DOMRADIO: Lange war es vermeintlich ruhig im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Und jetzt diese Eskalation. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?
Matthias Kopp (Nahhost-Kenner und Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz): Da kommt gerade einiges zusammen. Wir haben das Ende des Ramadan. Wir haben den Jerusalem-Tag, der von jüdischen Siedlern gern für Provokationen genutzt wird. Wir haben vor allen Dingen die dramatische Entscheidung von Staatspräsident Mahmud Abbas, die Wahlen in den palästinensischen Gebieten wieder zu verschieben.
Die Menschen hatten gehofft, jetzt nach über 14 Jahren wieder wählen zu können. Und jetzt ist diese Eskalation entstanden, die in keiner Weise zu tolerieren ist. Die Aggression ist zunächst vom Gazastreifen ausgegangen. Die Bischofskonferenz verfolgt das mit großer, großer Sorge. Und der Appell unseres Vorsitzenden, Bischof Bätzing, ist: Die Waffen müssen schweigen und man muss an den viel zu lange leer gebliebenen Verhandlungstisch zurückkehren.
DOMRADIO: Der Prior der deutschsprachigen Benediktiner-Abtei Dormitio auf dem Jerusalemer Zions Berg, Matthias Karl, der sich auch mit seinen Mitbrüdern in Sicherheit bringen musste, nennt als weiteren Grund die sehr ungleiche Situation in Israel und den Palästinensergebieten durch die Corona-Pandemie. Sehen Sie das ähnlich?
Kopp: Das spielt sicher auch eine Rolle. In Israel sind viele bereits geimpft, in den palästinensischen Gebieten und vor allem im Gazastreifen gibt es viel zu wenig Impfdosen.
DOMRADIO: Können Sie die Situation der Christen im Land derzeit abschätzen?
Kopp: Wir haben Kontakt zu den Patriarchen der verschiedenen Kirchen im Heiligen Land. Die haben sich in einem Aufruf ja auch schon vor wenigen Tagen geäußert, an den Verhandlungstisch zurückzukommen.
Die Sorge ist, dass viele unserer Einrichtungen wie das Caritas Baby Hospital in Bethlehem oder die Migranten-Seelsorge im südlichen Teil von Tel Aviv jetzt wegen der Luftangriffe wirklich gefährdet sind. Was jetzt passiert, könnte sich zu einem gefährlichen Brand im Nahen Osten entwickeln, weil ja auch die Lage in den Nachbarstaaten Syrien und Irak angespannt ist.
DOMRADIO: Der Konflikt schlägt auch hier bei uns Wellen. In Münster wurde beispielsweise vor einer Synagoge eine israelische Fahne verbrannt. Sie sind zurzeit beim Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt. Ist der Konflikt auch dort Thema?
Kopp: Sicherlich. Wir haben ein Spitzengespräch mit dem Zentralrat der Juden geführt. Und Bischof Bätzing hat nochmal ganz klar betont, dass diese Angriffe, auch wenn nur ein Stein auf eine Synagoge geworfen geworfen wird, der pure Antisemitismus ist, den wir verurteilen.
Ein zweiter Zwischenfall ereignete sich an der Synagoge in Bonn. Genau das wird hier Thema beim ÖKT (Ökumenischer Kirchentag, Anm. d. Red.) sein. Es ist für uns erschreckend, dass dieser gewaltsame Konflikt aus dem Heiligen Land sich jetzt hier auf Deutschland überträgt. Da müssen wir gemeinsam - Kirchen, Religionsgemeinschaften, zivilgesellschaftliche Kräfte - aufstehen und gegen diesen Wahnsinn, gegen diese Chaoten zu Felde ziehen.
Das Interview führte Martin Mölder.