Direktor der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem zum Papstbesuch

"Botschaft, die von Milliarden Menschen gehört werden wird"

Am ersten Tag seiner Israel-Reise besuchte Papst Benedikt XVI. die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem. Der Direktor der Gedenkstätte Jad Vaschem, Avner Schalev, im Interview über die Erwartungen an den Besuch des im Vorfeld sowie die Debatte um Pius XII. und dessen Seligsprechung.

 (DR)

KNA: Herr Schalev, was erwarten Sie vom zweiten Besuch eines Papstes in Jad Vaschem?
Schalev: Papst Johannes Paul II. hat ein sehr wichtiges Wort gesagt: 'Eine Schoah kann es nur geben, wenn es keinen Glauben gibt'. Papst Benedikt XVI. wird seinen Weg suchen, wie er die Schoah sieht. Die Erinnerung an den Holocaust ist nicht nur wegen des Blicks in die Vergangenheit wichtig, sondern damit sich eine Schoah nicht wiederholt.

KNA: Es ist eigentlich nicht üblich, dass offizielle Besucher in der «Halle der Erinnerung» Reden halten. Benedikt XVI. wird es tun.
Schalev: Das ist richtig, und wir erlauben das nicht mal US-Präsidenten. Doch wir machen eine Ausnahme: beim Papst. Es wird jetzt zum zweiten Mal ein Papst in der «Halle der Erinnerung» eine Rede halten. Nicht die Gesten sind bei der Zeremonie entscheidend, sondern der Inhalt dessen, was der Papst sagt. Wir bieten ihm eine Bühne für eine Botschaft, die von Milliarden Menschen gehört werden wird.

KNA: Stimmt es, dass Jad Vaschem verbietet, in der «Halle der Erinnerung» Deutsch zu sprechen?
Schalev: Es gibt kein Gesetz. Aber es ist eigentlich üblich, dass die offiziellen Gäste Rücksicht auf die Gefühle von Holocaust-Überlebenden nehmen und es deshalb vermeiden, sich auf Deutsch zu äußern. Im Fall des Papstes ist das aber irrelevant, da er bei all seinen öffentlichen Auftritten Englisch sprechen wird.

KNA: Ein Höhepunkt des Besuches von Johannes Paul II. in Jad Vaschem war dessen Begegnung mit Holocaust-Überlebenden. Ein solches Treffen wird es dieses Mal auch gebe.
Schalev: Ja. Wir haben vier Frauen und drei Männer ausgewählt, die ein ganz unterschiedliches Schicksal hinter sich haben. Sie stammen unter anderem aus Griechenland, Mazedonien und Polen. Es handelt sich um fünf Überlebende und einen «Gerechten unter den Völkern», der in Israel lebt und dafür geehrt wurde, unter Einsatz seines Lebens Juden gerettet zu haben.

KNA: Werden Sie dem Papst ein Geschenk überreichen?
Schalev: Wir haben eines der wichtigsten Bilder unserer Sammlung ausgewählt und für den Papst eine Kopie herstellen lassen. Es ist ein Bild des jüdischen Künstlers Felix Nussbaum, der 1904 in Osnabrück geboren und von den Nazis in Auschwitz umgebracht wurde.

KNA: Wie steht es um die Kontroverse um Papst Pius XII. und die umstrittene Schrifttafel in der «Halle der Schande» in Jad Vaschem?
Schalev: Wir stehen in dieser Frage in ständigem Kontakt mit dem Vatikan, alle paar Tage oder Wochen, zumeist über den Nuntius Antonio Franco. Im März haben wir zudem ein Seminar veranstaltet mit Forschern aus aller Welt. Der Vatikan hatte auch Experten geschickt.
Die Stimmung war sehr freundlich und vor allem sehr sachlich.

KNA: Worum ging es inhaltlich?
Schalev: Es gibt drei Punkte, über die wir mit wissenschaftlichen Mitteln Klarheit bekommen wollen. Erstens gibt es seit Rolf Hochhuths Buch «Der Stellvertreter» die Ansicht, dass der Papst zum Holocaust geschwiegen habe. Klar ist, dass der Papst unter diesen Umständen nicht getan hat, was man von ihm hätte erwarten können, nämlich sich öffentlich zu dem Judenmord in Europa zu äußern. Es gibt nur eine Predigt, in der er dazu aufrief, das Töten von Menschen einzustellen. Aber Juden wurden da nicht speziell genannt.

KNA: Und die weiteren Punkte?
Schalev: Der zweite Bereich ist die Frage, inwieweit der Papst dazu beigetragen hat, Juden das Leben zu retten. Da verlangen wir Beweise. Hat der Papst stille Anweisungen gegeben? Oder haben die Priester in Europa ohne Anweisung aus dem Vatikan gehandelt? Auch die Frage, ob Pius XII. antisemitisch eingestellt war, ist offen.

Ein dritter Aspekt ist die Frage der jüdischen Waisen, die in Klöstern gerettet wurden. Einige wurden getauft und nach dem Krieg nicht wieder freigegeben. Wir wissen von einem Treffen des Rabbiners Jizhak Herzog 1946 mit Papst Pius XII. Da hat er dieses Thema angeschnitten und verließ das Treffen erschüttert und zutiefst verärgert.

KNA: Hat das Seminar konkrete Ergebnisse gebracht?
Schalev: Es gab auf jeden Fall einen bemerkenswerten Ausspruch des Nuntius. Er sagte: 'Du kannst nicht Katholik sein und den Holocaust verleugnen.' Das war für mich ein ganz wichtiger und entscheidender Satz, der ganz gewiss mit dem Vatikan abgesprochen war.

KNA: An den Vatikan wiederholen Sie ständig die Forderung, seine Archive zur Amtszeit von Pius XII. (1939-1958) zu öffnen.
Schalev: Dazu gibt es eine sehr wichtige und erfreuliche
Entwicklung: Wir haben aus zwei Quellen, darunter durch ein Gespräch mit dem Papst selbst, das Versprechen erhalten, dass die Dokumente im Vatikan-Archiv binnen fünf Jahren katalogisiert und registriert werden. Vom Papst erfuhren wir, dass es im Interesse der Kirche sei, diese Archive so schnell wie möglich zu öffnen. Das ist eine neue und sehr bedeutsame Entwicklung. Wir wissen freilich, dass das noch mit viel Arbeit verbunden ist, aber der Vatikan will wohl auf Weisung des Papstes weitere Fachkräfte rekrutieren, um diesen Prozess zu beschleunigen. Es gibt jetzt ein klares Ziel und vor allem eine konkrete Zeitvorstellung.