DOMRADIO.DE: Die nächste Kirche zum Corona-Hotspot Rheda-Wiedenbrück ist die Sankt Clemenskirche. Pfarrer dieser Kirche und gleichzeitig der leitende Pfarrer für den pastoralen Raum Rheda-Herzebrock-Clarholz ist Thomas Hengstebeck. Wie erleben Sie die derzeitige Situation?
Pfarrer Thomas Hengstebeck (Leiter Pastoralverbund Rheda-Herzebrock-Clarholz): Ich erlebe eine sehr aufgewühlte Situation. Die Straßen sind voll mit Polizei, mit Ordnungskräften, eine große Unruhe und Unsicherheit bei den Menschen darüber, wie es weitergeht. Sie fragen sich: Dürfen wir in den Urlaub fahren? Was wird mit unseren gebuchten Touren? Wie werden wir außerhalb des Kreises aufgenommen? Werden wir hinausgeworfen oder wie Aussätzige behandelt?
Es gibt auch eine allgemeine Verstimmung, würde ich sagen. Die Wut richtet sich gegen die Firma Tönnies und ihren Chef persönlich. Ob das gerechtfertigt ist oder nicht, sei dahingestellt. Aber vielleicht braucht der Mensch im Augenblick einfach auch ein Ventil, um diese innere Belastung, diese Zerrissenheit, diese Spannung nach draußen zu bringen.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja viele Bürger, die sagen: "Das haben wir doch immer schon gesagt." Wie erleben Sie diesen Zwiespalt?
Hengstebeck: Tatsächlich sagen jetzt viele: Ja, wir haben es schon immer gewusst. Diejenigen, die schon immer gegen Tönnies waren, fühlen sich bestätigt. Dass die Stimmung jetzt so ist, liegt, glaube ich, an Corona und nicht an einem allgemeinen Bewusstseinswandel dem Betrieb gegenüber.
DOMRADIO.DE: Wie sieht denn die Situation in Ihrer Gemeinde vor Ort aus? Können Sie weiter Gottesdienste feiern?
Hengstebeck: Ja, wir haben im Pastoralteam mit den Ordnungsämtern der Stadt Rheda-Wiedenbrück und der Gemeinde Herzebrock-Clarholz umfangreich beraten. Ich habe mit dem Bürgermeister von Herzebrock-Clarholz gesprochen. Wir haben intensiv studiert, was die Verordnung beinhaltet. Nachdem keine ausdrücklichen Verbote ausgesprochen worden sind, haben wir uns entschlossen, dass wir weiter Gottesdienst feiern werden.
DOMRADIO.DE: Sie müssen aber gewisse Schutzmechanismen einhalten?
Hengstebeck: Ja, die haben wir ja von Anfang an hier bei uns in Sankt Clemens sehr strikt eingehalten. Man musste sich hier, als es noch nicht Pflicht war, zu den Gottesdiensten im Vorfeld anmelden. Wenn man zum Gottesdienst kommt, muss man eine Maske tragen und sich die Hände desinfizieren. Die Nachverfolgung der Besucherzahlen ist gewährleistet. Der Abstand in unserer Kirche beträgt nicht wie gefordert 1,50, sondern 2 Meter von Sitzplatz zu Sitzplatz. Ich denke, dass wir da gut aufgestellt sind.
DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen in dieser Situation als Seelsorger und quasi Heimatpfarrer von Tönnies?
Hengstebeck: Für mich persönlich ist es eine Herausforderung, jetzt wieder nicht reisen zu können, nachdem man Ostern schon nicht bei der Familie sein konnte. Auch ein bisschen Ratlosigkeit. Ich will nicht einfach in das Horn hineinstoßen und sagen: Die einen hatten immer recht und die anderen waren im Unrecht. Sondern ich habe in der Sonntagspredigt die Menschen gefragt, ob sie denn bereit wären, etwas zu verändern.
Denn wenn sich etwas verändern soll, bedeutet das, dass das bei mir persönlich anfängt und in meinem Portemonnaie - nicht irgendwo und nicht irgendwann, sondern bei mir persönlich. Das heißt dann, dass ich mir nicht mehr so viel für mich selber leisten kann. Dafür aber andere eben mehr haben. Wenn ich keine Wurst mehr für 69 Cent kaufe, muss ich mehr bezahlen. Aber das führt dann hoffentlich dazu, dass auch niemand mehr in der Massenunterkunft wohnen muss. Zum Schluss habe ich gefragt: Wollen wir das wirklich, dass sich bei mir und uns etwas ändert? Die Antwort auf diese Frage bestimmt später den Preis.
Das Interview führt Ingo Brüggenjürgen.