Dirigent Daniel Barenboim geht wieder mit seinem Verständigungsorchester auf Tournee

Zwischen Krieg und schönen Künsten

Er macht Musik zu Politik und umgekehrt. Daniel Barenboim versteht sich als Vermittler zwischen Welten, die einander selten zuhören. Mit seinem israelisch-arabischem Orchester geht er nun auf Tournee – und besucht dabei auch den Papst in seiner Sommerresidenz.

Autor/in:
Natalia Matter
 (DR)

Mit Klang gegen Grenzen anspielen, das ist seine Mission. Denn Musik ist das, was er kann, sagt Daniel Barenboim, Stardirigent, Pianist, Idealist. Dabei handelt der 69-Jährige nach dem Leitsatz: "Das Unmögliche ist oft einfacher als das Schwierige". Er ist Argentinier, Israeli und palästinensischer Ehrenbürger. Und er hat sich vorgenommen, die Grenzen zwischen Israel und den arabischen Ländern zu überwinden - nicht nur die physischen, auch die gedanklichen. Wegen dieses Engagements wurde der Chefdirigent der Berliner Staatskapelle im vergangenen Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert.



Hör- und sichtbarstes Resultat von Barenboims Idealismus ist das "West-Eastern Divan Orchestra", in dem etwa 100 junge Musiker aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und anderen arabischen Ländern zusammen spielen. "Nach zwei Stunden Probe habe ich das Hassniveau auf null reduziert", konstatiert der Maestro. Zwar könne es danach wieder einen Knall zwischen den Musikern geben. "Aber in diesen zwei Stunden haben wir Frieden." Am Samstag (07.07.2012) beginnt ihre diesjährige Tournee in Berlin. Am 11. Juli will das Orchester unter anderem in der päpstlichen Sommerresidenz in Castel Gandolfo dem Papst mit der 5. und 6. Sinfonie von Ludwig van Beethoven zum Namenstag gratulieren.



"Man sieht immer wieder, wie ähnlich sie sich alle sind"

Das Orchester habe das Leben aller verändert, die in ihm mitwirkten. "Ein Israeli und ein Syrer, die während der Probe am gleichen Notenpult gesessen haben, sitzen auch beim Essen nebeneinander und hören sich zu", sagte Barenboim der Wochenzeitung "Die Zeit". Auch die erneut zugespitzte Situation im Nahen Osten und der Arabische Frühling des vergangenen Jahres konnten dies nicht torpedieren. Im Gegenteil: Für die diesjährige Saison hätten sich mehr junge Musiker beworben als zuvor, sagt Muriel Páez, die Leiterin der Barenboim-Said-Stiftung, die das Orchester trägt.



Gegründet hat Barenboim das Orchester, das nach dem "West-östlichen Divan" Goethes benannt ist, 1999 mit dem inzwischen verstorbenen palästinensischen Publizisten und Literaturwissenschaftler Edward Said. "Wir wollten in Ermangelung einer politischen eine menschliche Lösung schaffen", sagt Barenboim. Der Kosmopolit wurde am 15. November 1942 als Sohn russisch-jüdischer Migranten in Argentinien geboren und wanderte als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Israel aus.



Die Musiker aus teils verfeindeten Ländern proben jeden Sommer einige Wochen zusammen, bevor sie auf Tournee gehen. "Man sieht immer wieder, wie ähnlich sie sich alle sind", sagt Barenboim. "Sie reagieren sehr ähnlich auf die Musik, auf das Wetter, auf das Essen, auf mich." Der oftmals barsche, autoritäre Dirigent bringt die jungen Menschen dazu, seine Leidenschaft zu teilen. Der Klang des Orchesters ist intensiv wie Barenboims Dirigat.



Leicht untersetzt und grauhaarig, dabei von einer unglaublichen Energie getrieben, kämpft er sich immer wieder über zahlreiche politische Hürden. Gegen israelischen Widerstand gelang ihm 2005 ein Konzert des "West-Eastern Divan Orchestra" in Ramallah im Westjordanland. Aus Solidarität mit den Palästinensern trat er im Mai 2011 mit einem Ensemble aus verschiedenen europäischen Orchestern in Gaza auf.



Heftig beschimpft wurde Barenboim, als er 2001 bei einem Konzert mit der Berliner Staatskapelle in Jerusalem als Zugabe die Ouvertüre zu Tristan und Isolde des von den Nationalsozialisten verehrten Richard Wagners darbot. Auch mit seiner schonungslosen Kritik hat sich der UN-Friedensbotschafter nicht nur Freunde gemacht: "Kein Volk hat das Recht, ein anderes zu besitzen, auch nicht das jüdische Volk", sagte er dem Fernsehsender ARTE. "Was dort passiert, das ist Apartheid."



Barenboim will mehr

Feinde mag er seine Kritiker nicht nennen. Doch "es gibt viele, die denken, ich sollte lieber hübsch Klavier spielen und das Maul halten". Nichts liegt dem mehrfach für Musik und Friedensengagement ausgezeichneten Workaholic ferner. Barenboim ist nicht nur Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, Gastdirigent zahlreicher Orchester und Pianist mit reger CD-Produktion. In Berlin, Ramallah und in palästinensischen Flüchtlingslagern hat er Musikkindergärten gegründet, und er fördert junge Musiker in den Autonomiegebieten.



"Eine Stunde Geigenunterricht in Gaza oder Ramallah ist eine Stunde ohne Gewalt", kommentiert Barenboim. Zudem hat er in Berlin ein Institut gegründet, in dem junge Israelis, Palästinenser und Deutsche an ihren Instrumenten ausgebildet werden.



Auch geografisch will Barenboim seine Bemühungen, den Dialog zwischen Feinden zu fördern, ausweiten. Im August 2011 spielte das "West-Eastern Divan Orchestra" in der entmilitarisierten Zone zwischen den beiden koreanischen Staaten. Nächste Wunschziele sind der Gaza-Streifen und der durch die arabische Revolution berühmte Tahrir-Platz in Kairo: "Eines Tages werden wir in der Lage sein, in allen Ländern zu spielen, die im Orchester repräsentiert sind, ich glaube daran."