Liebesschmerz in detailfreudiger Inszenierung

Die Oper "La Bohéme" im Staatenhaus

Schon das liturgische Programm ist für die Kinder der Domchöre zu Weihnachten stramm genug. Trotzdem sind 50 Mädchen und Knaben der Dommusik auch noch bei der beliebten Winteroper von Puccini mit dabei. Ein Augen- und Ohrenschmaus.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Hier zu den schönsten Bildern!

Dem lang gezogenen "Oh…" folgt spontaner Beifall. Als zum zweiten Akt die Scheinwerfer das prächtige und dicht gedrängte Bühnenbild des Pariser "Quartier Latin" auf Knopfdruck erleuchten, ist ein Aha-Effekt garantiert. Das überraschte Publikum belohnt so viel Einfallsreichtum, die Kulisse wie ein Suchbild mit immer wieder neu zu entdeckenden Details zu entwerfen, mit begeisterter Zustimmung. So soll Oper sein: ein Fest der schönen Stimmen, aber eben auch eines für die Augen, die sich an üppigem Dekor erfreuen und in dem vorgegebenen Zeitfenster gar nicht alles erfassen können, was sich da in den Straßen der Seine-Metropole am Weihnachtsabend tummelt. Denn das bietet "La Bohéme" überreich in den von Altmeister Michael Hampe inszenierten Bildern zu dieser Puccini-Oper: akribische Kleinarbeit, an der man sich kaum satt sehen kann. "Sprechende Bilder", wenn man so will, die eine wunderbare Hintergrundfolie für das Komödiantische, aber auch Hochdramatische dieses italienischen Musiktheaters liefern.

Schon in den Vorjahren – das ist nun die zweite Wiederaufnahme – war diese Interpretation von Regisseur Hampe, der einst für eine erfolgreiche Intendanz an der Oper Köln stand und sich 2015 über 80-jährig noch einmal dieses Regieauftrags angenommen hatte, mit großem Wohlwollen von den Kölnern aufgenommen worden. Nicht zuletzt hatte damals diese Inszenierung mit einer Auslastung von 98 Prozent für eine der erfolgreichsten Produktionen der Opernsaison gesorgt.

Fröhliche Weihnachtsstimmung im Quartier Latin

Die Ausstattung dieser Momentaufnahme einer bunten und mit prallem Leben gefüllten Straßenszene im berühmten Pariser Künstlerviertel ist aber auch nicht zu toppen: Vor dem Café "Momus", wo die Tische auf dem Gehsteig überfüllt sind, die Erwachsenen in eleganten Roben mit ihren Kindern an den Händen flanieren und fliegende Händler mit Handkarren ihre Waren – Zuckerwatte, Bratäpfel, Orangen und Maronen, kleine Sperlinge und Kokusmilch – feilbieten, spielen auch Straßenkinder. Sie tollen zwischen den Erwachsenen herum, verfolgen amüsiert die Aufführung eines Kasperletheaters oder lassen sich von den vielen reizvollen Spielzeugen, die ebenfalls zum Verkauf stehen und eine verführerische Anziehungskraft auf die Kleinen ausüben, in den Bann ziehen.

Inmitten dieser so liebevoll komponierten Szene konzentriert sich zwischendurch aber dennoch das Spiel auf die vier zwar mittellosen, aber dennoch unbeschwert feiernden Künstler Rodolfo, Marcello, Colline und Schaunard sowie ihr gemütliches Beisammensein mit Nachbarin Mimì. Mit ihr vertreibt sich das Quartett die Zeit und genießt es, in der engen "Ruelle" mit ihren unzähligen Verlockungen, die sich die wenig erfolgreichen Bohémiens angesichts der geringen Einkünfte ihres Berufsstandes kaum leisten können, in Gesellschaft zu sein. Schließlich vermischen sich die Vier in ihrer Festtagsstimmung mit dieser fröhlichen Menge, mit der sie nur scheinbar ein von Alltagssorgen befreites Leben teilen.

Hohes Maß an Disziplin gefordert

Attraktiver Bestandteil dieses zweiten Aktes sind zweifelsohne die 25 Mädchen und Knaben der Dommusik, die in ihren typischen Winterkostümen mit Schal, Mützen, Kniestrümpfen, halblangen Hosen und Internatsuniformen aus der Zeit um 1920 lange mit der Regieassistentin Eike Ecker, die auch diesmal wieder die Einstudierung nach Hampes Vorgaben übernommen hat, auf den reibungslosen Ablauf ihres Spiels hingearbeitet haben.

Das bedeutet, in dem Gewimmel der Protagonisten, der vielen Statisten und erwachsenen Chorkollegen alle besprochenen Hinweise eins zu eins umzusetzen, immer wieder die verabredete Position einzunehmen und trotzdem das Dirigat von Constantin Trinks nicht aus dem Blick zu verlieren. In der Summe eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, deren Bewältigung von den jungen Sängerinnen und Sängern höchste Konzentration erfordert, letztlich aber der Schlüssel zu diesem wundervollen Gesamteindruck ist, der diese Szene bis in die kleinsten Nischen und Winkel des Trottoirs so außergewöhnlich berührend macht.

Insgesamt sind es 50 Kinder der Domchöre in je zwei Besetzungen, die auch diesmal wieder an der "Bohéme" im Deutzer Staatenhaus beteiligt sind und bis Mitte Januar noch sieben Aufführungen stemmen. "Die Koordination ihres Gesangsauftritts mit den von Hampe vorgegebenen Abläufen erfordert ein hohes Maß an Disziplin und viel Motivation", erklärt Chorleiter Eberhard Metternich zur Einstudierung. Mit Übe-CDs und Noten konnten sich alle Mitwirkenden zunächst selbständig auf ihren Part vorbereiten. Die ersten Proben mit ihm und Chorleiterkollege Oliver Sperling fanden aber schon schnell parallel dazu statt.

Authentische Inszenierung mit entzückenden Details

"Es ist schon sehr inspirierend, wie viel Mühe der Regisseur für jedes noch so kleine Detail aufgewendet hat, wie durchdacht sein Konzept ist, so dass erst aus der Summe aller dieser Puzzlesteine dieses wunderschöne Gesamtbild entsteht", kommentiert Sperling die vielen mit den Kindern sorgsam einstudierten Posen, Bewegungen und Gesten. Die einzelnen Gruppen des Kinderchores, die an sehr unterschiedlichen Stellen der Bühne als Gassenbuben stehen, in ihren Schuluniformen streng dreinschauenden Ordensfrauen folgen oder als sogenannte "Backfische" – mit diesem kaum noch gebräuchlichen Begriff bezeichnet das Libretto die älteren unter den Mädchen – an Tischen sitzen, sind dazu angehalten, sehr lebendig zu agieren und überaus präzise den Regieanweisungen zu folgen, damit die Handlung auch plausibel wird. Dass die Kinder den Zapfenstreich der Wachparade nachstellen – auch das eine Idee des Regisseurs – und sich Felix aus dem Kölner Domchor als kleiner Solosänger dem Drängen seiner Opern-Eltern widersetzt und doch unbedingt das hölzerne Spielzeugpferd ergattern will, gehört dabei ebenso zu den wirklich entzückenden Feinheiten einer sonst nach klassischem Verständnis authentischen Inszenierung dieser "Bohéme".

Mitwirkung trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei

Auch wenn diese Oper bereits in diesem Jahr für die Kinder der Dommusik die fünfte in Folge ist und sich mutmaßlich eine gewisse Routine einstelle, seien die jungen Sänger bei dieser Produktion noch einmal ganz besonders gefordert, betont Sperling angesichts der anspruchsvollen Regie. Es sei eine Erfahrung, an der jeder nur reifen könne. "Die bewährte Zusammenarbeit mit der Oper macht allen immer große Freude. Gerade darum wollen die Kinder es auch besonders gut machen und zeigen, dass sie sich gerne fordern lassen", ergänzt Metternich. Die Mitwirkung bei solchen Projekten trage wesentlich zur Erweiterung des musikalischen Horizontes und zur Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Chormitglieds bei. "Immer lautet die Qualitätsmaxime", so Sperling, " die jeweils eigene Rolle zu beherrschen, aber auch alles andere drumherum – eben den Gesamtablauf –  nie aus den Augen zu verlieren und dabei ‚mehrgleisig’ zu fahren." Das bedeute – gerade für die Jüngsten – allerhöchste Konzentration auf alle erfolgten Regiehinweise und eine verinnerlichte Mitverantwortung an der Gesamtaktion. Und das in einem rasend schnellen Tempo.

Inhaltlich bietet "La Bohéme", eine der beliebtesten Opern der Musikgeschichte, genau den Stoff, aus dem große Dramen gemacht sind. Der arme Poet Rodolfo und die feinsinnige Blütenstickerin Mimì spüren sofort, dass sie für einander geschaffen sind. Doch das zarte Band ihrer Liebe ist harten Prüfungen ausgesetzt. Nicht nur, dass die prekären Lebensumstände kaum ein "Happy end" in Aussicht stellen, einer tödlichen Krankheit kann auch die größte Liebe nichts entgegensetzen. Diese Geschichte eines unkonventionellen Paars im pittoresken Künstlermilieu von Paris hat Giacomo Puccini zu einem Werk angeregt, das geradezu beispielhaft für die Faszination Oper steht: ein bewegendes Drama zum Mitleiden, erzählt mit viel Herzschmerz, packender Musik und unvergesslichen Arien.


Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Hans-Jörg Michel (Oper Köln)
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Hans-Jörg Michel ( Oper Köln )

Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Hans-Jörg Michel (Oper Köln)
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Hans-Jörg Michel ( Oper Köln )

Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Hans-Jörg Michel (Oper Köln)
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Hans-Jörg Michel ( Oper Köln )

Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Szene aus der Oper "La Bohéme" / © Beatrice Tomasetti ( DR )