Die niederländische Kirche versuchte aus der Krise zu kommen

Die Stille nach dem Dialog

Der Dialogprozess der deutschen Katholiken weckt bei vielen Niederländern Erinnerungen an eine ähnliche Veranstaltung.

Autor/in:
Jan Peeters
 (DR)

Die "Landelijk Pastoraal Overleg" sollte das Vertrauen zwischen Hierarchie und Basis sowie zwischen einander entfremdeten kirchlichen Lagern kitten. Es dauerte lange, bis die Teilnehmer in der letzten Runde unter dem Titel "Evangelisierung in einem Klima des Dialogs" zu einer Versöhnung in Verschiedenheit fanden. Bis dahin lagen fast drei Jahrzehnte Konsultationen hinter ihnen. Und vor ihnen eine ungewisse Zukunft.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) war eine überfromme Kirche in Rebellion geraten. Von 80 Prozent Kirchgängern im Jahr 1960 waren 1985, zur Zeit des Besuchs von Johannes Paul II. in den Niederlanden, nur noch 15 Prozent übrig (heute sind es kaum 6 Prozent). Zu einer Wegmarke wurde am 8. Mai 1985 eine kirchenkritische Kundgebung in Den Haag: Tausende Katholiken wollten der Welt ein "anderes Gesicht der Kirche" zeigen. Die "Acht Mei Beweging" war geboren, ein Vorläufer der deutschen "Kirche von unten".

Zuvor hatte Papst Johannes Paul II. versucht, Anfang 1980 mit einer Sondersynode über "Die pastorale Situation in den Niederlanden" die Probleme der Kirche zu lösen. Doch das Treffen konnte nicht den Gegensatz einebnen, dass es einerseits progressive Bischöfe gab wie Huub Ernst von Breda, Jan Bluijssen in "s Hertogenbosch und Bernard Möller in Groningen, andererseits konservative Kollegen wie Jo Gijsen und seinen damaligen Weihbischof Jan ter Schure in Roermond, Ad Simonis von Rotterdam und später Utrecht, Hennie Bomers in Haarlem.

Anschluss an die Welt vernachlässigt
Das hatte zur Folge, dass etwa Jungpriester gleich von welchem Seminar kaum akzeptiert, eher isoliert und vor allem ignoriert wurden. Der damalige Priesterseminar-Leiter Gerard de Korte - heute Bischof von Groningen-Leeuwarden - appellierte damals an ältere Priester, ihre Vorurteile gegenüber den jungen Mitbrüdern aufzugeben. Der spätere Kardinal Simonis wiederum warnte romtreue Jugendliche davor, sich in die aus seiner Sicht zu liberalen kirchlichen Organisationen einbinden zu lassen: "Sie machen euch fertig."

Die harte, bisweilen gehässige Kritik an der Kirche, ihrer Lehre und Moral, dem Zölibat und anderen heißen Eisen, die sich nach dem Konzil breitmachte, war schon unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg abzusehen. Erst 1853 hatte die katholische Kirche der Niederlande ihre bischöfliche Hierarchie zurückerhalten. Hinter ihr lagen - seit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648 - drei Jahrhunderte Benachteiligung. Den Rückstand galt es aufzuholen. Die Katholiken bauten Hunderte Kirchen, Klöster, Schulen und organisierten eine Pastoralstruktur von der Wiege bis zur Bahre. Dabei wurde zwar in Rekordzeit eine äußerlich mächtige Kirche errichtet, aber der Anschluss an die Welt vernachlässigt. Spirituell konnte die Kirche nicht im selben Tempo mitwachsen.

Und heute Grabesstille
Das betrachteten schon vor dem Zweiten Weltkrieg katholische Intellektuelle mit wachsender Sorge. 1947 warnten einige, die Generation, die jetzt getauft und gefirmt werde, werde in einigen Jahrzehnten massenhaft die Kirche verlassen. Ähnlich sah das ein junger polnischer Priester, der ebenfalls 1947 die Niederlande besuchte und in seinem Tagebuch das Defizit an innerer Überzeugung bei den Gläubigen beklagte - es war Karol Wojtyla.

Die Kirche nach dem Konzil fand sich in Polarisierung gelähmt. Die Pastoraltagungen, die von 1973 an stattfanden, stellten sie Anfang 90er-Jahre jedoch vor eine neue Realität: Katholische Organisationen wollten weiter katholisch sein, wussten aber nicht, was das bedeuten sollte. Es galt schlicht, "Gott wieder auf die Agenda zu setzen". Dies wurde zum Startpunkt für Gespräche zwischen verfeindeten Brüdern und Schwestern.

Die fünfte und letzte Runde der Pastoraltagungen endete 1998; die neu gefundene Entspannung nahm der "Acht Mei Bewegung" schließlich den Grund für ihren Protest, und auch die Generation eines rigiden Katholizismus war veraltet. Danach wurde es still. In den 90er-Jahren hatte Kardinal Simonis seine lebhafte und sehr disparate Gemeinde noch mit einer "Schubkarre voller Frösche" verglichen. Kurz nach seiner Emeritierung 2007 fragte er, ob die neue Stille nicht eine Grabesstille sei.