Katholische Nachrichten-Agentur: Frau Süssmuth, Sie waren in vielen politischen Ämtern tätig. Was ist Ihr größter politischer Erfolg?
Rita Süssmuth (CDU-Politikerin): Ich freue mich am meisten darüber, dass ich als Gesundheitsministerin Mitte der 80er Jahre die Grundlage für die AIDS-Prävention legen konnte. Damals wusste man nur sehr wenig über die Krankheit, die Panik aber wurde immer größer. Mir war aber von Anfang an klar, dass der Grundsatz sein müsse, die Krankheit und nicht die Kranken zu bekämpfen. Wir wollten, dass die Betroffenen nicht ausgegrenzt werden und dass zugleich die Fallzahlen zurückgehen. Das ist meinem Team und mir ganz gut gelungen. Zur Seite standen mir damals auch Geistliche. Ich war damals in einem Gottesdienst in Hamburg und habe miterlebt, in welcher Not die HIV-Infizierten waren. In diesem Moment war es für sie - so glaube ich - ganz wichtig, dass sie sich zugehörig fühlen durften.
KNA: Sie haben sich stets dafür stark gemacht, dass Frauen beruflich die gleichen Chancen haben wie Männer. Ist es für Frauen heute einfacher, Karriere zu machen?
Süssmuth: Ja und nein. Es hat sich natürlich sehr viel verändert in den vergangenen Jahren. Ich erlebe heute eine große Gruppe von Frauen, die selbstbewusst ist und beruflich etwas erreichen will. Aber mit der veränderten Rechtslage gibt es auch veränderte Erwartungen: Die Situation ist komplexer geworden, vor allem für alleinerziehende Frauen.
Frauen müssen heute mit ziemlichem Aufwand begründen, warum sie nicht mit vollendetem dritten Lebensjahr des Kindes wieder in den Beruf zurückkehren. Aber es gibt eben Kinder, die auch dann noch eine intensive Betreuung brauchen. Deswegen begrüße ich den Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium, nach dem es ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit geben soll. Das ist auch mit Blick auf Verhinderung von Altersarmut vor allem für Frauen wichtig.
KNA: Sie haben sich beim Paragraf 218 für eine Fristenregelung mit Beratung und Letztentscheidung der Frau eingesetzt. Hat es Sie als Katholikin damals sehr getroffen, als die Bischöfe 1999 den Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung vollzogen?
Süssmuth: Das habe ich nicht verstanden, und es hat mich sehr betroffen gemacht. Ich denke immer noch, wer das ungeborene Leben schützen will, darf nicht aus der Schwangerenkonfliktberatung aussteigen. Ich kann doch nicht aussteigen, nur weil es das Risiko gibt, dass sich die Ratsuchenden in manchen Fällen vielleicht zur Abtreibung entscheiden und nicht so handeln, wie die Kirche es sich wünscht. Ich habe damals einen schwer erträglichen Rigorismus erlebt.
Natürlich gibt es sicher Betroffene, die sich spontan für eine Abtreibung entscheiden, aber man kann doch Ausnahmen nicht einfach verallgemeinern. Den Rücken gestärkt haben mir damals viele Pfarrer, die die Not der Betroffenen vor Ort miterlebten.
KNA: In Berlin gibt es am 18./19. Februar eine Veranstaltung, bei der auch illegale Methoden für eine Kinderwunsch-Behandlung wie Eizellspenden und Leihmutterschaften vorgestellt werden. Wie stehen Sie dazu?
Süssmuth: Ich finde das grundsätzlich in Ordnung. Die künstliche Befruchtung hat entschieden zur Erfüllung des Kinderwunschs beigetragen. Es ist eine Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und Menschen ins Nachdenken zu bringen. Generell kann man sicher sagen, dass in den vergangenen Jahren eine Realisierung von Kinderwünschen im Fokus stand, während die Auseinandersetzung mit möglichen Folgen ins Hintertreffen geriet. Diese Konflikte, die sich etwa bei einer anonymen Ei- oder Samenzellspende für das Kind ergeben können, sind nach wie vor nicht gelöst.
KNA: Aber das ist ein Thema geworden...
Süssmuth: Zugenommen hat in den vergangenen Jahren vielleicht die Sensibilität dafür. Der Aspekt, dass Kinder ein Recht haben zu erfahren, woher sie kommen und wie wichtig das auch für die Identitätsfindung ist, ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker beachtet worden. Leider glaube ich nicht, dass allein gesetzliche Rahmenbedingungen hier weiterhelfen.
Genauso wichtig ist es sicherlich, Menschen, die einen Kinderwunsch haben, aber auf natürlichem Weg kein Kind bekommen können, dazu zu bringen, sich intensiv mit möglichen Folgen zu beschäftigen. Da wird den mündigen Bürgerinnen und Bürgern viel an persönlicher Entscheidungen zugetraut und abverlangt.
KNA: Auch das Thema Migration und Flucht steht bei Ihnen ganz oben auf der Agenda. Derzeit diskutiert die Politik darüber, wie man die Zahl der Rückführungen - auch durch umstrittene Maßnahmen - erhöhen kann. Was halten Sie davon?
Süssmuth: Natürlich können Menschen, die vor einem Krieg fliehen, nicht davon ausgehen, für immer in Deutschland bleiben zu können. Genauso wie Menschen, die vor der Armut aus ihrem Land fliehen, keinen Anspruch auf Asyl haben, weil Armut kein Asylgrund ist. Aber sie brauchen Hilfe vor Ort und Aufnahme in andere Länder.
Ich plädiere schon seit Jahren für mehr Möglichkeiten zu einer legalen Einwanderung - auch für Menschen aus Afrika. Das ist natürlich auch kein Allheilmittel, aber zu diesem Schritt könnten wir Menschen motivieren, die keine Chance auf Asyl oder Duldung haben.
KNA: Und die Rückführungen?
Süssmuth: Bei den Rückführungen müssen wir genau schauen, in welche Länder wir die Menschen zurückschicken. Flüchtlinge nach Afghanistan oder Libyen zurückzuführen, halte ich für sehr problematisch. Mit Blick auf den Rechtspopulismus und einen stärker werdenden Nationalismus darf die Politik nicht vergessen, die Bürger stärker mitzunehmen. Neben der Furcht vor dem Fremden, die es sicher bei vielen gibt und die man ernst nehmen muss, müssen wir Vertrauen schaffen.
Damit erreicht man sicher nicht alle, aber man sollte nicht aufgeben, es zu versuchen. Menschen wollen mehrheitlich arbeiten, friedlich miteinander leben, zugehörig und beteiligt sein. Da ist es sicher auch notwendig, dass die EU sich bürgernäher präsentiert.
KNA: Sie haben damals gegen einen Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin plädiert. Haben Sie Berlin inzwischen auch zu schätzen gelernt?
Süssmuth: Ich hatte nie etwas gegen Berlin. Ich habe mich damals nur gefragt, ob ein solcher Umzug wirklich zu dem Zeitpunkt notwendig war oder ob in Zeiten der Wiedervereinigung nicht anderes wichtiger gewesen wäre. Berlin ist eine sehr anregende Stadt, kulturell, wissenschaftlich und sozial; eine Stadt mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Lebensvielfalt. Es ist kein Ort der Geruhsamkeit, sondern sehr umtriebig, oftmals auch hektisch.
Ich mag es vor allem an warmen Tagen, über die Gendarmenmarkt zu gehen und dort den verschiedensten Menschen zu begegnen und die unterschiedlichsten Sprachen zu hören. Das möchte ich nicht missen. Aber entscheidend ist doch die Mentalität der Menschen, die an einem Ort wohnen. Die kann in einem kleinen Ort genauso offen sein wie in einer großen Stadt.