Die Lage der koptischen Christen ist prekär

"Viele wollen nur noch ins Ausland"

In Kairo ist es zu den schlimmsten Auseinandersetzungen seit dem Ende der Mubarak-Herrschaft gekommen. Ausgangspunkt war offenbar eine friedliche Demonstration koptischer Christen, die auf ihre Situation aufmerksam machen wollten.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

10.000 Christen und Muslime waren am Sonntagabend gemeinsam auf die Straße gegangen. Sie wollten mit einem Sitzstreik vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens auf eine wachsende Gewalt radikaler Muslime gegen Christen und koptische Kirchen aufmerksam machen. Unklar blieb, wer für die Eskalation der Gewalt verantwortlich war und wer die Opfer sind.



Fest steht, dass der Druck auf die Kopten, die rund 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zugenommen hat. Mehr als 100.000 von ihnen hätten das Land seit dem Sturz der Regierung Mubarak im März verlassen. Diese Zahl nannte Ende September die "Egyptian Union for Human Rights". Dabei seien sie eine "wirtschaftliche Säule des Landes", so der Direktor der Organisation, Naguib Gabriel. Die Christen reisten nicht freiwillig aus, sondern würden durch Einschüchterungen von fundamentalistischen Salafisten und aufgrund fehlenden Schutzes durch die Regierung dazu gezwungen. Vor allem die junge Wirtschaftselite unter den Kopten packe die Koffer.



Nicht erfüllte Hoffnungen

Auch für deutsche Menschenrechtler steht fest: Die Hoffnungen der ägyptischen Revolution auf Freiheit und Menschenrechte haben sich bislang kaum erfüllt. Die Vorgehensweise des Militärs habe sich wenig verändert, berichtete der Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Martin Lessenthin, vor wenigen Tagen bei einer Informationsrunde in Köln.



Die Diskriminierung der Kopten zieht sich wie ein Krebsschaden durch die ägyptische Gesellschaft. Neu sei nun aber, dass in dem derzeitigen Schwebezustand neben den fundamentalistischen Muslimbrüdern auch extremistische Islamisten, die Salafisten, immer populärer würden, berichtete Lessenthin. Bei ihnen bleibe es häufig nicht bei Protesten auf Plakaten und Demonstrationen vor irchen, so der Vorwurf des koptischen Menschenrechtlers Medhet Klada. Er sammelt Bilder von Opfern gewalttätiger Übergriffe. Darauf sind abgeschnittene Ohren und geschundene Körper zu sehen.



Ein wesentlicher Grund für die Gewalt liegt laut Lessenthin aber nicht allein in der Religion: Die Minderheit büße als Sündenbock für Entwicklungen, die man den USA oder den Europäern ankreidet. Der regierende Militärrat kümmere sich nicht um die Gewaltexzesse religiöser Eiferer.



"Die Leute haben inzwischen Angst in die Kirche zu gehen"

Eine weitere Zuspitzung befürchtet der Ägyptenexperte Fouad Ibrahim. Der emeritierte Professor für Sozialgeografie prophezeit für den Ausgang der Wahlen im November eine islamistische Regierung. Einen "Gottesstaat" mit der Scharia will er nicht ausschließen. "Alle islamistischen Strömungen zusammen werden wahrscheinlich 70 Prozent bekommen", schätzt Ibrahim. Die liberalen Parteien hätten kaum eine Chance. Auch an eine angemessene koptische Vertretung im Parlament sei nicht zu denken. "Zuletzt hat man die Wahlkreise vergrößert, damit die Stimmen der kleinen christlichen Wohngebiete untergehen", erklärt Ibrahim.



Stärkste islamische Kraft sind derzeit die Muslimbrüder. Sie profitieren von ihrer Erfahrung als Opposition unter Mubarak. An die Möglichkeit einer moderaten konservativ-islamischen Regierung, wie sie der Westen erhofft, will Ibrahim nicht glauben. "Alle islamistischen Gruppierungen haben angekündigt, miteinander zu kooperieren. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Salafisten einen moderaten Weg zulassen werden."



Die Angst der ägyptischen Christen vor dem Ergebnis der Wahl erfährt der koptisch-orthodoxe Bischof in Deutschland, Anba Damian, täglich. "Die Leute haben inzwischen Angst in die Kirche zu gehen", berichtet er aus den vielen Emails, die ihn täglich erreichten. Auf dem Arbeitsmarkt würden Christen jetzt noch krasser benachteiligt. Gerade die jungen Kopten glaubten nicht mehr an eine Verbesserung: "Die christliche Jugend sieht keine Zukunft mehr in Ägypten. Viele wollen nur noch ins Ausland."