Singen macht glücklich - vor allem in Gemeinschaft. Doch was, wenn die Corona-Pandemie Chören, Bands und Gottesdienstteilnehmern den Mund verbietet und nur noch das einsame Singen unter der Dusche bleibt? Landauf, landab leiden begeisterte Sänger unter den fortgesetzten Schutzmaßnahmen.
Rudelsingen
David Rauterberg setzt etwas dagegen. Der Musiker aus Münster hat vor rund 10 Jahren ein ausgesprochen erfolgreiches Musikformat erfunden: das Rudelsingen. Dabei singen Hunderte in Kneipen, Theatern, Konzertsälen oder auf Marktplätzen - unterstützt von Gitarre und Klavier - zusammen ein buntes Programm von Rockklassikern über Schlager und Chansons bis zu Gospel und Kinderliedern. Textsicherheit ist nicht erforderlich: Die Texte werden per Beamer auf die Wand geworfen.
Von Flensburg bis ins Allgäu haben Rauterberg und sein Mitstreiter Matthias Schneider sowie weitere Rudelsing-Teams seitdem fast 2.000 Mal zum Rudelsingen eingeladen - mit ständig wachsenden Zuspruch. Auch im benachbarten Ausland wurde die Marke übernommen. Bis Corona kam.
Doch jetzt soll die Erfolgsgeschichte trotz Pandemie-Beschränkungen weitergehen. Am 4. Juni startet um 19.00 Uhr das bundesweit erste Online-Rudelsingen mit einer einstündigen Live-Übertragung aus dem JOVEL Club in Münster. Das Besondere daran: Rauterberg und Schneider haben die Songs mit mehr als 50 Sängern vorher eingesungen.
Wer sich per Smartphone, Tablet oder Computer in die Live-Veranstaltung zuschaltet und mit den Musikern mitsingt, soll dann - anders als bei vielen bisherigen Internet-Initiativen - das Gefühl bekommen, in einem großen Chor zu singen. Ein digitales Chorerlebnis.
Anmeldung nötig
"Die Leute waren so glücklich, wieder singen zu können", berichtet Rauterberg von den Vorarbeiten. Mit dabei sein werden Songs von den Toten Hosen, Andreas Bourani, Sting, Abba, den Beatles und vielen anderen, Deutsch und Englisch gemischt - für jeden etwas. Der Musiker hofft, dass sich nicht nur einzelne Sänger beteiligen, sondern auch Familien, Freundeskreise oder Nachbarschaften - natürlich mit entsprechendem Abstand. Wer bei der Premiere mitmachen will, muss sich auf www.rudelsingen.de. anmelden. Der Zugang kostet einmalig einen Euro pro Gerät.
Der Name "Rudelsingen" leitet sich vom Ausdruck "Rudelgucken" ab, der sich nach der Fußball-WM 2006 als Synonym für das gemeinschaftliche Verfolgen der Spiele etwa in Kneipen und Biergärten eingebürgert hat.
"Das Wort Rudel steht für das Lockere dieser Veranstaltungen", sagt Rauterberg. "Es ist ein Grundbedürfnis, miteinander zu singen", glaubt der Musiker. "Ich habe den Eindruck: Jeder Zweite singt gern. Aber die Gelegenheiten dazu fehlen."
Dabei gehörte Deutschland lange zu den Ländern, in denen besonders wenig gesungen wird. Experten führen das auch auf den Missbrauch des Gesangs durch die Nazis zurück. Das Singen und besonders deutsche Volkslieder galten lange als kitschig, verstaubt und reaktionär.
Mittlerweile aber hat sich der Trend wieder gedreht: Der Deutsche Chorverband jedenfalls sieht das Singen wieder im Aufwind. "Das Singen erfreut sich wachsender Beliebtheit", unterstreicht er. Auch die Chorszene sei "so vital wie lange nicht mehr". Allerdings: Traditionelle Chöre leiden weiter an Schwund. Immer öfter aber gibt es inzwischen Projekt-Chöre oder Gesangsinitiativen wie die großen Weihnachtssingen in deutschen Fußballstadien.