Im Paradies war noch alles in Ordnung. Frei von Kleidung und Scham bewegte sich der von Gott geschaffene Mensch. Ganz so, wie es 2016 am Nürnberger Staatstheater für die Ballett-Oper "Les Indes Galantes" von Jean-Philippe Rameau inszeniert wurde. Dort sprang auf der Bühne eine Schar nackter Tänzer und Tänzerinnen inmitten üppig rankender grüner Blätter umher und freute sich des Lebens. Ein groß an die Wand projizierter Mitschnitt dieser Szene bildet den Auftakt zur neuen, durchaus gewagten Sonderschau im Freisinger Diözesanmuseum.
150 Kunstwerke rund um die Lust
"So eine Schweinerei", mag mancher Besucher denken. Aber er soll erstmal Platz nehmen auf den barocken Polstermöbeln und sich umschauen. Dann wird er entdecken, was aus diesem unbekümmerten Umgang mit dem eigenen Körper geworden ist. Zwei Bilder stehen sich in diesem Raum direkt gegenüber: einerseits jenes, das die nackte Eva mit dem Apfel in der Hand wie auf einem Präsentierteller in der Mitte zeigt, während die dahinter versammelten Bischöfe und Heiligen sich bemühen, bewusst an ihr vorbei zu schauen. Gilt es doch einem anderen Ideal zu huldigen: Maria, der Mutter Gottes.
Mehr als 150 Kunstwerke von über 52 Leihgebern aus acht Ländern sind unter dem Titel "Verdammte Lust!" vom 5. März bis 29. Mai zu sehen. Von der Antike bis ins frühe 19. Jahrhundert wird der Bogen gespannt. Bewusst will man sich in diesem kirchlichen Haus mit dem Spannungsfeld von Sexualität und Religion im Spiegel der Kunst auseinandersetzen. Vertreten sind Künstler wie Leonardo da Vinci, Tintoretto, Lucas Cranach, aber auch Artemisia Gentileschi und Guido Reni.
Vor mehr als 60 Jahren hätte diese Ausstellung vermutlich für einen Skandal gesorgt, schon gar nicht hätte sie in einer kirchlichen Einrichtung gezeigt werden können. Doch durch den Missbrauchsskandal ist die katholische Morallehre in Sachen Sexualität endgültig unter Beschuss geraten. Zu sehr klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Dass es überhaupt so weit kam, alles Körperliche zu verdammen und nur das reine und jungfräuliche Ideal über alles zu stellen, daran ist vor allem, aber nicht nur Augustinus schuld.
Der Meister von Grossgmain hat den Kirchenvater um 1500 als in der Heiligen Schrift lesenden Bischof dargestellt, der als Attribut ein vom Pfeil durchstoßenes Herz mit sich führt. Die Liebe zu Gott ist es, die bei ihm über allem steht, nachdem er die körperliche in seinem früheren Leben hinter sich gelassen hat. Seine Ehelehre erlaubt verheirateten Paaren den Beischlaf zur Fortpflanzung. Anonsten gilt auch für sie Enthaltsamkeit. Aber mit den Sinnesfreuden ist das so eine Sache. So leicht lassen sie sich nicht abstellen.
Ausgestellte Bilder geben "Männerphantasien" wieder
Wie gut, dass es Maria Magdalena gibt. Als Büßerin mit wallender, blonder Mähne samt freizügigem Auschnitt und Totenkopf in der Hand malte sie Andrea Vaccaro zwischen 1635 und 1640. Der Auftrag kam von einem Prior, der das Gemälde in seiner Zelle aufhing. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Die ausgestellten Bilder, so die Verantwortlichen, sind zumeist "Männerphantasien", entsprechend lasziv sind bisweilen die Frauen dargestellt. Eher homoerotisch kommen die Bildnisse und Skupturen des von Pfeilen durchbohrten Märtyrers Sebastian daher. Der auch als Soldatenheiliger gilt.
Die Furcht vor der Frau wird auf dem ebenfalls von Vaccaro stammenden Gemälde des heiligen Kajetan offensichtlich. Mit offenem Mund begafft er, geschützt in seinem Messgewand, die nackte Maria Magdalena. Der Gründer des Theatinerordens wird ansonsten eher in Verzückung vor einer Monstranz oder während der Zelebration gezeigt. Darf man Jesus eigentlich nackt am Kreuz zeigen, bekanntlich würfelten doch die Soldaten um sein Gewand? Man darf. Jedenfalls Michelangelo tat es, wie ein ihm zugeschriebenes Kruzifix zeigt.
Wer vor den Bildern steht, dürfte manches Werk nochmal mit völlig neuen Augen sehen. So lässt sich selbst bei einem frommen Sujet wie einer Verkündigungsszene ein Amor entdecken. Die Ausstellung will Diskussionen anstoßen. Dabei hilft am Ende sogar Leonardo da Vinci. Seine Kreidezeichnung eines "fleischgewordenen Engels" (1513-1515) zeigt einen jungen Mann mit erigiertem Glied und dem angedeuteten Ansatz eines Busens. Willkommen in der aktuellen Gender-Debatte.