Tuchindustrie und Nadelfabriken bestimmten die Stadt. Und soziale Not. Das Industriezeitalter des 19. Jahrhunderts prägte auch Aachen an der belgischen und niederländischen Grenze. Die hageren Kinder in zerlumpten Kleidern, die auf der Straße ihr Dasein fristeten, ließen einer jungen Frau aus wohlhabendem Haus keine Ruhe: Clara Fey entwickelte sich zu einer Aktivistin gegen die Verelendung. Die im vergangenen Jahr seliggesprochene Ordens- und Schulgründerin starb vor 125 Jahren - am 8. Mai 1894 - mit 79 Jahren.
Aus Claras Kinder- und Jugendzeiten stammt der Begriff "Klenkes", der den verkrümmten kleinen Finger der rechten Hand bezeichnet, der sich bei vielen Einwohnern fand. Ursache der Missbildung war das monotone "Ausklinken" fehlerhafter Exemplare bei der Nadel-Produktion. Immer öfter ersetzten Maschinen die Arbeit der Menschen. Mit 15 Jahren erlebte Clara Fey, wie Arbeiter sich in einem Aufstand gegen den Job-Verlust wehrten. Familien brachen auseinander, Kinderprostitution nahm zu. Claras Familie selbst besaß eine Spinnerei und war gut betucht. Aber was sich rundherum abspielte, ging der jungen Frau nahe.
Von versammelten Straßenkindern zum Waisenhaus
So fertigte sie Mäntel für Bedürftige an. Mit 22 Jahren gewann Clara drei Freundinnen für die Idee, "ein Schülchen" anzufangen. Mit etwas Essen und Kleidung "motivierten" sie Straßenkinder, Lesen und Handarbeiten zu lernen. Bald wurde der angemietete Raum wegen der wachsenden Schülerzahl zu klein, und es folgten mehrere Umzüge. Die Häuser entwickelten sich zu einer Art Waisenhaus.
In dieser Zeit wuchs unter den Betreuerinnen der Wunsch, um ihre karitative Arbeit herum auch eine geistliche Gemeinschaft zu gründen. Am 2. Februar 1844 gründeten sie die "Kongregation der Schwestern vom Armen Kinde Jesus". In dem heute fremd klingenden Namen drückt sich ihre Spiritualität aus: Im göttlichen Kind Jesus erkennen die Schwestern die verelendeten Kinder wieder.
Die Gemeinschaft zog mehr und mehr Frauen an. 1864 verzeichnete sie 25 Häuser. Um die soziale Arbeit zu finanzieren, suchten die Schwestern nach Einnahmequellen. In Stick-Ateliers fertigten sie Messgewänder an, aber auch profane Decken, die selbst beim preußischen Königshaus Anklang fanden. Wirtschaftlichen Erfolg hatten sie zudem mit Krippenfiguren aus Wachs.
Auf der Suche nach einer neuen Wirkungsstätte
Schwierige Zeiten begannen für die Kongregation mit dem Kulturkampf im Kaiserreich. Die Schwestern mussten die Schulen schließen und sich außerhalb von Deutschland neue Wirkungsstätten suchen. Das Mutterhaus verlegte Clara aus Aachen in das nahe niederländische Simpelveld. Mit dem Ende des Kulturkampfes kehrten die ersten Schwestern 1887 wieder nach Deutschland zurück.
Ihren Tod fand Clara Fey in Simpelfeld, in einem Lehnstuhl in ihrem Zimmer. Auf dem Klosterfriedhof dort wurde sie beigesetzt. Ihr damaliger Wohnraum ist erhalten geblieben und in einem Museum zu sehen. Inzwischen befinden sich Claras Gebeine aber wieder am Ursprungsort der Ordensgemeinschaft; 2012 wurde der Sarg nach Aachen gebracht - 134 Jahre nach Claras Ausweisung aus Preußen.
Rund 450 Schwestern zählt die Kongregation heute, die in zwölf Ländern wirken. Während der Orden in Europa unter Mitgliedermangel leidet, erlebt er in Entwicklungsländern wie Indonesien Zuspruch. Auch heute gebe es viele Sozialwaisen, denen ihre Gemeinschaft eine Heimat bieten wolle, betont die aus Luxemburg stammende Generaloberin Henriette Mensen.
Ein Höhepunkt für die Gemeinschaft war die Seligsprechung am 6. Mai 2018. Der Prozess dazu hatte mehr als hundert Jahre - seit 1916 - gedauert. Am Tag nach der Seligsprechung wurden die Reliquien Claras von der Bischofsgruft im Aachener Dom in die Kind-Jesu-Kapelle in der Jakobstraße übertragen. Dort befindet sich das ehemalige Mutterhaus, in dem auch die Generalleitung wieder ihren Sitz hat. Und dort soll Clara nun ihre endgültige Ruhe haben.