DOMRADIO.DE: Die Evangelische Kirche in Deutschland will zusammen mit anderen Initiativen ein Schiff kaufen und Seenotrettung betreiben. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm setzt sich auch auf diese Weise für Flüchtlingshilfe ein und auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat schon 50.000 Euro für diese Unternehmung gespendet. Ist dieses Schiff der richtige Weg im Jahr 2020?
Nils Freund (Caritasverband der Stadt Köln, zuständig für die "Aktion Neue Nachbarn" des Erzbistums Köln): Das ist zumindest der richtige Schritt. Menschen ertrinken im Mittelmeer und diesen Menschen muss geholfen werden. Ich sehe aber vor allem die Politik beziehungsweise die Europäische Union in der Pflicht, ihren Beitrag dazu zu leisten. Die Aufgabe der Seenotrettung sollte nicht nur den Kirchen und freien Trägern überlassen werden, sondern die Politik sollte dort auch Verantwortung übernehmen.
DOMRADIO.DE: Im Jahr 2015 war das ein großes Thema. Flüchtlinge haben zum Beispiel in Deutschland Zuflucht gesucht und waren auf Hilfe angewiesen, um ein Zuhause zu finden. Heute scheint das Thema in den Medien nicht mehr so präsent zu sein. Trügt der Schein?
Freund: Ja. Die Grenzen sind einfach dicht gemacht worden. Die Menschen kommen bis ans Mittelmeer, aber nicht mehr bis zu uns. Es sind mit der Türkei Regelungen getroffen worden, um die EU abzuschotten.
DOMRADIO.DE: Sie bekommen es tagtäglich durch Ihre Arbeit mit. Wie sieht die Lage global aus und hat sie sich in den vergangenen Jahren verändert?
Freund: Kriege und Krisen gibt es immer noch. Der Syrienkonflikt ist immer noch aktuell. Es verschieben sich Fronten und in Afrika herrschen immer noch Armut und Not. Global betrachtet hat sich also erst einmal nichts verändert. Ich glaube, dass sich die Europäische Union immer mehr abgeschottet hat und das führt dazu, dass wir in Deutschland die Auswirkungen nicht mehr so direkt spüren.
DOMRADIO.DE: Sie arbeiten weiterhin mit den Menschen. Was macht Ihnen an dieser Arbeit Freude und was motiviert Sie, diese Arbeit trotz aller Anfeindungen weiterzumachen?
Freund: Zunächst einmal erfahren wir sehr positive Rückmeldungen. Anfeindungen gibt es trotzdem immer wieder. Was ich an dieser Arbeit spannend finde, ist, dass man mit vielen verschiedenen Menschen zu tun hat. Man hat aber nicht nur mit den Geflüchteten, sondern auch mit den Menschen, die sich für sie einsetzen, zu tun. Dadurch entwickelt man sich auch ein Stück weiter.
DOMRADIO.DE: Der türkische Präsident Erdoğan hat erneut angekündigt, dass Geflüchtete nach Deutschland kommen werden. Am Sonntag fand die große Konferenz in Berlin statt, in der es mit den Regierungschefs aus aller Welt um Libyen ging. Wie schätzen Sie das ein?
Freund: Ich glaube, dass die Konferenz ein Schritt in die richtige Richtung ist. Denn die Ursachen von Flucht liegen ja nicht bei Herrn Erdoğan oder in der Türkei, sondern in anderen Ländern, unter anderem auch in Afrika. Und das heißt, wir sind schon mal territorial in die richtige Richtung gegangen. Ich glaube aber, dass da noch weitere Schritte nötig sind.
DOMRADIO.DE: Jetzt arbeiten Sie bei der Caritas und für Menschen, die zu uns hier nach Deutschland kommen. Was hat die Caritas in den vergangenen knapp fünfeineinhalb Jahren bewirkt?
Freund: Zunächst einmal haben wir mit einer so genannten "Ankommenskultur" angefangen. Wir haben versucht, den Menschen, die 2015 und in den Jahren danach nach Köln gekommen sind, hier erst mal ein Dach über dem Kopf zu organisieren beziehuingsweise sie mit Essen und Kleidung zu versorgen.
Diese Themen haben sich verschoben. Inzwischen stehen Fragen wie Spracherwerb, Berufsfindung, Wohnungssuche eher im Fokus. Da stehen die Geflüchteten und Migranten in Konkurrenz zu Menschen, die hier aufgewachsen sind. Wir versuchen jetzt, in diesem Themenbereich auch tätig zu sein.
DOMRADIO.DE: Sie merken, dass Sie gebraucht werden?
Freund: Ja, unbedingt. Die Integration der Geflüchteten und der Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft soll ja keine eindimensionale Sache werden. Das ist etwas, woran wir sehr stark arbeiten müssen. Nicht wir erklären den Geflüchteten, wie sie zu sein haben, sondern es ist ein gegenseitiges Kennenlernen, ein Annehmen von Kulturen, aber nicht ein Aufstülpen von deutschen Werten oder dergleichen. Wir versuchen vielmehr, das Ankommen, das Willkommen zu ermöglichen.
DOMRADIO.DE: Aber wie lernen wir, diese Menschen willkommen zu heißen, weiterhin wertzuschätzen und von denen auch etwas anzunehmen?
Freund: Zunächst einmal würde ich empfehlen, die Angst abzulegen, auf die Menschen zuzugehen und die Menschen kennenzulernen und nicht die Befürchtung zu haben, dass die Menschen hier hinkommen, um irgendwelche kulturellen Veränderungen vorzunehmen. Die Menschen sind zunächst einmal hierhergekommen, weil sie in ihrer Heimat Not erfahren haben und sind nicht mit der Intention hier - was von manchen Parteien auch propagiert wird -, irgendwelche Leitkultur infrage zu stellen. Also, lernen Sie Ihre neuen Nachbarn kennen.
DOMRADIO.DE: Jetzt geht es bei den Geflüchteten also um den Gelderwerb, eine eigene Wohnung und darum, die Familie ernähren zu können. Wie ist da die Perspektive für Geflüchtete im Erzbistum Köln?
Freund: Da müssen wir differenzieren. Der Wohnungsmarkt in Köln ist angespannt. Im Fokus steht vor allen Dingen der Spracherwerb. Für bestimmte Berufe, für bestimmte Ausbildungen, brauche ich den Spracherwerb. Es gibt ein breites Feld an Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, und da ist die "Aktion Neue Nachbarn" auf jeden Fall dabei.
Das Interview führte Katharina Geiger.