domradio.de: Ihr Bericht macht auch eine Ursache für diese Entwicklung aus, die ich gerade beschrieben habe. Welche?
Kalinski: Wir sind der Meinung, dass die unsoziale und auch einseitige Sparpolitik der EU die wesentliche Ursache für die zunehmende Armut in Europa ist.
domradio.de: Griechenland hat in den letzten Jahren fast 200 Millionen an Hilfen bekommen. Kritiker sagen, diese Hilfe kommt nur den Banken zu Gute und gar nicht der Bevölkerung. ist das auch Teil Ihrer Kritik?
Kalinski: Auf jeden Fall muss man mal feststellen, dass nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank in den USA die Wirtschafts- und Finanzkrise auch auf Europa übergegrffen hat. Und es gab damals sowohl Stimulus-Programme für die Wirtschaft und auch für die Arbeitsmärkte in Höhe von 200 Milliarden Euro, aber es gab eine Intervention zur Rettung der Banken, die 22 mal größer war. Also, das Bankensystem wurde vor dem Zusammenbruch gerettet und durch diese Rettungsmaßnahmen haben sich viele europäische Staaten horrend verschulden müssen. und an diesem Schuldenberg knapsen die noch heute, zum Teil sind einige in eine Spirale gekommen, dass sie in eine immer weitere Verschuldung hineingeraten. Und das muss durchbrochen werden. Und wenn Sie jetzt sagen, ist das nur den Banken zu Gute gekommen: Zum großen Teil ja, aber es musste auch einfach das Staatsdefizit ausgeglichen werden, damit bestimmte Zahlungen überhaupt aufrecht erhalten werden konnten. Und die Frage ist, was macht man mit dem Geld? Investiert man in ökonomisches Wachstum, in die Schaffung von Arbeitsplätzen? Oder ist man einfach nur dabei, die Daumenschrauben immer weiter anzuziehen und weiter zu sparen?
domradio.de: Ich formuliere das mal anders: Verknüpft sind ja mit diesen Hilfen von den internationalen Geldgebern, wie Sie auch gerade formuliert haben, Auflagen, also Sparmaßnahmen. Also zum Beispiel die Entlassung von Beamten aus dem Staatsapparat. Was ist denn die Alternative zu diesem Weg, den ja auch die internationalen Geldgeber vorschlagen und verlangen, nämlich zunächst mal den Haushalt in Ordnung zu bringen und dann, wie es heißt, der Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen?
Kalinski: Ich glaube, dass es inzwischen auch bei den Geldgebern, beim IWF zum Beispiel, die Erkenntnis Bahn bricht, dass es so nicht geht. Das Wirtschaftswachstum sinkt immer weiter, die Staatsverschuldung steigt. Ich glaube, man hätte es nicht der Reihenfolge nach, sondern zugleich machen müssen. Man muss Sparmaßnahmen einleiten, aber zur selben Zeit auch investieren, in nachhaltiges Wirtschaftswachstum und auch, da muss man gucken, wenn man so viele Leute entlässt, dass man da nicht auch die Sozialprogramme, dass man da nicht auch Bildung und Gesundheit mit Gebühren belegt. So schreiet die Armut und die Ungleichheit voran. Das ist ja ein Phänomen, die zehn Prozent der reichsten Leute haben noch mehr gewonnen im Zuge der Krise und die Einkommensverteilung, die Schere, geht immer weiter auseinander. #00:03:46-9#
domradio.de: Das Problem, das Sie angesprochen haben, wurde in Brüssel beim IWF schon erkannt. Und deswegen wird jetzt auch beispielsweise überlegt, wie man was gegen Jugendarbeitslosigkeit tun kann. Wäre das eine der ersten Sektionen, wo Sie auch sagen würden, genau da muss investiert werden. Ist das jetzt die richtige Richtung?
Kalinski: Auf jeden Fall ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ein ganz entscheidender Ansatzpunkt. Denn stellen Sie sich vor, wir haben alle nur unser eines Leben. Und wenn wir gerade durch Zufall in eine Situation hineingeboren werden, wo es eine ökonomische Krise und unsoziale Sparmaßnahmen gibt, dann bedeutet das für die einzelnen Menschen, dass ihr Schicksal sehr fremdbestimmt wird und zum Teil können sie gar nichts dafür, aber sie haben auch ein Recht auf Einkommen, auf persönliche Entwicklung, auf berufliche Entwicklung. Auf jeden Fall, ja, Jugendarbeitslosigkeit anzugehen ist ein wichtiger Punkt. Und die Einkommenssituation, gerechte Steuersysteme zu schaffen, das wäre ein zweiter wichtiger Punkt.
domradio.de: Ist dann von Sparen in Griechenland nicht mehr die Rede?
Kalinski: Natürlich muss gespart werden, aber sparen ist fas falsche Wort. Ich würde sagen, es muss ökonomisch gewirtschaft werden. Sparen alleine, wenn es denn dazu führt, dass ich wichtige Investitionen, wichtige Änderungen in der Struktur der Gesellschaft, auch der Wirtschaft, nicht durchführe, keine Stimuli setze, dann habe ich auch kein Wirtschaftswachstum, habe ich in der Zukunft auch keine Steuereinnahmen. Und dann wird die Spirale der Weiterverschuldung weiter vorangetrieben. Die Verschuldung wächst immer weiter an. Ich will ein Beispiel nennen, es gibt in Europa pro Jahr eine Billionen Euro, die verloren gehen, alleine, weil Individuen oder aber große Unternehmen nicht vernünftig besteuert werden bzw. weil es Steuerflucht und Steueroasen gibt. Eine Billion pro Jahr. Dieses Problem muss man angehen, unter anderem auch in Griechenland, dass nicht nur auf dem Rücken der kleinen Leute gespart wird, sondern dass das Geld auch dort geholt wird, wo es auch gezahlt werden muss, nämlich Steuern bei den Unternehmen und bei den reichen Individuen.
domradio.de: Sind Sie denn auch optimistisch, was die Frage angeht, mit wieviel Elan der griechische Staat diese Maßnahmen umsetzt? Wo soll Druck entstehen und wer soll diesen Druck wie ausüben? Haben Sie da auch Ideen zu?
Kalinski: Ich denke, der Druck kommt von innen und von außen. Der Druck kommt von der Bevölkerung, die einseitige Sparmaßnahmen nicht mittragen will. Der Druck kommt aber auch von außen, von der EU, dass vernünftige Sparmaßnahmen durchgeführt werden, dass Korruption bekämpft wird, dass ausufernde Bürokratie bekämpft wird; das ist alles wichtig, aber es muss auch die Bereitschaft sein, in die Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen zu investieren und auch in die Entwicklung von Menschen, in Bildung und Gesundheit, weil das Zukunftsinvestitionen sind. wenn auf der einen Seite die Anforderung nach vernünftigem wirtschaftlichen Haushalten, so würde ich das bezeichnen, und die Bereitschaft, mit Investitionen zu helfen, wenn das gekoppelt ist, dann glaube ich, ist auch das Verständnis innerhalb Griechenlands viel größer für diese Maßnahmen.