DOMRADIO.DE: Weihnachtsbäume werden immer früher gekauft und geschmückt, ins Wohnzimmer gestellt. Zum Teil funkeln sie schon Anfang Dezember in weihnachtlichem Glanz. Dafür haben viele Menschen schon am 27. Dezember genug von Weihnachten und bauen die Weihnachtsdeko wieder ab. Denn dass die Weihnachtszeit offiziell bis zum Dreikönigstag am 6. Januar dauert, ist vielen gar nicht mehr so klar. Finden Sie das als Brauchtums-Experte schlimm, wenn Menschen den Weihnachtsbaum schon früher ins Zimmer stellen?
Manfred Becker-Huberti (Brauchtums-Experte): Das hat zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist der religiöse Brauch und der andere ist der, den Sie vielleicht mit Dekoration umschreiben. Da ist das Fest im Vordergrund und nicht der festliche Inhalt. Wenn das Fest im Vordergrund ist, dann ist das Brauchtum etwas, was sich ständig ändert und anpasst. Und dann ist es richtig, dass das Brauchtum immer weiter nach vorne rutscht. Die Adventszeit ist nicht mehr eine Zeit des Wartens, sondern Vorweihnachtszeit. Und das zieht sich immer weiter nach vorne.
Die Deadline ist einmal der Totensonntag gewesen. Inzwischen gibt es viele Weihnachtsmärkte, die lange vorher anfangen. Und es gibt viele Weihnachtsmärkte, die weit in den Januar hinein abgehalten werden.
DOMRADIO.DE: Früher haben die Eltern ja sogar noch das Zimmer abgeschlossen und erst nach dem Gottesdienst an Heiligabend wurde mit großem Tamtam die Tür aufgeschlossen und da stand dann der Baum. Warum hat man denn lange den Weihnachtsbaum erst an Heiligabend ins Zimmer gestellt?
Becker-Huberti: Weil er genau dahin gehört. Der Christbaum entsteht auf eine sehr komplizierte Art und Weise. Der 24. Dezember ist der Gedenktag von Adam und Eva. Das hat man in den Kalender so integriert, weil an diesem Tag die Erbsünde im Vordergrund steht und am folgenden Tag der geboren wird, der die Erbsünde wieder aus der Welt schafft.
Diesen Kontrast hat man in der Kirche durch ein Paradiesspiel und durch ein Christgeburtsspiel gespielt. Und bei diesem Paradiesspiel musste ein grüner Baum her, denn es musste ja eine Frucht von Eva dem Adam vom Baum der Erkenntnis übergeben werden. Als Baum der Erkenntnis musste irgendein grüner Baum her, der in dieser Jahreszeit relativ schwer zu finden ist. Also war es in der Regel eine Fichte, Tanne, Ilex oder irgendwas anderes. An den Baum wurden grüne Äpfelchen gebunden. Das war der Baum der Erkenntnis.
Der blieb stehen beim zweiten Spiel, wenn nämlich das Christgeburtsspiel kam. So wuchs dieser Baum mit diesen roten Äpfelchen langsam in diese Geburtsszene hinein und wanderte dann mit aus, als die ersten anfingen, Weihnachten auch außerhalb der Kirche zu feiern.
Die ersten, das waren die Innungen, also die Handwerker, die dann für ihre Mitglieder und deren Familien ein Fest organisierten. Mittelpunkt war dieser Baum. An diesem Baum hingen kleine Geschenke, und diese Geschenke durften dann von den Kindern auf Kommando "abgeblümelt" werden, wie das so schön heißt. Wahrscheinlich haben die Blumen dann nicht lange überlebt. Jedenfalls war der Baum ein Geschenke-Baum.
Etwas eleganter war der evangelische Adel, der diese Tradition übernahm. Und zwar stellten sie den grünen Baum auf den Gabentisch und schmückten ihn mit Kerzen, denn sie versuchten zu vergegenwärtigen, was eben die Weihnachtszeit lehrt. Das Licht kam in die Dunkelheit und dieses Licht wurde auf dem Tannenbaum gezeigt.
Erst als sich die Bräuche so um 1900 zu vermischen schienen, haben die Katholiken dieses Brauchtum übernommen. Der Christbaum gehört dementsprechend auf die Nacht des 24. zum 25. Dezember. Normalerweise, wenn man aus der Christmette kommt, dann findet man zu Hause den Christbaum vor und die Kinder dürfen ihn dann zum ersten Mal sehen.
DOMRADIO.DE: Da blieb ja dann der Weihnachtsbaum auch meistens stehen, mindestens bis zum Dreikönigstag am 6. Januar. Heute fliegt er eben auch oft schon am 27. Dezember wieder raus, weil die Leute nach dieser langen Adventszeit genug von der Weihnachtsdeko haben. Was verpasst man denn da? Was geht einem denn an schöner Botschaft verloren, wenn ich den Weihnachtsbaum vor herauswerfe?
Becker-Huberti: Da muss ich die Menschen ein bisschen entschuldigen, denn früher war der Weihnachtsbaum natürlich in der guten Stube aufgestellt, die eigentlich nicht geheizt wurde, sondern nur zu den Festtagen. Das heißt, der frisch geschlagene Baum, im Gegensatz zu heute, kam in eine Situation hinein, die ihn auch noch längere Zeit frisch hielt, während bei uns die Bäume im Herbst geschlagen sind und in dann überheizte Wohnräume kommen und zu nadeln beginnen, wenn man denn noch echte Bäume aufstellt. Dementsprechend ist es ein Grund, auch diesen Baum relativ früh zu entsorgen.
Dass die Symbolik ein Stück dabei verloren geht, ist vielen Menschen fremd, weil sie nicht mehr in dieser Welt leben und das zur Kenntnis nehmen. Der alte Brauch war, diesen Baum bis zum 14. Februar stehen zu lassen, zum Fest Darstellung des Herrn oder Lichtmess, wie man es früher genannt hat. Da hat der Baum also vom 24. Dezember bis zum 14. Februar in der Wohnstube gestanden.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es aus bei den Krippen? Da werden ja auch schon oft Krippen Anfang Dezember aufgestellt und das Jesuskind liegt gleich mit in der Krippe. Man könnte ja sagen, dass man weiß, dass Jesus an Heiligabend geboren ist, es aber bewusst vorher in die Krippe legt und sich einfach ein bisschen länger daran freut. Was sagen Sie dazu?
Becker-Huberti: Das kann man so machen, das muss aber nicht. Unsere Vorfahren hatten einen anderen Trick. Der war nämlich, finde ich, sehr viel eleganter. Die stellten die Krippe zwar auch schon am 1. Dezember auf, aber ohne Jesuskind und auch ohne Stroh in dieser Krippe. Aber neben der Krippe lag ein Häufchen Stroh und jeder, der in der Familie eine zusätzliche gute Tat vollbrachte, durfte dann einen Strohhalm in die Krippe hineinlegen. Das Ziel war es, dass das Jesuskind weich zu liegen kommt. Parallel zu unserem Spruch, den wir kennen "Ein gutes Gewissen ist ein gutes Ruhekissen", ist hier die gute Tat eben das gute Ruhekissen.
Ich finde, wenn man so einen Brauch nicht überpädagogisiert und mit dem erhobenen Zeigefinger durchführt, sondern mit einer gewissen Nonchalance, dann wäre das eine feine Sache, die Vorweihnachtszeit, wie sie dann genannt wird, schon zu genießen, aber sie auch positiv zu nutzen.
DOMRADIO.DE: Wie ist es bei Liedern? Auch in Adventskonzerten werden ja Weihnachtslieder wie "Stille Nacht, Heilige Nacht" gesungen. Schütteln Sie da das Haupt als Brauchtums-Experte oder sagen Sie, dass es sich eben verändert?
Becker-Huberti: Mir gefällt es nicht, aber es wird gemacht. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Die Leute richten sich nicht unbedingt nach meinem Geschmack. Wenn es sich einbürgert, dann ist es etwas, was passiert. Man kann darauf aufmerksam machen, dass es klüger wäre, sich auf die Adventslieder zu begrenzen, um sich die Weihnachtslieder für die Weihnachtszeit vorzubehalten. Aber das wird man nicht durch Verordnungen regeln können. Man muss sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln.
Das Interview führte Heike Sicconi.