Die Protestmethoden der Milchbauern stehen in der Kritik

"Lebensmittel wirft man nicht weg"

Erzbischof Thissen: Ethisch problematisch - Die Mehrheit der Deutschen zeigt Verständnis für seit mehr als einer Woche laufenden Streiks und Proteste von Milchbauern.

 (DR)

Auch Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer versicherte den Bauern am Mittwoch seine Solidarität, forderte aber die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher forderte einen höheren Milchpreis, kritisierte aber, dass die Bauern aus Protest Milch wegschütten. Auch Kirchenvertreter verurteilten dieses Vorgehen. Generalvikar Theo Paul aus Osnabrück stärkt den Milchbauern allerdings den Rücken. "Obwohl auf die Notwendigkeit von fairen Preisen hingewiesen wurde, wurden die Hilferufe in den letzten Monaten einfach nicht ernst genommen." so Paul im domradio-Interview.

Der Bischof der Nordelbischen Kirche, Hans Christian Knuth, forderte einen verantwortungsvollen Umgang mit Nahrungsmitteln. Allerdings müsse in diesem Konflikt auch die schwierige Lage der Bauern berücksichtigt werden. «Das Vernichten von Lebensmitteln ist ein katastrophaler Verzweiflungsakt, der die Landwirte selbst wohl am meisten schmerzt», sagte Knuth.

Auch der Hamburger Erzbischof Werner Thissen sagte: «Ich halte die Vernichtung von Lebensmitteln ethisch für ebenso problematisch wie den enormen Preisdruck, der auf die Bauern ausgeübt wird.» Er sehe den Handel und die Molkereien aber in der Pflicht, die Milchproduzenten angemessen zu bezahlen.

Für schnelle Verhandlungen zwischen Erzeugern und der Milchindustrie zur Lösung des Milchboykotts sprach sich der kirchliche Agrarexperte Rudi Job aus. Viele Existenzen seien gefährdet, wenn die Bauern keinen kostendeckenden Preis für die Milch erhielten, sagte der frühere Agrarbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland dem epd. Die deutschen Landwirte hätten auf ihre schwierige Situation mit einem Lieferstopp aufmerksam machen müssen. Der Theologe bezeichnete es als problematisch, dass Milchpreiserhöhungen bis zu 30 Prozent im vergangenen Jahr nicht bei den Produzenten angekommen seien.

Das Wegschütten oder das Verderben tausender Tonnen Milch in Tanklastern sei ethisch bedenklich, sagte Job, der den Europäischen Arbeitskreis für Landfragen leitet. Er appellierte an die Bauern, direkt zu vermarkten. Die Verbraucher sollten bei den örtlichen Erzeugern einkaufen.

Die deutschen Milchbauern haben ihre Aktionen für höhere Milchpreise vor den Zentralen der deutschen Einzelhandelskonzerne am Mittwoch ausgeweitet. Schwerpunkte der Proteste seien Aldi in Essen und Mülheim, Edeka in Hamburg und Norma in Fürth, teilte der Deutsche Bauernverband (DBV) in Berlin mit. Die Demonstrationen der Bauern mit ihren Traktoren hatten am Dienstagabend vor der Rewe-Unternehmenszentrale in Köln begonnen.

«In den laufenden Verhandlungen mit den Molkereien muss der Lebensmittelhandel jetzt unverzüglich die im April vorgenommenen Preissenkungen korrigieren», forderte DBV-Präsident Gerd Sonnleitner. Nach Angaben von Sonnleitner haben sich Milchbauern und Molkereien am Sonntagabend verständigt, kostendeckende Milcherzeugerpreise beim Lebensmitteleinzelhandel durchzusetzen. Dies sei auch angesichts der dramatischen Kostensteigerungen marktorientiert und notwendig. «Die Verträge von April 2008 sind völlig überholt und müssen neu abgeschlossen werden», sagte Sonnleitner.

Die Bauern fordern einen Basispreis von 43 Cent pro Liter Milch. Derzeit werden durchschnittlich 28 Cent gezahlt. Die Bauern sehen sich dadurch in ihrer Existenz bedroht.

Das Anliegen der Landwirte trifft in der Bevölkerung offenbar auf große Zustimmung. In einer am Mittwoch vorab veröffentlichten Umfrage des Hamburger Magazins «stern» erklärten 88 Prozent der Deutschen, sie hätten Verständnis dafür, wenn der Milchpreis um zehn Cent stiege. Diese zehn Cent müssten allerdings den Milchbauern zugutekommen. Lediglich neun Prozent sagten, sie hätten für höhere Preise kein Verständnis.

Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) warnt derweil vor einer Abhängigkeit von Milch-Importen aus dem Ausland. «Wie problematisch solche Abhängigkeiten für eine Volkswirtschaft sein können, erleben wir bei der Energieversorgung», sagte Seehofer der «Passauer Neuen Presse» (Mittwochausgabe). Faire und kostendeckende Preise für die Bauern seien im allgemeinen Interesse. «Nur wenn die Milchbauern existieren können, vermeiden wir, dass wichtige Rohstoffe für die Lebensmittelproduktion aus dem Ausland bezogen werden müssen», sagte er.

Die seit mehr als einer Woche laufenden Streiks und Proteste von Milchbauern haben bei den betroffenen Molkereien Millionenschäden verursacht. Wie die «Bild»-Zeitung (Mittwochausgabe) berichtete, bezifferte der Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbands (MIV), Eberhard Hetzner, die bisher entstandenen Schäden auf «sicherlich 50 Millionen Euro». Sie seien unter anderem durch Produktionsausfälle verursacht worden.

Von den Streiks und Blockaden seien fast die Hälfte der rund 110 Molkereien in Deutschland betroffen gewesen, sagte Hetzner dem Blatt. Die Lage habe sich aber entspannt. «Es gibt kaum noch Blockaden von Molkereien. Ab Mittwoch, spätestens Donnerstag läuft alles wieder reibungslos», versicherte er.