Taliban rufen offiziell "Islamisches Emirat Afghanistan" aus

Doch was bedeutet der Name eigentlich?

Wie in Europa gab es in der islamischen Geschichte immer eine komplizierte Beziehung zwischen politischer und religiöser Macht. Das geistliche Amt des Kalifen gibt es nicht mehr. Dafür einen weiteren Emir.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Taliban-Kämpfer patrouillieren in der Stadt Ghazni südwestlich von Kabul, Afghanistan. / © Gulabuddin Amiri/AP (dpa)
Taliban-Kämpfer patrouillieren in der Stadt Ghazni südwestlich von Kabul, Afghanistan. / © Gulabuddin Amiri/AP ( dpa )

Am Donnerstag haben die Taliban offiziell das "Islamische Emirat Afghanistan" proklamiert, wie nach der Einnahme Kabuls angekündigt. Der Name weckt schlimme Erinnerungen an die talibanische Schreckensherrschaft von 1996 bis 2001. Doch was bedeutet Emirat überhaupt und was sagt das über das Staatsverständnis der "Gotteskrieger" aus?

Emir: "Führer" oder "Befehlshaber"

Emir kommt aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie "Führer" oder "Befehlshaber" (daher übrigens der Dienstrang "Admiral"). Die Nachfolger Mohammeds, die Kalifen, trugen den Ehrentitel Amir al-Mu'minin, Befehlshaber der Gläubigen. Damit wurde deutlich, dass sie sowohl politisches wie religiöses Oberhaupt waren, denn beide Sphären sind im Islam strenggenommen nicht zu trennen. Aber auch für ihre Provinzgouverneure und militärischen Kommandeure diente der Name Emir.

Schon bald wurde klar: Das Riesenreich der Kalifen ließ sich nicht zusammenhalten und zentral regieren. So entstanden neue Staaten, die als Emirate de facto souveräne Erbmonarchien waren und den Kalifen allenfalls nominell als religiöses Oberhaupt anerkannten. Am ehesten sind sie den europäischen Fürstentümern und Königreichen vergleichbar, die sich auf die Anerkennung der Päpste stützten, auch wenn solche Vergleiche immer schwierig sind.

Als Staatsbezeichnung hat sich der Begriff bis heute erhalten: Kuwait und Katar sind Emirate und es gibt die Vereinigten Arabischen Emirate aus sieben selbstständigen Gemeinwesen. Außerdem existieren in den islamischen Landesteilen Nigerias formal Emirate.

"Befreites" Afghanistan als Gottesstaat

Vom Emir staatsrechtlich kaum zu unterscheiden ist der Sultan (arab. "Macht", "Stärke"). Ab dem 10. Jahrhundert übernahmen türkische Eroberer den Titel. Ähnlich wie die Emire beanspruchten sie die politische Souveränität über ihre Gebiete, beriefen sich aber zur religiösen Legitimation ihrer Macht auf den Kalifen in Bagdad. Auch die Herrschaftsform des Sultanats verbreitete sich in der ganzen islamischen Welt. Am bekanntesten sind die Sultane des 1918 untergegangenen Osmanischen Reiches. Jahrhundertelang trugen sie auch den Kalifentitel, obwohl sie die wichtigste Voraussetzung dafür gar nicht erfüllten - die Abstammung von der arabischen Familie Mohammeds.

Die erneute Selbstbezeichnung als "Emirat" zeigt, dass die Taliban wieder an den Nimbus des "goldenen" islamischen Zeitalters anknüpfen und dabei als islamischer Staat auf der Grundlage der Scharia anerkannt werden wollen. Im Grunde zeigt der Begriff aber eine Art Selbstbeschränkung. Es geht den Taliban nicht um Expansion und missionarischen Eifer, sondern Ziel war immer ein von der Volksgruppe der Paschtunen dominiertes, "befreites" Afghanistan als Gottesstaat in den bestehenden Grenzen.

Taliban haben nie auf das Emirat verzichtet

Den großspurigen Anspruch der Terrormiliz "Islamischer Staat" auf ein neues Kalifat, mit ihrem 2019 getöteten Anführer Abu Bakr al-Baghdadi als "Kalif", haben die Taliban immer abgelehnt. Das bedeutet für sie aber auch: Solange es kein von der ganzen islamischen Glaubensgemeinschaft (Umma) akzeptiertes geistliches Oberhaupt gibt, liegt die religiöse Autorität beim Staatschef. Schon Taliban-Führer Mullah Omar nannte sich wie einst die Kalifen Amir al-Mu'minin. Nun dürfte sich sein Nachfolger Haibatullah Achundsada als neuer Emir mit dem Titel "Befehlshaber der Gläubigen" schmücken. Gemeint sind aber eben nur die Gläubigen in seinem Machtbereich, nicht in der gesamten islamischen Welt.

Übrigens haben die Taliban auch nach ihrer militärischen Niederlage gegen die US-geführten Truppen 2001 nie darauf verzichtet, das Emirat und den eigentlichen afghanischen Staat zu repräsentieren. Für sie bestand es weiter, in offiziellen Reden und auf Briefköpfen, wo immer sie ein Gebiet beherrschten und ihre radikale Version der Scharia durchsetzten.

Allerdings besteht noch ein wesentlicher Unterschied zu den mittelalterlichen Emiraten: Mehr als deren absolutistische Herrscher wird sich Achundsada immer eng mit den obersten Beratungsgremien der Taliban, den Schuras und ihren Kommandostrukturen abstimmen müssen. Die paschtunischen Kämpfer sind eine stark heterogene Organisation. Eine Erbmonarchie nach saudischem Vorbild dürfte das "Emirat Afghanistan" eher nicht werden. Fraglich ist aber ohnehin, wieviele Länder das neue Gebilde überhaupt anerkennen werden. Im ersten Durchgang vor 25 Jahren waren es gerade drei.


Quelle:
KNA
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