Himmelklar: Im Kloster Arenberg bringen Sie Wellness und Spiritualität zusammen – das ist schon besonders, oder?
Schwester Ursula Hertewich OP (Dominikanerin im Kloster Arenberg in Koblenz): Es ist schade, dass wir es als was Besonderes sehen müssen, weil es für mich zutiefst christliche Spiritualität ist. Das Christentum ist für mich die Religion, die Leib und Seele perfekt miteinander verbindet und wo das eigentlich viel zu kurz kommt. Deshalb tut es mir fast leid, dass es immer so besonders herausgehoben werden muss, dass wir auch was für den Leib tun und nicht nur die Menschen mit Impulsen versorgen.
Himmelklar: Im Gästebuch schreibt jemand: "Ich komme gerne wieder, denn ich liebe mich, wenn ich hier bin."
Sr. Ursula: Genau. Das hören wir öfter.
Himmelklar: Ein größeres Kompliment kann man kaum machen - ganz offensichtlich sind Ihre Gäste sehr bei sich, wenn Sie das Kloster besuchen.
Sr. Ursula: Ich glaube, das umschreibt es ganz gut. Man kann es vielleicht besser mit dem Gegenteil beschreiben: Ich komme irgendwo hin und fühle mich wie in so einer Löwenhöhle und habe Angst, mich zu bewegen oder dass irgendwas hochkommt. Bei uns im Haus versuchen wir den Menschen Raum zu geben mit ihren eigenen Themen. Da darf wirklich alles sein, da wird nichts verteufelt, da muss nichts ausgeblendet werden.
Allein, dass es mal so einen Raum gibt, wo ich sein darf und gewürdigt und wertgeschätzt werde, das tut der Seele und dem Leib so gut. Wir erleben, dass Menschen hier manchmal innerhalb von ganz kurzer Zeit aufblühen. Teilweise kommen sie sehr bedrückt, aus sehr anspruchsvollen Lebenssituationen heraus und manchmal haben sie auch so ein Stück weit die Hoffnung verloren, dass ihr Leben noch mal gut werden kann und darf.
Allein, dass sie hier sein dürfen und nichts bringen müssen und einfach angenommen sind, das hat eine ganz große Wirkung. Dann fällt es natürlich auch leicht, sich selber zu lieben und zu würdigen, wenn ich gewürdigt werde.
Himmelklar: Haben die Gäste, die zu Ihnen kommen, denn mehrheitlich einen Glaubensbezug?
Sr. Ursula: Das würde ich fast nicht sagen. Interessanterweise kommen mehr Evangelische als Katholische zu uns. Das ist auch schon mal ganz interessant, obwohl wir ein katholisches Kloster sind.
Sehr viele Menschen sind Kirchen-enttäuscht. Die kommen zwar ursprünglich aus einem kirchlichen Kontext, fühlen sich dort aber nicht mehr zu Hause. Da haben wir wirklich eine überwiegende Zahl. Ich glaube, die allermeisten, das kann man sagen, sind irgendwo auf der Suche – und spirituell auch ansprechbar.
Himmelklar: Wenn Sie sagen "spirituell ansprechbar": Wie zeigt sich das?
Sr. Ursula: Das zeigt sich, dass sie zum Beispiel in die Morgenimpulse kommen. Jeden Morgen um 8:15 Uhr gibt es in der Gästekapelle einen Impuls. Diese Impulse sind einfach voll. Das ist so ein bisschen die heilige Kuh bei uns. Da kommen sehr viele hin. Das heißt ja, die Leute wollen was hören.
Die kommen nicht einfach hierher, um das schöne Essen zu genießen und den Garten, sondern gerade die Impulse, die Gesprächskreise und die Einzelgespräche werden sehr gut gebucht. Damit steht und fällt auch alles im Haus. Da merke ich schon, dass da viele auch eine Sehnsucht haben, eine gute Botschaft mitzunehmen.
Himmelklar: Ist das eine unauffällige Missionierung?
Sr. Ursula: Wir wollen jetzt nicht jemandem den Glauben unterjubeln, aber wir wollen Lust machen auf das Evangelium. Das ist natürlich auch die Spiritualität unseres Ordens. Ich glaube, eine bessere Botschaft für die Welt gibt es nach wie vor nicht. Und ich bin persönlich so begeistert davon und glaube, dass da alles drin ist, was glückliches Leben ermöglicht. Das möchte ich gerne rüberbringen. Das möchten wir alle gerne rüberbringen.
Nicht in dem Sinne von – ich überrede dich jetzt zu irgendeiner Glaubensüberzeugung, sondern im Sinne von: Schau mal da rein. Das ist eine Aussage für dein Leben, die dich wirklich froh machen kann und eine Perspektive eröffnet.
Himmelklar: Sie haben mir gesagt, dass Sie kommende Woche Urlaub haben. Wo verbringen Sie den?
Sr. Ursula: Am Meer, wo keine Menschen sind. Das brauche ich auch einmal. So ein menschenleerer Strand und dort stundenlang spazieren gehen und den Wind um die Ohren blasen lassen. Das tut auch gut.
Himmelklar: Das heißt, es braucht manchmal auch eine kleine Pause von der Gemeinschaft, in der Sie ja sehr glücklich leben. Aber da muss man manchmal raus?
Sr. Ursula: Gemeinschaft ist sehr anstrengend. Menschen sind anstrengend. Eine Mitschwester von mir sagt immer, sie hasse Menschen.
Himmelklar: Ich habe so eine schöne Postkarte hier bei mir im Büro. "Ich hasse Menschen, Pflanzen und Tiere. Steine sind okay."
Sr. Ursula: Ja, genau so, also das haben wir natürlich auch im Kloster manchmal, dass es einfach auch sehr viel Begegnung ist und sehr viele Reibungen. Dann tut es auch gut, sich mal da herauszunehmen und mal einen anderen Raum zu betreten. Alleinsein tut auch manchmal gut.
Himmelklar: Sie haben mal in einem anderen Interview gesagt, dass Ihre Mitschwestern Sie maximal nerven können. Wie denn?
Sr. Ursula: Wir sind ein ganz wild zusammengewürfelter Haufen von Menschen, die sich nicht ausgesucht haben. Allein das und die Verschiedenheit ist manchmal anstrengend. Die eine ist da total empfindlich, wo ich überhaupt keine Baustelle hab. Das ist manchmal stressig, aber irgendwie auch total schön. Es hält auf jeden Fall sehr lebendig.
Himmelklar: Worauf kommt es an, dass Zusammenleben trotzdem gelingt?
Sr. Ursula: Wichtig ist, sich immer wieder zu versöhnen. Bei uns knallt es oft, bei uns gibt es oft Reibungen. Manchmal gibt ein Wort das andere. Was ich immer wieder faszinierend finde, ist da, dass man dann mal drei Tage stinkig ist, aber dann ist es auch wieder gut. Dieses einander nicht nachtragen, einander sein lassen und dann auch wertschätzen, dass wir alle hierher gerufen sind.
Dass es nicht unsere Lieblingsidee war, dass wir so zusammenleben, sondern dass es jemanden gibt, der uns alle gerufen hat und so auch immer wieder zu würdigen, wer wir sind und dass wir auch so verschieden sein dürfen, ich glaube, das ist das Wichtigste. Nicht, dass man sich nicht streitet, aber dass man sich wieder versöhnt. Das finde ich ganz wichtig.
Himmelklar: Das sucht man in der Gesellschaft oft vergebens. Im Moment haben viele das Gefühl, es gibt so einen Positionierungszwang und wenig Toleranz, wenn man auf andere Meinungen trifft. Alles ist schwarz oder weiß – man muss sich entscheiden. Glauben Sie, dass sich das, was Sie in Ihrem Ordensleben erleben, übertragen lässt auf das größere Ganze?
Sr. Ursula: Ich glaube tatsächlich, dass wir durch diese Art des Miteinanderlebens vielleicht der Gesellschaft das wichtigste Zeugnis heute geben. Also ich denke, von unserem Glück mit Armut, Keuschheit, Gehorsam – das haben viele Menschen auch.
Das ist eigentlich gar nichts so Besonderes mehr. Aber dieses Gemeinschaftsleben, wo wir Tag für Tag einander eben nicht lassen und nicht sagen, die Schwester ist doof, mit der will ich nichts mehr zu tun haben, kann vielleicht heute das größte Zeugnis sein, was wir der Gesellschaft als Ordensgemeinschaft geben können.
Ich wünsche mir das so sehr, weil es in unserer Gemeinschaft auch alles gibt. Da gab es zum Beispiel auch eine Corona-Leugnerin, was ich total anstrengend fand. Trotzdem sagen wir nicht, du darfst jetzt nicht mehr dazugehören oder du fliegst jetzt hier raus. In der Gesellschaft passiert das sehr oft. Jemand macht einen Fehler und fliegt einfach raus.
Diesen Raum der Barmherzigkeit einander zu eröffnen, diesen Neubeginn zu schenken, das ist was, was für mich im Moment gesellschaftlich absolut zu kurz kommt. Und das ist mehr als einfach nur Toleranz. Toleranz ist einfach nur, ich ertrage dich jetzt halt. Aber wir leben miteinander und das ist, finde ich, schon ein wichtiges Zeugnis. Das ist anstrengend. Aber es ist ein ganz großer Reichtum. Das merke ich auch.
Himmelklar: Die Dominikanerinnen auf dem Arenberg gibt es seit 150 Jahren. Seit 150 Jahren geht es immer um dasselbe Thema – um heilende Liebe mit dem Nächsten und darum, dass man durch Gebet und Stille Menschen begleitet. Glauben Sie, das wird auch in 100 Jahren noch so sein?
Sr. Ursula: Ich hoffe es. Wir haben jetzt gerade eine Zukunftsvision für 2029 entwickelt. Die ist so prickelnd. Es war total schön, mit so einer alten Gemeinschaft mit einem Altersdurchschnitt von 83 Jahren noch mal in die Zukunft hineinzudenken, dass es für uns eine wunderbare Zukunft wird. Wie würde das für uns aussehen? Da haben wir eine Vision geschrieben.
Ich finde diese Vision so prickelnd, dass ich mir sehr sicher bin, dass es mit unserer Gemeinschaft weitergeht – und auch gut weitergeht. Ich glaube, wir sind sehr bereit, auch ungewohnte Wege zu beschreiten. Das haben wir in den letzten Jahren schon getan. Wir suchen auch neue Formen von gemeinschaftlichem Leben, die wir hier experimentell umsetzen. Ich hoffe und bete, dass in 100 Jahren auch noch heilende Liebe auf dem Arenberg und sonst wo gelebt wird von Arenberger Dominikanerinnen.
Das Interview führte Verena Tröster.