Die Lage der Christen im Irak spitzt sich zu

"Die Aussichten sind äußerst düster"

Der Irak kommt nicht zur Ruhe. Die Islamistengruppe Isis steht kurz vor Bagdad, viele Menschen sind auf der Flucht und die Christen sind in großer Sorge. Berthold Pelster von der Hilfsorganisation Kirche in Not berichtet im domradio.de-Interview über die schwere Situation der Christen im Irak.

Einfach schrecklich - die Lage von Christen im Irak (DBK)
Einfach schrecklich - die Lage von Christen im Irak / ( DBK )

domradio.de: Wie stellt sich aktuell die Situation für die Christen im Irak dar?

Pelster: Aus Mossul, einer Millionenstadt mit fast drei Millionen Einwohnern, sind fast alle Christen geflohen, weil die Lage so bedrohlich ist. Aber natürlich sind nicht nur Christen geflohen, sondern auch Muslime. Etwa eine halbe Millionen Menschen sollen auf der Flucht sein. Aber die Christen trifft es natürlich besonders hart, weil sie eine kleine Minderheit sind und im Grunde genommen immer schutzlos sind in so einem Land.

domradio.de: Jetzt wird ja auch berichtet, dass die Lage in Bagdad sehr unruhig ist, weil die Terroristengruppe Isis knapp vor der Stadt steht. Wie verhalten sich denn die Christen in Bagdad?

Pelster: In Bagdad gibt es gar nicht mehr so viele Christen, weil die schon vor einigen Jahren von dort weggegangen sind, geflüchtet sind, weil es dort schon sehr sehr lange harte Auseinandersetzungen gibt zwischen den verschiedenen Strömungen und Richtungen im Islam. Es ist ja so, dass die Christen im Grunde genommen zwischen allen Stühlen sitzen. Was wir in vielen islamischen Ländern sehen, dass ist ja ein blutiges, brutales Ringen um die Vorherrschaft zwischen unterschiedlichen Fraktionen und Konfessionen, vor allem zwischen Sunniten und Schiiten. Die Christen als winzige Minderheit sind eigentlich eine unbeteiligte Gruppe, aber geraten immer wieder in diese Gefechte und Kämpfe hinein und werden zum Teil auch gezielt angegriffen von religiösen Extremisten.

Insgesamt ist im Irak die Lage für die Christen sehr dramatisch. Früher hat es dort vielleicht einmal 1,5 Millionen Christen gegeben - vor 20, 30 Jahren. Davon ist nur noch ein kleiner Rest übriggeblieben. Schätzungen sagen, dass es vielleicht noch 400.000 Christen sind. Manche sagen auch, dass es nur noch 300.000 sind. Das wäre ein Minus von 80 Prozent innerhalb weniger Jahre.

domradio.de: Also eine wirklich schockierende Zahl. Schon der Arabische Frühling ist größtenteils zuungunsten der Christen verlaufen. Nun taucht die Isis im Irak auf. Wie groß ist die Gefahr, dass im Nahen Osten bald gar keine Christen mehr leben werden?

Pelster: Die Abwanderung in den letzten Jahrzehnten war extrem. Man kann sagen, dass weltweit etwa 35 Millionen Christen leben, die arabisch als Muttersprache sprechen. Aber von diesen 35 Millionen Christen leben etwa 20 Millionen im Exil, also irgendwo im Westen. Die meisten in Lateinamerika. Nur noch knapp die Hälfte, also 15 Millionen, leben überhaupt noch im Nahen Osten, und der Exodus ist ungebrochen. Also es geht weiter, die Menschen haben Angst vor Anschlägen, sie leiden unter alltäglichen Diskriminierungen. Jetzt kommen neue Bewegungen durch den sogenannten Arabischen Frühling, den man besser als Arabischen Umbruch bezeichnet, hinzu. Die Brutalität der Auseinandersetzungen ist sehr stark gestiegen und die Zukunftsaussichten sind einfach nur düster. Bischof Nona hat zum Beispiel gesagt, die Sprache, die jetzt gesprochen wird, sei die Sprache der Gewalt. Die Aussichten sind äußerst düster, und von daher wird der Exodus wahrscheinlich weitergehen.

domradio.de: Jetzt könnte man ja sagen, im Irak ist eine konkrete Bedrohung. Da könnten ja die USA genauso konkret antworten, zum Beispiel mit einer Militärintervention. Aber wenn man den Meldungen glauben kann, dann sind auch die Christen von so einer Option nicht unbedingt begeistert.

Pelster: Es gibt zum Beispiel den Erzbischof Sleiman aus Bagdad, ein römisch katholischer Bischof, der gesagt hat, die Internationale Gemeinschaft solle nicht in diesen Konflikt eingreifen. Ich vermute, dass seine Sorge ist, dass der Westen im Zweifel eher seine eigenen Interessen verfolgen wird. Und meine eigene Einschätzung ist, dass der Westen auch überfordert ist. Das hat ja die Irakintervention der USA gezeigt. Der Westen ist gar nicht in der Lage, diese hochkomplexe Situation irgendwie zu einer besseren zu bewegen.

domradio.de: Wie können wir denn in Deutschland den Christen im Nahen Osten oder im Irak helfen?

Pelster: Was diese Christen auf jeden Fall brauchen, das ist ein Gefühl, dass sie nicht alleingelassen werden. Sie sind in ihren Ursprungsländern eigentlich eine kleine Minderheit, die ohne Rückhalt in der Bevölkerung ist. Niemand nimmt ihre Interessen wahr. Niemand interessiert sich für sie. Sie sind also alleingelassen, dürfen aber von der Weltgemeinschaft der Christen nicht alleingelassen werden. Das ist unsere erste Aufgabe, dass wir Kontakt halten zu diesen Menschen. Wir von Kirche in Not tun das, indem wir für diese Menschen beten, wir uns für ihr Schicksal interessieren, und da wo es auch möglich ist, humanitär helfen. Zum Beispiel den christlichen Flüchtlingen oder dort, wo eine Kirche in die Luft gesprengt worden ist, dass man versucht das wieder herzustellen, dass die Menschen auch wirklich dort auch eine Heimat behalten.

Das Interview führte Mathias Peter.