DOMRADIO.DE: Sie stehen in Kontakt mit den Menschen im Vatikan. Wie ist die Lage im Moment? Der Rest Italiens ist ja fast komplett lahmgelegt.
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Es mag vielleicht banal klingen, aber man macht dort das Beste aus der Situation. Der Vatikan hat entschieden, dass er weiter funktionsfähig sein möchte. Aber das führt auch dazu, dass es zu Komplikationen kommt.
Einige Freunde von mir müssen noch jeden Tag in ihre Kongregation oder Kurienbehörde gehen, weil sie Sachen verwalten, die eine Geheimhaltung erfordern, bei der kein Dokument aus der Kongregation heraus darf. Die sind also dazu verpflichtet, jeden Tag - zumindest morgens - in ihre Büros zu gehen. Und das fordert natürlich einiges ab. Diese Leute können kein Homeoffice machen.
Ähnlich ergeht es den Leuten in der vatikanischen Kommunikation. Wenn ich daran denke, wie bewundernswert zum Beispiel die deutsche Redaktion des L'Osservatore Romano in einer Mindestbesetzung ihre Arbeit leistet. Ähnliches gilt für die Kollegen bei Vatican News, die auch ihre tägliche Arbeit verrichten und das unter diesen schwierigen Umständen. Man versucht wirklich das Beste aus der Situation zu machen, auch zum Wohle der Weltkirche.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn so grundsätzlich mit der Quarantäne im Vatikan aus? Der Rest Italiens ist so gut wie komplett lahmgelegt. Aber der Vatikan muss ja über das Schicksal von über einer Milliarde Katholiken entscheiden. Gerade jetzt, wo sich so große Fragen anstellen, wie: Was machen wir mit Ostern, wenn es Ausgangssperren gibt?
Nersinger: An Ostern denke ich noch gar nicht so sehr. Ich denke an die normale Arbeit. Wir haben zum Beispiel das päpstliche Staatssekretariat, das ja die Zentrale für all die Ausführungen des Papstes ist und auch eine Anlaufstelle ist. So etwas muss natürlich funktionieren.
Da muss man sich fragen: Inwieweit sind die baulichen Gegebenheiten im Vatikan ausschlaggebend? In der Kommunikationsbranche haben wir neuerdings Großraumbüros, auf der anderen Seite haben wir kleine, enge Büros. Beides ist nicht so gut für die Arbeit in der Quarantäne. Aber da muss man Möglichkeiten finden.
Vielleicht muss man wichtige Institutionen separieren und aufteilen. Wir haben ja erlebt, dass der Generalvikar des Papstes gestern positiv getestet wurde und damit stehen natürlich auch viele seiner Mitarbeiter unter Quarantäne. Das muss man versuchen zu minimieren.
DOMRADIO.DE: Es gibt eine Infektion in Santa Marta, im Gästehaus, wo auch Papst Franziskus lebt. Er gehört mit 83 Jahren zur Risikogruppe, hat seit seiner Jugend nur noch einen Lungenflügel. Was weiß man von ihm? Wie schützt er sich?
Nersinger: Das ist natürlich ein Problem, auch für diejenigen, die sich um den Heiligen Vater sorgen müssen - das sind die Leibwächter, aber auch die ganze Crew, die ihn umgibt. Der Papst ist da natürlich auf der einen Seite ein großes Vorbild, und das spornt auch viele an. Er zeigt sich in dieser Lage sehr aktiv - das haben wir vor kurzem noch auf dem Petersplatz bei der Erteilung des Segens Urbi et Orbi gesehen.
Aber es ist für ihn eine kritische Situation, was seine Lebenssituation angeht. Ein Vorschlag ist, dass der Heilige Vater in den Apostolischen Palast umzieht. Dann ist er in einem Gebäude, das ihn mehr schützt. Es gibt dort große, weitläufige Räume und er ist dort weniger Leuten ausgesetzt. Vielleicht muss man den Heiligen Vater noch überzeugen, dass er, wenn es kritisch werden sollte, in den Apostolischen Palast zieht.
Das könnte auch einen guten Nebeneffekt haben. Denn ich erinnere mich aus vielen Gesprächen, dass man im Zweiten Weltkrieg während der deutschen Besatzungszeit immer zum Apostolischen Palast aufgeschaut hat. Dort sah man immer das Arbeitszimmer des Papstes erleuchtet. Alle anderen Verantwortlichen, der König und die italienische Regierung, hatten Rom verlassen. Und da war das ein Hoffnungszeichen. Vielleicht kommt man wieder in eine solche Situation hinein.
DOMRADIO.DE: Benedikt XVI kommt da einem ja auch sofort wieder in den Kopf, der ist ja nochmal zehn Jahre älter als Papst Franziskus und altersgeschwächt. Weiß man, wie es ihm im Moment geht?
Nersinger: Man hat ja im Vatikan entschieden, dass man ihn separiert, dass man Mater Ecclesiae hermetisch abriegelt. Dafür sorgt die päpstliche Gendarmerie. Und im Grunde war auch ich sehr froh, dass man so gut wie nichts von ihm hörte. Das war ein gutes Zeichen, weil das ja auch ein Schutz für ihn ist. Da geht niemand zu ihm hin, da erleben wir auch nicht diese unsäglichen Selfies, die wir aus der Vergangenheit kennen.
Es gibt jetzt aber auch Quellen, die sagen, es ginge ihm gut, er würde beten. Ich denke, es war bisher ganz gut, dass man Mater Ecclesiae in Ruhe gelassen hat, und ich hoffe, dass das zum Schutz des emeritierten Papstes so bleibt. Denn es ist wirklich eine große Gefährdung in seinem Alter.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.