hat man gesagt: Da muss die Schule für sorgen, da muss die Schule Maßnahmen ergreifen, damit das besser wird. Weil man denkt: In der Schule sind die Kinder ja, da müssen Sie ja hin. Wir haben eine Schulpflicht und dann können die Lehrer das allemal miterledigen.

DOMRADIO.DE: Sie schreiben außerdem auch, die gegenwärtige Gesellschaft zeichne sich durch eine Überbewertung schulischer und akademischer Abschlüsse aus? Also ist das das Phänomen "Unsere Tochter muss aber doch Abitur machen" oder was steckt dahinter?"

Marie-Theres Kastner: Wenn Sie mal mit dem ein oder anderen Jugendpsychiater oder Familientherapeuten reden, dann werden Sie diese These immer bestätigt bekommen. Es gibt heute so eine Tendenz "Wenn ich mein Kind zum Abitur gebracht habe, dann habe ich meine Erziehungsziel erreicht." Das ist natürlich immer wieder auch durch Studien befeuert worden. Die Kinder müssen einen besseren Abschluss haben als die Eltern – unsere Kinder sollen es besser haben. Das bezieht sich ganz oft auf Schule und schulische Leistungen. Dieser Anspruch setzt die Kinder, aber auch die Eltern unter Druck. Das darf man nicht vergessen.

DOMRADIO.DE: Was wäre der bessere Weg?

Marie-Theres Kastner: Der bessere Weg wäre, einfach zu beobachten: "Wo steht mein Kind? Wo sind die Neigungen meines Kindes? Wo sind die Fähigkeiten meines Kindes?" Ob mein Kind hinterher mit Abitur als Finanzbeamter beim Finanzamt sitzt oder ob mein Kind vielleicht als gestaltender Handwerker arbeitet – finanziell ist das jetzt nicht das Schlimmste.

DOMRADIO.DE: Und auf das Glücklichsein kommt es am Ende an. Mischen sich die Eltern da auch zu viel in die schulische Erziehung ein?

Marie-Theres Kastner: Wir hatten gestern bei unserer Vorstellung des Papiers eine sehr interessante Diskussion zu dem Thema. Auf der einen Seite gibt es die Eltern, die sie bei Tag und Nacht wecken können und die immer wissen, wo ihr Kind gerade in welchem Fach welchen Unterrichtsstoff hat. Dann gibt es die Eltern, die sagen: "Ich gebe mein Kind in der Schule ab und jetzt macht mal was draus." Ich glaube, der gesunde Mittelweg ist immer der vernünftigste. Natürlich sollen Eltern sich kümmern und sollen sich auch mit ihren Fähigkeiten in das Schulleben einbringen. Das ist ein Dreieck: Eltern, Lehrer, Kinder. Aber sie sollen sich auch nicht zu viel einmischen. Je älter die Kinder und Jugendlichen werden, desto weniger wollen sie, dass die Eltern sie so streng an die Hand nehmen und ihnen keine Freiräume lassen.

DOMRADIO.DE: Ein bisschen mehr Zurückhaltung wäre also ein Tipp und etwas mehr Gelassenheit. Digitalisierung ist ein weiteres großes Thema, sie findet auch im Klassenzimmer statt. Wie sollte der Unterricht 4.0 an der Schule aussehen?

Marie-Theres Kastner: Zunächst bin ich der Meinung, dass wir uns erst einmal überlegen müssen, was Digitalisierung überhaupt heißt. Was wollen wir mit Digitalisierung? Wie sehen die pädagogischen Konzepte aus? Ich habe im Moment die Befürchtung, dass es nur darum geht, möglichst viele Laptops anzuschaffen. Nach dem Motto: "An unserer Schule gibt es W-Lan und je mehr Laptops und Computer wir haben, desto besser ist die Schule ausgestattet." Das hat mit dem Unterricht und mit der Qualität des Unterrichts überhaupt nichts zu tun.

DOMRADIO.DE: In unserer religiös vielfältigen Gesellschaft heute: Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach Schulen in katholischer Trägerschaft? Das Erzbistum Hamburg plant, aus Sparmaßnahmen sechs Schulen zu schließen. Was sagen Sie dazu?

Marie-Theres Kastner: Das Erzbistum plant das nicht nur, das ist bereits geschehen. Es ist nicht so, dass das nicht stattfinden würde. Von den acht Schulen, deren Schließung geplant war, haben sechs einen Schließungsbeschluss und zwei einen Moratoriumsbeschluss bekommen. Wir sind als Elternschaft natürlich total dagegen. Das haben wir gestern auch sehr deutlich betont. Wir wollen eine Vielfalt an Schulformen. Wir wollen aber auch eine Vielfalt an Trägern. In Hamburg haben die katholischen Schulen eine ganz besondere Bedeutung für das kirchliche Leben der Erzdiözese: Dort sind nämlich zuerst die Schulen gewesen und dann die Kirchen. Ich bin der Meinung, dass die Kirche sich selber beschneidet, wenn sie Kindergärten und Schulen aus Geldgründen schließt. Man muss an solche Sachen anders herangehen und andere Prioritäten setzen. Wenn die Kirche in Kindergärten und Schulen nicht mehr präsent ist, dann verliert sie den Kontakt zu den jungen Familien, den Kindern und Jugendlichen. Sie schneidet sich selbst ihren Nachwuchs ab.

Das Interview führte Verena Tröster.


Marie-Theres Kastner / ©  KED (KNA)
Marie-Theres Kastner / © KED ( KNA )
Quelle:
DR