Die Protestbewegung mobilisiert in Frankreich nur wenige Menschen

Keine Revolte im Land der "Empörten"

Während in der ganzen Welt Menschen gegen die Macht der Banken auf die Straße gehen, konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Franzosen auf die Vorwahl der Sozialisten. Ihr Sieger Hollande wird nun zu einem Spagat gezwungen.

Autor/in:
Martina Zimmermann
 (DR)

Obwohl in Frankreich Arbeitslosigkeit herrscht wie in Spanien oder den USA, mobilisiert die Protestbewegung gegen die Finanzwelt nur wenige. Nur zu Hunderten demonstrierten die Franzosen am vergangenen Samstag in Paris und der Provinz - und das im Land des "Empört Euch"-Autors Stéphane Hessel. Am Aktionstag der Gewerkschaften gegen die Sparpolitik der Regierung in der vergangenen Woche zählte die Polizei gerade nur einige zehntausend Protestler - vergleichbar wenige für französische Gewerkschafts-Kundgebungen.



Dagegen häufen sich in Frankreich individuelle Verzweiflungstaten. Am Montagmorgen nahm ein 44-jähriger in Paris die Direktorin eines Arbeitsamtes als Geisel. Nach vier Stunden Verhandlungen gab er auf. Der Mann sucht seit Monaten eine Arbeit und wollte auf seine hoffnungslose Lage aufmerksam machen.



In Beziers in Südwestfrankreich übergoss sich am vergangenen Donnerstag eine Lehrerin vor ihren Schülern mit Benzin und zündete sich an. Die Frau starb an ihren Verletzungen, ihre Kollegen streikten gegen den starken Druck, den Lehrer heutzutage im Beruf ausgesetzt sind. In der Woche davor wurde ein Eisenbahnkontrolleur von einem Fahrgast mit dem Messer angegriffen. Seine Kollegen streikten daraufhin mehrere Tage.



Sarkozy am unteren Ende der Beliebtheitsskala

Präsident Sarkozy befindet sich seit Wochen am unteren Ende der Beliebtheitsskala. Dass er als Krisenkapitän durch die Welt eilt, um den Euro und damit die Europäische Währungsunion zu retten, verfolgen die Franzosen mit einer gewissen Distanz. Seit Premierminister François Fillon eine Sparpolitik infolge der Krise verkündet hat, stehen die Franzosen Griechenlandhilfen mehrheitlich skeptisch gegenüber.



Vor einem Jahr noch waren sie für Solidarität - in der Hoffnung, dass Deutschland die Kosten dafür übernehme. Unmut und Unzufriedenheit brodeln im Land, aber bisher reicht das nicht zu einer Protestbewegung.



Bei der Vorwahl der Sozialisten zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr spielt Kritik an Banken und Finanzmärkte indes eine wichtige Rolle. Aller Voraussagen zum Trotz begeisterten sich die Franzosen für die erstmalig stattfindende Vorwahl. Fünf Millionen verfolgten die Fernsehdebatten der sechs Kandidaten am Bildschirm, mehr als bei den beliebtesten Fernsehserien. Eine Million Teilnehmer an der Vorwahl hätte die Partei als Erfolg gewertet, letztendlich gingen fast drei Millionen zu den Urnen.



Hollande wird zu einem Spagat gezwungen

Schließlich setzte sich der Favorit François Hollande durch. Doch die Überraschung nach dem ersten Wahlgang war Arnaud Montebourg. Er kritisierte das System der Fünften Republik. Vor allem aber tritt er für eine "Entglobalisierung" ein. Nach Jahrzehnten liberaler Ideologie ist die "démondialisation" plötzlich kein Schimpfwort mehr.



Zum Wahlversprechen des Präsidentschaftskandidaten François Hollande gehört zwar, die Staatsverschuldung bis 2017 auf Null zu bringen. Hollande wird nun aber zu einem Spagat gezwungen: Er muss seine sozialdemokratischen Sparpolitik mit den Forderungen des linken Flügels seiner Partei vereinbaren. Dieser will Geld der Besserverdiener in ein Wirtschaftsprogramm stecken.



Zudem muss Hollande die Linksfront aus Kommunisten und abgesprungenen Sozialisten für sich gewinnen - diesem Block sagen Meinungsforscher im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl bis zu acht Prozent voraus. Die rechtsextreme Marine Le Pen, Tochter des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen, liegt in Umfragen bei bis zu 17 Prozent.



Die Revolte wird in Frankreich bisher eher von Parteien getragen. Die "Empörten" melden sich als Kandidaten bei allen Wahlen, von der lokalen bis zur nationalen Ebene. Doch um in politische Ämter zu kommen, müssen sie eine große Hürde überspringen: das französische Mehrheitswahlrecht.