domradio.de: Fangen wir mit der Fiktion an, also dem "Tatort". Sie haben ihn gestern mit der Familie gesehen. Im Diözesanrat beschäftigen Sie sich ebenfalls mit dem Thema Sterbehilfe. Wie haben sie den Tatort gesehen?
Cornel Hüsch (stellvertretender Vorsitzender des Diözesanrats im Erzbistum Köln): Zunächst mal ist ein Tatort keine Doku auf Arte, der Krimi lebt von Übertreibung, Überspitzung und auch von Erfindungen. Er hatte einen großen Spannungsbogen, ein sehr überraschendes Ende, aber für die Tiefe der Fragestellungen waren doch einige Aussagen und Sequenzen zu flach.
domradio.de: Nachher haben Sie in ihrer Familie diskutiert. Was waren da die Knackpunkte?
Hüsch: Mein Sohn kam gerade vom Praktikum aus dem Krankenhaus zurück. Meine jüngste Tochter macht gerade Abitur. Die Hauptknackpunkte waren: Wie kann es eigentlich passieren, dass Menschen alleine gelassen werden in der Not des Sterbens? Und vor allem die Angehörigen so alleine gelassen werden. Wie kann es passieren, dass es organisierte Sterbehilfe gibt und Menschen daran verdienen. Und die Frage, wie Menschen sich den Tod herbeisehnen und ihn dann, mit Hilfe, erhalten. Das waren schwierige Fragen, die uns eine ganze Zeit gestern Abend beschäftigt haben.
domradio.de: Im Tatort tauchte eine christliche Sekte auf, die da ganz massiv vorgegangen ist...
Hüsch: Ja, das fand ich skurril. Dramaturgisch vielleicht hochgeputscht, aber das gibt es nicht. Ich habe das recherchiert, in der Schweiz hat es das noch nie gegeben. Mir ist das auch in anderen Ländern nicht bekannt, dass es christliche Sekten gibt, die sich vor das Haus stellen, wo die Sterbenden hinkommen. Und dann in einer bigotten Art und Weise "Schande, Schande" rufen. Das hat mir wehgetan. Das war eine schlimme Übertreibung und zum Glück gibt es das nicht, das war Fiktion des Tatorts.
domradio.de: Kommen wir von der Fiktion zur Realität, denn in Belgien wurde ein Minderjähriger oder eine Minderjährige getötet, wie beurteilen sie diese Entscheidung?
Hüsch: Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Eröffnung von Möglichkeiten der Sterbebegleitung, des assistierten Suizids aber auch der Sterbehilfe auf einer schiefen Ebene, der Beginn ist. Wir erleben nun, dass tatsächlich die Möglichkeiten ausgereizt werden. Die Belgier hatten zunächst ein Gesetz, das es verboten hat, einen Minderjährigen im Sterben zu begleiten oder gar in diesem Fall auch zu helfen. Das ist vor zwei Jahren im Rahmen einer Diskussion aufgelöst und aufgeweicht worden.
Ich habe die ganz große Befürchtung, dass wir auf einer schiefen Ebene sind, wo am Ende nicht mehr der Mensch entscheidet, wie er leben möchte und auch in welcher Form er das Leben bis zum Ende leben möchte, sondern dass andere entscheiden.
domradio.de: Wer trifft bei Minderjährigen überhaupt diese Entscheidung?
Hüsch: In Belgien ist es so geregelt, dass das Kind angehört wird, aber am Ende die Eltern und die Ärzte die Entscheidung treffen. Das ist aus meiner Sicht eine völlige Verwirrung und Verirrung und fast der erste Schritt in Richtung Euthanasie. Wo über Menschenleben entschieden wird, wie in einem bürokratischen Vorgang: ein Stempel drunter und erledigt. Das kann nicht der Weg sein und ich bin sehr froh, dass wir in Deutschland weit weg davon sind.
Diese ernsthafte Diskussion im Bundestag, die der Diözesanrat auch begleitet hat und sehr kritische Forderungen gestellt hat, hat deutlich gemacht, dass wir in Deutschland einen ganz breiten Konsens haben: Wir wollen eine Hilfe beim Sterben geben, aber nicht eine Hilfe zum Sterben. Wir wollen die Sterbenden begleiten und das hört nicht beim Sterbenden auf, sondern bezieht auch die Angehörigen mit ein.
Es ist ein Plädoyer für eine gute, qualifizierte und durchfinanzierte palliative Versorgung, die auch die wertvolle Arbeit der Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen in den Hospizen in den Vordergrund stellt. Den Menschen zu zeigen, dass wir das Leben als Gottes Geschenk annehmen, vom Anfang bis zum Schluss und alles dafür tun, dass jeder Mensch sein eigenes Schicksal und sein eigenes Leben auch leben kann.
Das Interview führte Hilde Regeniter