Müde vergräbt Catalina ihr Gesicht in den Händen. Seit 15 Tagen ist sie in Europa unterwegs, um ihre Geschichte zu erzählen. Madrid, Genf, in Brüssel ein Treffen mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, jetzt eine Pressekonferenz in Bonn. Zu berichten gibt es viel: Catalina ist erst 19 Jahre alt, trotzdem hat sie mehr furchtbare Dinge erlebt als andere in ihrem ganzen Leben - als Kindersoldatin der kolumbianischen FARC-Rebellen.
Jetzt ist sie unterwegs, um für Frieden zu werben. "Alto el Fuego" (Waffenstillstand): So heißt ein Dokumentarfilm, der Catalinas bisheriges Leben und das ihres gleichaltrigen Leidensgenossen Manuel nachzeichnet. Sie teilen nicht nur ihre Vergangenheit bei kolumbianischen Guerilla-Verbänden, sondern auch ihre verlorene Kindheit. Eine weitere Gemeinsamkeit: Manuel und Catalina treten unter Pseudonymen auf. Ihre Identität bleibt verborgen.
Die Gesellschaft Kolumbiens ist tief gespalten
"Wir müssen die Jugendlichen wieder in die Gesellschaft eingliedern", sagt Rafael Bejarano. Der Salesianerpater ist Direktor der "Ciudad Don Bosco" in der kolumbianischen Stadt Medellin. Sein Orden betreibt dort ein Schutzprogramm für ehemalige Kindersoldaten. Der Dokumentarfilm und die Reise mit Manuel und Catalina sollen Aufmerksamkeit für das Projekt bringen. Die Gesellschaft Kolumbiens ist tief gespalten. Noch kurz vor dem historischen Friedensvertrag Ende 2016 stimmte etwa die Hälfte der Bevölkerung gegen eine Aussöhnung mit den Rebellen.
"Mein Stiefvater hat mich im Suff mit brennenden Holzscheiten geschlagen", erzählt Catalina im Film. Er versuchte außerdem, Catalina zu vergewaltigen. Ihre Mutter glaubte der damals 13-jährigen nicht. Trost suchte sie in Drogen. Nach einem Suizidversuch schloss sich die junge Kolumbianerin schließlich den Guerillakämpfern der FARC an. "Auf was habe ich mich da eingelassen?" - Dieser Gedanke schoss ihr damals als erstes durch den Kopf.
Guerilla als einziger Ausweg
Auch Manuel kam aus freien Stücken zur Guerilla. "Die Kinder und Jugendlichen sind leichte Beute", weiß James Areiza, der das Schutzprogramm für Kindersoldaten koordiniert. "Sie verlassen ihr Zuhause und sehen als einzigen Ausweg die Guerilla." Manuel war acht Jahre alt, als er und sein Bruder in ihrer armen Familie keine Perspektive mehr sahen und Reißaus nahmen. "Wir haben uns der Guerilla aus Neugier angeschlossen", berichtet er. "Man wird zu einer Waffe. Am Ende ist es normal, jemanden zu töten."
Im Schutzprogramm werden die Jugendlichen in einem Drei-Stufen-Programm wieder an ein normales Leben herangeführt: "Zuerst müssen wir Vertrauen aufbauen", erklärt Koordinator Areiza. Danach wird mit Hilfe von Ausbildungsprogrammen eine Perspektive für den weiteren Lebensweg aufgezeigt. Im dritten Schritt sollen die traumatisierten Ex-Guerillas wieder an einen normalen Alltag herangeführt werden.
Ein Leben ohne Angst
Die Tätowierungen auf Manuels Knöcheln erinnern an lateinamerikanische Gang-Abzeichen. Die militärisch organisierten Guerillas sind nicht weniger zimperlich als die berüchtigten Mafiabanden: Als sich Manuels Bruder nicht an die strengen Regeln hielt, wurde er von seinen Kameraden ermordet. "Ich durfte mich noch von ihm verabschieden", erinnert sich Manuel in der Dokumentation. "Pass auf dich auf, hat er gesagt."
Heute wünscht sich Manuel eine Zukunft als Ingenieur. Eine Ausbildung als Metallbauer hat er bereits abgeschlossen. "Ich möchte lernen, wieder an kleinen Dingen Freude zu haben", sagt der 19-jährige. "Ich wünsche mir ein Leben ohne Angst." Catalina will Krankenschwester werden.
Kolumbien ist nach Erkenntnissen der Salesianer das einzige Land in Amerika, in dem es noch Kindersoldaten gibt. Im Rahmen des Friedensprozesses in Kolumbien haben sich die Teilnehmer auf die Demobilisierung der minderjährigen Kämpfer geeinigt. "Wir hoffen, dass die Regierung und die FARC diesen Punkt einhalten", sagt Pater Bejarano. Auf 100 weitere Zugänge ist die Ciudad Don Bosco in Medellin vorbereitet - damit 100 junge Erwachsene wie Manuel und Catalina von einer Zukunft ohne Gewalt träumen können.