Die jüdische Gemeinde in Düsseldorf verleiht den Rockmusikern der Band "Die Toten Hosen" die Josef-Neuberger-Medaille für ihren Einsatz gegen Ausgrenzung und Rassismus. Die Band steht damit in einer Reihe mit Kanzlerin Merkel und zwei Bundespräsidenten. Die "Toten Hosen" singen nicht nur Hymnen wie "Tage wie diese", sondern kämpfen mit ihrer Musik seit Jahren gegen Rechtsextremismus. Dafür werden sie am 1. Oktober mit der angesehenen jüdischen Auszeichnung geehrt.
dpa: Sie erhalten die Josef-Neuberger-Medaille und stehen damit in einer Reihe mit Kanzlerin Merkel, zwei Bundespräsidenten und der Verlegerin Friede Springer. Wie fühlt man sich als Punkrocker dabei?
Campino: Ich habe das nicht zu bewerten. Ich konzentriere mich darauf, diese Würdigung mit Respekt anzunehmen.
dpa: Was bedeutet diese hohe jüdische Auszeichnung für Sie?
Campino: Wir leben nicht dafür, Preise zu bekommen, und wir schreiben auch keine Lieder, um eine Auszeichnung dafür zu kriegen. Wir ziehen alles - was wir machen, wie wir denken, wie wir handeln - aus Lebenserfahrungen, aus unserer Erziehung. In meinem Elternhaus waren gewisse Denkweisen eine absolute Grundeinstellung, für die ich eigentlich auch gar nicht verstehe, warum ich da so gelobt werde. Denn ich kenne es einfach nicht anders. Aber ich begreife auch, dass wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen registrieren, worum es geht. Ich denke, gerade jetzt, in dieser Zeit, hat das eine besondere Bedeutung.
dpa: Sie setzen sich seit vielen Jahren mit den Toten Hosen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ein.
Campino: Ich weiß, dass wir vielen Leuten in der Vergangenheit damit auf die Nerven gegangen sind und es hoffentlich auch noch in Zukunft tun werden. Aber das gehörte für uns dazu. Wir sind eine politisch geprägte Band, die sich das gar nicht anders vorstellen kann. Das ist auch die "Punkrock-Schule" gewesen. Wir haben viel Zeit gehabt, unseren Vorbildern zuzuschauen. Da nenne ich The Clash und ihr Anti-Rassismus-Engagement und auch Bob Geldof, der Band Aid für Afrika initiiert hat und in der Lage ist, über Grenzen und Schatten hinweg zu springen und Leute anzusprechen, die überhaupt nichts mit seiner Musik oder seiner Gesinnung zu tun haben. Das sind für uns Leitbeispiele.
dpa: Sie sprechen mit ihrer Musik ganz andere Gesellschaftsbereiche an als Politiker, die bei einer Kundgebung reden.
Campino: Jeder muss vor seiner Haustür kehren. Wir haben unser Bestes gegeben, haben uns geäußert und unseren Mund nicht gehalten. Es geht aber nicht darum, dass wir mit unseren Liedern den Anspruch hätten, politisch Andersdenkende oder Querläufer mit verdrehten Ideologien zum Nachdenken zu bringen. Ich habe es immer so verstanden, dass wir die Kampfmusik sind für die, die gegen Rechtsextremismus sind. Man spürt dann, der Mensch neben mir denkt genauso wie ich. Plötzlich schreien nicht 20 Leute "Nazis raus!", sondern 20.000. Das berührt dann schon, das Gefühl zu haben, ich bin hier nicht alleine, die denken auch so. Wir wollten die harten Fankurven nicht den Rechten überlassen.
dpa: Kürzlich hat der Zentralrat der Juden in Berlin zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus aufgerufen, und es kamen "nur" 8.000 Menschen. Was geht Ihnen da durch den Kopf?
Campino: Wenn viele Leute kommen, hat das oft mit einer Schlüsselsituation zu tun, mit einem Ereignis, das gerade passiert ist. Ich glaube, da können wir beruhigt sein: Wenn es richtig zur Sache und ums Ganze geht, dann werden wesentlich mehr Leute aufstehen und ihre Position benennen.
dpa: Auf den Straßen in Deutschland werden aber wieder Juden angepöbelt und antisemitische Hasstiraden geschrien. Noch schlimmer wurde es mit Beginn der Militäroffensive Israels in Gaza.
Campino: Israel steckt zur Zeit zurzeit in einer wirklich schwierigen Situation. Und Israel-Feinde und Juden-Feinde nutzen das unter dem Deckmantel der Unterstützung für die Palästinenser aus. Wir müssen hier mal ganz klar unterscheiden zwischen dem Staat Israel und dem jüdischen Volk. Die jüdischen Gemeinden haben in diesem Land Rechte, das ist auch ihre Heimat hier.
dpa: Wie soll man Antisemitismus in Deutschland bekämpfen?
Campino: Einzelne Leute kommen durchaus zur Vernunft, haben einen Schlüsselmoment und ändern sich. Aber dieses Sammelbecken, dieser allgemeine Hass und die fehlgeleiteten Ideologien, die gehen eben nie so richtig weg. Das ist wie ein Pilz in der Hauswand. Da streicht man etwas drüber, er scheint weg, und man sieht ihn nicht mehr. Aber er ist natürlich unter der Farbe. Der wird dann auch wieder durchkommen, wenn die Zeit reif ist. Ich hab mir irgendwann gesagt: Du musst mit derselben Stumpfheit und mit derselben Ausdauer immer wieder dagegen halten.
dpa: Und hat es was gebracht?
Campino: Argumentativ und sachlich lässt sich da sowieso nichts machen. Ich habe auch irgendwann abgelehnt, mit diesen Vollpfosten aus der rechten Szene zu verhandeln. Man muss knallhart dagegen halten. Das haben wir mit unseren Mitteln auch durchgezogen. In den 90ern hat es regelmäßig gescheppert. Wir wurden auf viele Arten bedroht, die Eltern wurden mit Telefonterror belästigt, die Geschwister wurden mit reingezogen. Zu Zeiten von "Sascha" gab es Bombendrohungen, wo auch immer wir gespielt haben.
dpa: Wie soll man mit der deutschen Vergangenheit umgehen?
Campino: Ein unerträglicher Satz ist: "Man muss doch mal vergessen können." Ich finde auch die Haltung in unserer Generation nicht richtig, wenn man sagt: "Ich hatte damit überhaupt nichts zu tun." Das ist doch selbstverständlich, dass wir alle damit nichts zu tun hatten, aber es steht uns gut zu Gesicht, wenn wir uns zu unseren Wurzeln bekennen. Wir sind in der Verarbeitung der Vergangenheit noch nicht differenziert genug.
Das Interview führte Dorothea Hülsmeier.
Zur Person: Campino heißt eigentlich Andreas Frege, wurde 1962 in Düsseldorf geboren und hat fünf Geschwister. Noch zu Schulzeiten, er machte 1983 Abitur, gründete er die Punkrockband Die Toten Hosen, die eine der kommerziell erfolgreichsten deutschen Rockbands wurde. Seine Popularität nutzte Campino für soziales und politisches Engagement. Neben der Musik betätigte sich Campino auch als Schauspieler, etwa im Wim Wenders-Film "Palermo Shooting" oder in der Rolle des Mackie Messer in Klaus Maria Brandauers Inszenierung von Bertolt Brechts "Dreigroschenoper".