Die Maximilian-Kolbe-Stiftung thematisiert den Umgang mit Gewalt

"Auschwitz ist das Epizentrum Europas"

Als Symbol für Grausamkeit stand Auschwitz im Mittelpunkt eines fünftägigen Workshops der Maximilian-Kolbe-Stiftung, der am Sonntag zu Ende ging. Kirchenvertreter aus acht europäischen Nationen besuchten das ehemalige Lager, um sich exemplarisch mit dem Leid von Auschwitz zu konfrontieren.

Autor/in:
Inga Kilian
 (DR)

Oswiecim liegt im Süden Polens. Rund 40.000 Menschen leben in der kleinen Stadt, die auf eine 800-jährige Geschichte zurückblickt. Doch die wenigsten der rund eine Million Besucher, die jedes Jahr hierher kommen, interessieren sich für die Stadtgeschichte. Denn Oswiecim ist weit mehr als eine polnische Kleinstadt: Oswiecim ist Auschwitz.

Rund 1,3 Millionen Menschen wurden hier während des Zweiten Weltkriegs von den Nationalsozialisten systematisch vernichtet. Juden, Polen, Sinti und Roma, russische Kriegsgefangene und zigtausende andere Menschen kamen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ums Leben. «Auschwitz», sagt der Direktor der heutigen Gedenkstätte, Piotr Cywinski, «ist das Epizentrum Europas». Die Geschichte aller europäischen Nationen sei aufs Engste verknüpft mit diesem Ort. Und wie kein anderer auf der Welt symbolisiere er, zu welch teuflischen Taten Menschen fähig seien.

Allgegenwärtige Gewalterfahrungen
«Die zahlreichen Gewalterfahrungen Europas im 20. Jahrhundert lassen sich ohne die Auseinandersetzung mit Auschwitz nicht verstehen», sagt der Vorsitzende der Maximilian-Kolbe-Stiftung, Jörg Lüer.

Gewalterfahrungen, die für viele der Teilnehmer allgegenwärtig sind. «Erst vor wenigen Wochen gab es wieder gewalttätige Ausschreitungen zwischen Protestanten und Katholiken in Belfast», erzählt Nicola Rooney, die für die Kommission Justice and Peace (Gerechtigkeit und Frieden) der Irischen Bischofskonferenz arbeitet. «Der Prozess der Versöhnung ist seit dem Friedensabkommen in Nordirland 1989 zwar auf politischer Ebene vorangeschritten, aber die Gewalt ist noch immer Teil unserer Gesellschaft», sagt sie. Ein Bild, das dies symbolisiere, seien die sogenannten Friedensmauern in Belfast. In einigen Stadtvierteln seien sie noch immer unverzichtbar, um Katholiken und Protestanten voneinander zu trennen. In den vergangenen Jahren seien sogar noch weitere Mauern hinzugekommen.


Unversöhntes Bosnien-Herzegowina
Auch Bosnien-Herzegowina ist 15 Jahre nach Ende des Krieges «noch weit entfernt davon, ein versöhntes Land zu sein», sagt Marko Antonio Brkic, Direktor des Instituts für Interreligiösen Dialog in Sarajevo. Zu tief seien die Gräben zwischen den ethnischen Gruppen - orthodoxen Serben, muslimischen Bosniaken und katholischen Kroaten -, die sich in den Kriegsjahren von 1992 bis 1995 bekämpften. Für die Menschen in Bosnien-Herzegowina sei der Krieg keine ferne Vergangenheit, sondern noch sehr greifbar.

Weiter weg, aber ebenso schwierig sei die Auseinandersetzung mit der Rolle, die Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg spielte. Von den 12.000 Juden in Sarajevo etwa hätten nur 1.000 den Krieg überlebt, erzählt Brkic. Trotzdem sei dies im Land «überhaupt kein Thema» und werde mit keinem Wort erwähnt - obwohl es bosniakische Einheiten gegeben habe, die auf Seiten der SS an der Vernichtung beteiligt gewesen seien.

«Den Opfern ihre Würde zurückgeben»
Die konkrete Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Auschwitz treffe ihn tief, sagt Brkic: «Man kann das nur verstehen, wenn man wirklich hier war.» Mit Tränen in den Augen blickt er, der selbst Familienvater ist, auf den Berg von Kinderschuhen und kleinen Koffern, die an die jungen Opfer erinnern.

Brkic beeindruckt der Versuch, «den Opfern ihre Würde zurückzugeben». Indem ihr Schicksal benannt werde, seien sie nicht länger unzählige namenlose Opfer, sondern einzelne Menschen. Nachdenklich stimme ihn jedoch die Frage, ob die Menschheit Lehren aus den grauenhaften Verbrechen gezogen habe: «Wenn man sich die Geschichte unseres Landes und das Massaker von Srebrenica anschaut, muss man fürchten, dass niemand etwas gelernt hat.»

Europäische Kernerfahrung Auschwitz
Dennoch, so das Fazit von Organisator Jörg Lüer: «Ohne das Verständnis der europäischen Kernerfahrung Auschwitz werden wir die Verletzungen der verschiedenen europäischen Gesellschaften nicht verstehen. Wenn wir die Verletzungen nicht verstehen, werden wir einander nicht verstehen. Und ohne dieses Verständnis werden wir auf lange Sicht kein tragfähiges, gutes Europa bilden können.»