DOMRADIO.DE: Wie sehen die Hilfen von Kirche in Not in Haiti aus?
Florian Ripka (Geschäftsführer "Kirche in Not"): Die Hilfe läuft schon, weil wir ja in einer Dauerbeziehung stehen mit den Ortskirchen in Haiti. Wir konnten 500.000 Euro schnell in den Budgets frei räumen und schnell auszahlen. Das sind jetzt vor allem einmal Zahlungen an Priester und Ordensleute, damit sie ihren Dienst weiter verrichten können. In Haiti ist es so, dass es kaum funktionierende staatliche Strukturen gibt, ganz besonders in der Gegend, in der das Erdbeben am heftigsten war. Jérémie, Les Cayes und die anderen betroffenen Orte sind oft auch schon ohne größere Katastrophen von der Umwelt abgeschnitten, einfach weil dort die Infrastruktur so schlecht ist. Die einzige Institution, die dort funktioniert, ist die Kirche. Wenn jemand zum Beispiel ein Auto braucht, um einen Verletzten ins Krankenhaus zu bringen, läuft das über die Kirche. Das heißt, wir finanzieren längst die kirchliche Infrastruktur vor Ort und verstärken das jetzt natürlich. Wir müssen jetzt unkompliziert die ersten Hilfen auszahlen und im nächsten Schritt können wir dann größere Projekte im Wiederaufbau angehen. Weil aber Korruption in Haiti ein großes Problem ist, müssen wir da ganz genau hinsehen. Das heißt, wir zahlen jetzt erst einmal schnell Hilfen an die Kirchen, an die Leute direkt aus. Und für die nachfolgenden größeren Projekte stimmen wir uns eng mit den Entscheidern vor Ort und den Bischöfen ab.
DOMRADIO.DE: Sie leisten Ihre Hilfe also über die kirchlichen Strukturen – was wissen Sie über Ihre lokalen Partner, wie stark sind die Zerstörungen in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen?
Ripka: Die sind enorm. Wir haben zum Beispiel aus Jérémie Nachricht bekommen, dass dort auch die Häuser mehrerer Priester eingestürzt sind und diese jetzt erst einmal wie alle anderen auch auf der Straße leben. Von dort erreichen uns Bilder von aufgespannten Sonnenschirmen, unter denen die Leute liegen, unter denen ganze Familien liegen.
Kommunikation ist ein großes Problem. Es gab das Gerücht, dass Kardinal Langlois, der auch aus dieser Gegend kommt, in seinem Haus verschüttet worden sei. Das war Gott sei Dank nicht der Fall. Er konnte gerade noch herauslaufen, aber sein Handy war noch im Gebäude, wurde mit verschüttet und er ist seitdem nicht erreichbar. Auch die Festnetztelefone funktionieren nicht richtig. Also ist es im Moment ein Riesenproblem, überhaupt an Informationen von vor Ort zu kommen. Eine der ersten Aufgaben ist also auch, die Kommunikation wiederaufzubauen. Die Lage ist insgesamt katastrophal; die Seelsorger stehen vor einer Herkulesaufgabe, die Leute kommen jetzt mit all ihren Sorgen zu ihnen, das ist ja auch gut so.
DOMRADIO.DE: Materielle Hilfe ist das eine – aber viele Menschen sind ja sogar noch von 2010 traumatisiert und nun wieder so hart getroffen. Wie kann man, wie können Sie diese Betroffenen auch seelisch unterstützen?
Ripka: Das ist ja der Kernauftrag der Kirche, sich um die Leute zu kümmern, ihnen Hoffnung zu vermitteln. Die Betroffenen merken: Da sind Priester, da sind Ordensleute, die hören zu, die geben so etwas wie einen Mittelpunkt, um den sich die Menschen scharen können. Außerdem wissen die Leute, dass die Solidarität unter Christen groß ist und dass viel Hilfe kommen wird. Im Moment geht es darum, die Zeit zu überbrücken, bis die Hilfe richtig anläuft. Und wir von Kirche in Not sind ja nicht allein, da sind noch eine ganze Reihe anderer Hilfswerke, die jetzt viel möglich machen wollen. Aber das dauert seine Zeit; jedes Hilfswerk steht für sich vor der Problematik, in einem absolut maroden Land und System zu agieren. Da ist höchste Sorgfalt geboten, damit keine Gelder verloren gehen oder dahin gelangen, wo sie nicht hingehören. Deswegen ist es jetzt gerade wichtig, dass in dieser Übergangszeit Menschen vor Ort sind bei den Menschen. Die Kirche ist vor Ort und wir von Kirche in Not unterstützen sie. Das ist jetzt das Wichtigste, dass Kirchenleute einfach da sind, dass sie Gespräche führen, Nähe vermitteln, Glaube, Hoffnung und Liebe. Dass sie auch Gottesdienste feiern. Dass sie also den Kernauftrag der Kirche erfüllen.
DOMRADIO.DE: Kirche in Not ist schon seit langer Zeit in Haiti aktiv – was sind da Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Ripka: Haiti wird immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht. Wir hatten ja vor elf Jahren das große Erdbeben, danach kamen diverse Hurrikans. Da leisten wir natürlich immer Aufbauhilfe. Aber wir investieren nicht nur in Steine, wie wir immer sagen, sondern auch in Menschen. Das heißt, wir unterstützen zum Beispiel die Ausbildung von Priestern, die sich dann oft zu einer Art Dorf-Manager entwickeln. Weil sie als Kirchenleute meist die ersten Ansprechpartner sind, wenn es Probleme gibt, wenn etwas benötigt wird; wenn jemand irgendwo hingefahren werden muss. Es gibt niemanden anders. Das heißt, uns ist wichtig, dass die Priester und Ordensleute vor Ort optimal ausgebildet sind; im theologischen Sinne, aber auch im praktischen. Dass sie eben wissen, wie man eine Organisation führt, wie man managt, wie man schnell helfen kann. Es gibt in Haiti schlichtweg niemand anderen.
Das Gespräch führte Katharina Geiger.