Dienstag, 15. Juli

Teil 12: So war die Eröffnung

"Der hat einen an der Klatsche", und noch einmal: "der hat echt einen an der Klatsche". Ein Priester hat sich aus seinem Schlafsack geschält, ist zielstrebig zum Lichtschalter gegangen und hat die Deckenfluter wieder ausgeschaltet. Kurz vorher, das heißt Herrgottsfrüh, um halb sieben, war ein strammer Hausmeister im Trainingsanzug in unseren Klassen- und Schlafraum gekommen, ein fröhliches "Good Morning" auf den Lippen und hatte "Spot an" alle Lichtschalter umgelegt. Das ist selbst für 20 müde Priester zu viel.

Auf zur Eröffnung! (DR)
Auf zur Eröffnung! / ( DR )

Sie reiben sich die Augen, ziehen sich die Schlafsackkapuze über die zerknautschten Gesichter, wollen nur eines - noch zehn Minuten schlafen. Vorher gab es allerdings auch schon über die Schullautsprecher das „Halleluja" Mottolied des Weltjugendtages: „receive the spirit", und einen Weckruf des Schuldirektors: „Breakfirst is served in the hall." Wo bin ich hier? Zwei Minuten gebrauche ich, um das zu begreifen, mein Schlafzimmer zuhause sieht anders aus.

Priesterschlafraum, steht vor der Klassentür, darunter „Homo sapiens sanctus" - ein Witzbold hat noch hinzugefügt: „Bitte nicht füttern." Zwischen 20 Priestern habe ich vergleichsweise selig geschlafen, immerhin sechs Stunden, nur einer hat ganz sanft geschnarcht. Leider gibt es hier in der Schule keine Turnmatten als Schlafunterlagen. Ich habe gestern Abend aus meinem Pilgerrucksack die knisternde Alufolie gekramt und unter meinen Schlafsack bugsiert. Das isoliert wenigstens die Kälte, dachte ich. So richtig gemütlich war es aber auch nicht. Mir fällt auf, dass ich jetzt schon seit zwölf Tagen in keinem richtigen Bett mehr gelegen habe. In Flugzeug-, oder Bussitzen, auf Turnmatten oder zusammen gewürfelten Sofakissen auf dem Fußboden im Pfarrhaus. Zwölf Tage ohne Bett, ich kann mich kaum daran erinnern, wie lange es her ist, dass ich so etwas erlebt habe.

Ich schlurfe zu den Waschräumen. Da herrscht schon großes Gedränge - nicht genug Platz an den Waschbecken, auf den Toiletten gibt es kein Papier, ich friere …
  
Der Papst schläft gut. Gestern Abend hatte sein Pressesprecher Pater Lombardi noch zu einer Pressekonferenz ins Media Zentrum eingeladen. Auch weil ich meinen teuer erworbenen Presseausweis einsetzen wollte, bin ich ins Convention Center, wo es in Halle zwei alles gibt, was Journalisten begehren, das heißt in erster Linie ruhige Arbeitsplätze und einen Internetzugang. Hier findet auch die Pressekonferenz mit Lombardi statt: „Der Papst schläft gut", erzählt er. Immer wieder lacht der Pressesprecher von Benedikt auf, es scheint eine gute Laune im Papststab zu herrschen. Bis zum ersten Auftritt hält sich der Papst im Opus Dei Haus „Kenthurst Study Centre" im Norden von Sydney auf.

Tausende Papstanhänger umlagern das Gebäude, heißt es, um einen kurzen Blick auf den Heiligen Vater zu werfen. Der Papst würde sich dort gut erholen, meint Lombardi, ausgiebige Spaziergänge im Garten würde er machen, ein kleines Orchester habe er sich auch schon angehört: „Schubert, Mozart, Schumann." Ihm ginge es gut, den Jetlag habe er gut verkraftet, er sei pumperlgesund (pumperlgesund hat Lombardi natürlich nicht gesagt, aber die Art wie Lombardi „gesund" sagte, meinte er bestimmt: pumperlgesund.) Beim Lunch soll Benedikt übrigens beim „large chocolate cake filled with individual chocolates" ordentlich zugelangt haben. Und ein kleiner Film sei gedreht worden, über den Papst in der Morgenmesse, beim Spaziergang, wie er der Musik zuhört.

Diesen Film sehen wir nun im Frühstücksfernsehen in der Aula des College. Es gibt matschige Rosinenbrötchen und viele bunte Schachteln mit Cornflakes, eingelegtem Obstsalat, einen Müsliriegel. Das Frühstücksfernsehen lärmt von einer Leinwand auf uns nieder. Gerade noch eine Umfrage aus der Boulevardredaktion: mit wem würden sie am liebsten in Urlaub fahren. George Clooney auf Platz eins, dann Paul Mc Cartney. Unter den ersten zehn Wunschkandidaten taucht der Papst nicht auf. Dann der Film mit dem bedächtig schreitenden Papst, eine Minute dauert der, wir sehen den Heiligen Vater in einem exotischen Garten, wie er neben seinem Sekretär Gänswein zwei Musikern lauscht und beim Feiern der Messe.

Dreißig Sekunden später geraten sich im Frühfernsehen zwei Modeexperten in die Haare: „Sollten „Barmaids" im Bikini Getränke ausschenken dürfen?" Wie heftig man sich über so ein Thema streiten kann, wundere ich mich und sehne mich nach einem knusprigen Käsebrötchen oder einer Scheibe Salami, Schinken, vielleicht auch Leberwurst. Tagesansage durch Mike Kolb: „Alle verlorenen Gepäckstücke, Isomatten, Schlafsäcke, Jacken, Phototaschen sind wieder aufgetaucht." Wo waren sie? Einige Jugendliche hatten einfach Dinge mit in die Klassenräume genommen, die ihnen gar nicht gehörten. Das war auch nicht böse Absicht, sondern einfach nur Unkonzentriertheit, Erschöpfung, die Müdigkeit gestern.

Norbert Fink und Laura haben heute Geburtstag: „Happy Birthday to you". Pfarrer Norbert Fink darf zur Belohnung, so Mike Kolb, heute Abend um 22 Uhr 30 im College das Abendgebet organisieren und leiten. Schließlich noch einmal die Erinnerung daran, dass morgen früh um acht Uhr alle gemeinsam zeitig zur „Katschese, wie Mike Kolb so schön rheinisch sagt, mit Kardinal Meisner aufbrechen. Die „Kateschesekirche" muss zu Fuß vom College in einer guten dreiviertel Stunde erwandert werden.  Eine Anregung von den Jugendlichen zum Abschluss: Vielleicht könnte man den Lichtschock am frühen morgen weg lassen?

Mike Kolb verspricht, sich darum zu kümmern. Das war´s. Alle rutschen auch schon unruhig auf ihren Stühlen herum. Draußen scheint die Sonne, Sydney ruft, die meisten wollen schnell in die Stadt. Und da ist alles bunt. Der Weltjugendtag ist in Sydney angekommen, das steht fest. Überall Pilger, überall Fahnen, überall gute Laune und Gesang. An den Kiosken lächelt ihnen von den Titelseiten auch heute der Papst entgegen: „Papal reflection as the masses gather", steht da und man sieht den Papst, wie er durch einen Park schreitet. Eine andere Schlagzeile: „A joyful cross to bear", Pilger tragen das Weltjugendtagskreuz durch Sydney.

In den Zeitungen Doppelseiten mit Berichten über den WJT. „Priest smokes out papal truth", der rauchende Father Zumdohme aus Münster wird da portraitiert oder die Geschichte von Susanne Neitzel und Stephan Johannsen erzählt, zwei Volunteers aus Köln, deren Anmeldeunterlagen verloren gegangen sind: „I am a bit lost", meint Susanne. Eine andere fette Überschrift: „Pell tells the West to make babies", ein Interview mit Kardinal George Pell, dem Chef der australischen Bischöfe. Gleich am Nachmittag wird er den Weltjugendtag eröffnen.

„Wittness through Action!" Vor der Opening Mass schaue ich noch bei einer Veranstaltung der Caritas Australien vorbei. Unter der Schirmherrschaft der Caritas haben verschiedene katholische Studentenbewegungen, die internationale Landjugend und der BDKJ zu einem Diskussionsnachmittag eingeladen. Die Armut in der Welt und die Milleniumsziele stehen auf dem Programm. Während draußen zehntausende auf den Straßen feiern und tanzen, hat sich hier nur eine kleine Gruppe von politisch engagierten Weltjugendtagspilgern eingefunden. Obwohl die Veranstaltung im offiziellen Programm steht, wirkt sie wie ein seltsamer Kontrast. „Diskussion und Politik kommen auf dem Weltjugendtag kaum vor", meint der BDKJ Bundespräses Pfarrer Andreas Mauritz. Dabei, so ist er überzeugt, wird der christliche Glaube erst da glaubwürdig, wo er sich konkret für die armen und schwachen in der Welt einsetzt. „Aber die Jugendlichen sind an Diskussionen und politischer Auseinandersetzung nicht mehr so interessiert wie noch vor Jahren", glaubt Mauritz zu beobachten. Auch war es nicht so einfach, diese Veranstaltung und diesen konkreten Akzent in das Programm des Weltjugendtags einzubringen. Das sei schon in Köln so gewesen: „Von offizieller Seite gibt es an Diskussion und politischer Auseinandersetzung wenig Interesse." Erst als man die australische Caritas habe gewinnen können, seien diese offiziellen Veranstaltungen mit politischer Diskussion möglich geworden. Pfarrer Mauritz ist auch enttäuscht, dass man so umstrittene Großkonzerne wie Mc Donald und Mercedes als Hauptsponsoren ins Boot geholt hat. „Wir rufen doch zu fairem Handel auf, und dann wird hier mit so wenig sozial politischer und ethischer Sensibilität gehandelt", meint der BDKJ Bundespräses.  

Es ist kurz nach halb sechs in Sydney. Die Sonne ist gerade untergegangen. Ein letzter roter Schimmer des Tages hält sich am Horizont. Die Bühne steht am Ufer von Darling Harbour, eine Hafenbucht in Sydney. Am anderen Ufer die Skyline - davor der Altar auf rotem Podest,  hell erleuchtet unter einer weißen Wolke, das Bühnendach. Die Pilger scheinen wie einhunderttausend Farbtupfer, die Italiener ganz in Blau, die orangen Holländer, die vielen bunten Fahnen und dann die weiten weißen Felder mit über viertausend Priestern in ihren hellen Soutanen rechts und links neben der Bühne. Zur Abendstimmung passt ein wenig, dass der Gastgeber, der Chef der australischen Bischöfe, Kardinal George Pell in seiner Predigt daran erinnert, dass auch diese „happy days" zu Ende gehen werden. „But when we part, let us never part from our loving God and his Son Jesus Christ", also: wenn die Jugendlichen vom Weltjugendtag Abschied nehmen, sollen sie aber niemals Abschied nehmen vom liebenden Gott und seinem Sohn Jesus Christus."

Die Musik zur Messe kommt aus allen Kontinenten. Aborigenes tanzen uralte Stammestänze, als das Evangelium, die Heilige Schrift auf die Bühne getragen. Das Didgeridoo ist zu hören, das Christentum nimmt die Kulturen der einheimischen Völker ernst, so die klare Aussage.

Besonders jubeln die deutschen Pilger, als Kardinal Pell sie in ihrer Sprache begrüßt. Und er dankt besonders den Kölnern für den wunderbaren Weltjugendtag 2005. Kardinal Meisner ist einer der deutschen Bischöfe, die die Messe am Altar mitfeiern. Er ist sichtlich gerührt, als George Pell ihn persönlich erwähnt und dankt. Alle Kardinäle und Bischöfe sind zu Beginn der Messe über das Wasser mit dem Boot zum Altar gefahren worden, ein großes Bild, das wirkt. Ohnehin sind es die Bilder, die von der „Opening Mass" hängen bleiben. Die Predigt von Kardinal Pell verhallt eher als steife Vorlesung. Ein Eindruck, den ich nicht nur alleine habe.  

Die Kollegin vom Kölner Stadtanzeiger, mit der ich ungefähr siebzehn Gatter und Gitter überklettern, dutzende Polizisten und Ordner hartnäckig überreden musste, bevor wir endlich unsere Plätze auf der Pressetribüne gefunden haben, meint auf einmal nachdenklich: „Gibt es weltweit eine Veranstaltung, auf der sich so viele, eine Millionen Jugendliche aus aller Welt friedlich und fröhlich treffen?" Auch ich bin gerührt vom Anblick der nicht enden wollenden Pilgerschlangen, die geduldig warten, die singen und tanzen, ohne einen Tropfen Alkohol, ohne Randale und Krawall. Heitere Jugendliche, die aus allen Kontinenten kommen und feiern. Manchmal scheint das Leben ganz einfach und man denkt nur: „Geht doch!"

Sydney gehört schon an diesem Abend ganz der Jugend der Welt. Überall trifft man sie, auf den Plätzen, in den Parks, auf den Promenaden am Ufer des Hafens. Und auch wenn die Organisatoren alles getan haben, um Stimmung in der Stadt zu verbreiten, hat man immer das Gefühl, dass die Mädchen und Jungen sich zwar freuen über die vielen bunten Angebote, aber auch ohne Pauken und Trompeten, ohne Jux und Dollerei würden sie feiern, ihre eigene Party, unter einer Palme zum Beispiel hier gleich vor dem Pressezentrum, da improvisieren Italiener, Mexikaner und Deutsche auf ihrer eigenen Bühne und amüsieren sich bis spät in die Nacht. Alles was dazu gehört sind zwei Gitarren.

Der Weltjugendtag hat nun offiziell begonnen und jetzt warten alle auf Papst Benedikt. Alles ist für einen großen Empfang bereitet.