DOMRADIO.DE Blogger Johannes unterwegs auf dem Katholikentag

Nicht schon wieder Zahlen!

DOMRADIO.DE auf dem Katholikentag in Stuttgart! Unser Blogger Johannes treibt sich herum auf dem Glaubenstreffen und blickt auch auf die Dinge jenseits des offiziellen Programms. Wird laufend ergänzt ...

Abschlussgottesdienst zum Katholikentag (DR)
Abschlussgottesdienst zum Katholikentag / ( DR )

"Brauchen Sie einen Regenponcho?“ werde ich vor der Abschlussmesse auf dem Schlossplatz von einem freundlichen Helfer gefragt, der kostenlose Regencapes anbietet. Jetzt bloß eins nicht – jetzt bloß kein Regen. "Wenn Sie einen haben, regnet es nicht.“ Da greife ich zu und tatsächlich bleibt es trocken. Obwohl es frisch ist, kühl, wer eine warme Jacke hat, ist schon mal glücklich.

Zahlen? Nein, jetzt nicht schon wieder Zahlen. Irgendwann muss auch mal gut sein. Wir alle haben kapiert, dass der Katholikentag schlecht besucht war – und auch die Abschlussmesse ... Nein, keine Zahlen, man sieht auch so, dass sich die Gläubigen hier nicht auf den Füßen stehen, dass große Freiflächen leer bleiben.

In der Dialogpredigt fragt Bischof Bätzing: "Wozu braucht es noch die Kirche?" Eine Frage, die auch nach dem Katholikentag bleiben wird. "Damit wir die Zuversicht nicht verlieren", antwortet der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Der mit der Missbrauchskrise verbundene Vertrauensverlust ist massiv. Es ist noch ein langer Weg, bis die Kirche Glaubwürdigkeit zurückgewinnt. Bevor die Bischöfe nicht glaubhaft gemacht haben, dass sie in der Lage sind, sexualisierte Gewalt in den eigenen Reihen aufzuklären und die Opfer angemessen zu entschädigen, wird ihnen und damit auch der Kirche in der Rede von und über Gott keiner mehr zuhören. Auf dem Podium zum Thema "Sprache der Kirche" ging es genau darum. Der Elefant stand auf dem Katholikentag in fast allen Räumen.     

"Dieses Jahr war überhaupt wenig los. Es gab Veranstaltungen, da ist gar keiner hingegangen," und: "Die Leute sind halt sehr ernüchtert. Ich glaube, dass sie sehr resigniert sind.“ Im Zug auf der Rückfahrt nach Köln sitze ich neben enttäuschten Katholikentagsbesuchern. Die Süddeutsche Zeitung zitiert heute das Stuttgarter Motto: "Leben teilen" und fragt: "Teilen mit wem? Mit der katholischen Kirche wollen derzeit nicht mehr so viele Menschen ihr Leben teilen". Stimmt. Der Weg aus der massiven Krise ist noch lang und die Schatten der Vergangenheit verdunkeln nach wie vor den katholischen Himmel. "Komm, Herr Jesus, komm auch in unsere Zeit", sagt Bischof Bätzing am Ende der Predigt. Krieg in der Ukraine, Corona-Pandemie, Klimawandel. Die Welt ist aus den Fugen und die Menschen sind ratlos und müde. Gerade jetzt bräuchten sie Zuversicht – und die kann eine Kirche, der die Menschen weniger vertrauen als dem ADAC, zurzeit nicht bieten.

"Geht, seid ein Segen"

"Wieviel Uhr ist es? We don’t care", ruft Judy Bailey auf der Bühne um zehn Uhr. "Nein, das geht nicht. Um zehn Uhr ist Nachtgebet“. Der Moderator kann nix dafür, aber er muss hier der Spielverderber sein.

Am Samstag ist große Abschlussfete des Katholikentags auf allen Bühnen der Stuttgarter Innenstadt. Auf den Straßen tanzt der Bär. Judy Bailey und Band heizen das Publikum ordentlich ein – mit vor Lebensfreude strotzendem Gospel. Die einheimische Jugend freut sich über so viel Musik in der Stadt. Die Luft vibriert. Das ist Musik zum Mittanzen. Und das tun dann auch alle. Gewissermaßen ist dieser Partyabend auch ein Geschenk an Stuttgart. Wann gibt es sowas schon. Musik auf allen Plätzen der Stadt, flotter Sound in der schwäbischen City.

Doch – wie gesagt – um 22 Uhr muss Schluss sein. Schließlich gibt es Ordnungsämter, die sonst sehr böse werden. Also aus die Maus. Es folgt pünktlich das Nachtgebet. Und hier trennt sich schnell die säkulare Spreu vom katholischen Weizen. Während auf der Bühne eine Kerze aufgebaut wird, halbiert sich die Zuschauer- und Tänzerschar. Die Stuttgarter Jugend verschwindet in Clubs und Bars, während alle, die einen orangen Kirchentagsschal tragen, warten.

"Bleiben sie ruhig noch da", ruft der Moderator. "We pray for peace", springt ihm Judy Bailey bei. Gemeinsam mit ihrer Band spielt sie ein langsames, ein leises, ein fast stilles Friedenslied. Kerzen werden verteilt. Das ist stimmungsvoll und schade eigentlich, dass dann doch viele gegangen sind. "Herr, segne und behüte uns, lass dein Antlitz über uns leuchten", betet der Moderator und dann: "Geht, seid ein Segen".     

Wir können nicht mit einem Halleluja alles schön singen

Schlossplatz. Samstagnachmittag. Auf der Bühne vor mir läuft die Generalprobe für die Abschlussmesse morgen Vormittag. Die Stadt ist gedrängt voll – wie das an Samstagen so ist. Viele gehen shoppen und tragen viele Mango-, H&M-, Zara-Tüten (immerhin alle aus Papier). Menschen mit orangen Katholikentagsschals fallen kaum auf. "Es ist doch beeindruckend, dass 25.000 Gläubige trotz Corona und Kirchenkrise den Weg nach Stuttgart gefunden haben", sagen die Katholikentagsmacher auf der Abschluss-Pressekonferenz am Mittag. Und doch bleibt das Gefühl, dass der Schuh des Katholikentags hier einige Nummern zu groß war – für die Zahl der Besucher. Zu viele Bühnen, zu viele Podien, zu viele bunte Meilen. Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr sagt: "Am kommenden Dienstag beginnen wir mit den Gesprächen über den kommenden Katholikentag in Erfurt. Da werden wir uns ganz anders aufstellen müssen."

Jetzt sind die Messdienerinnen und Messdiener bei der Generalprobe dran. Der aufkommende Wind zerzaust ihre Gewänder, die sie immer wieder gerade ziehen müssen. Im Hotelzimmer hat mich der Domradio.de-Radiowecker in der Früh mit den Nachrichten geweckt. Trump hat auf der Hauptversammlung der NRA, der National Rifle Association, trotz des Massakers an einer Grundschule mehr Waffen gefordert. Weil das Böse existiere sei das notwendig, sagt er. Was ist das für ein Weltbild? Und in Kiew hat sich die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats von Moskau losgesagt und ihre völlige Selbstständigkeit verkündet. Mit diesen Nachrichten im Kopf geht es zum Bibelimpuls. Auch das ist eine Erkenntnis des Katholikentags: die spirituellen Angebote waren fast alle ausgebucht.

"Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Der Friede sei mit Euch", schallt es vom Schlossplatz herüber. Und wenig später: "Was mutet uns das heutige Evangelium zu. Die Steinigung des Stephanus". Was sind das für Sätze, die da in die Fußgängerzone geweht werden? Manch Einkaufsbummler dreht sich verwundert um. Umlagert sind die hoch in den Himmel ragenden goldene Schutzengelflügel, die das Hilfswerk missio aufgebaut hat. Alle wollen ein Selfie mit den Flügeln des Engels im Rücken. Eine Gruppe Jugendlicher bittet mich, auf ihre Einkaufstüten aufzupassen und ein Foto der Gruppe mit Flügeln zu machen. Klar – kein Problem.

"Wir können uns mit einem Halleluja nicht alles schön singen", hat Claudia Nothelle, die Vize-Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken heute Morgen auf der Domradio.de Bühne gesagt. Der Kirche gehen die Anhänger verloren – es muss etwas passieren, sonst wird das "Ehre sei Gott" nur noch in der Sakristei gesungen.      

Unterwegs im Auftrag des Heiligen Vaters

Kennen Sie Mr. Bean? Mr. Bean ist der tollpatschige Held einer britischen Comedyserie aus den frühen 90er Jahren. Er ist sehr eigenwillig, bisweilen anarchistisch und findet sich in der modernen Welt nur schwer zurecht. Auf dem Katholikentag in Stuttgart ist er ständig unterwegs – zielstrebig eilt er durch die Straßen. Egal ob ich mittags in einem Café sitze oder abends in einem Restaurant, ich schaue nach draußen und wen sehe ich? Mr. Bean eilt vorbei. Heute habe ich ihn bestimmt fünfmal gesehen.

Im wirklichen Leben ist Mr. Bean natürlich nicht Mr. Bean, sondern Erzbischof Dr. Nikola Eterovic, Botschafter des Papstes für die katholische Kirche in Deutschland. Offiziell heißt das Apostolischer Nuntius. Seine hervorstechende Nase, der akkurate dunkle Scheitel, die aufgerissenen, ungläubig staunenden Augen und vor allem sein aufrechter Gang verraten ihn. Es gibt keinen Zweifel: Erzbischof Eterovic war in seinem früheren Leben Mr. Bean. Doch was läuft er so hastig durch Stuttgart? Wohin ist er ständig unterwegs? Vorbei an der Pagode für theologische Zoologie, ruckhafte Bewegung des Kopfes zur Seite, der große Esel aus Pappe irritiert ihn, natürlich ist das ein Zitat aus der Weihnachtsgeschichte. Aber wo ist Maria, wo Josef, wo ist das Jesuskind? Was machen die hier in Deutschland? Vom Zölibat betroffene Frauen treffen sich in einem Zelt. Drei Schritte weiter: Maria 1.0, Maria 2.0. KDFB? Katholischer Deutscher Frauenbund? Herrje? Frauenbünde in der katholischen Kirche, deren Markenkern doch immer das Männerbündische war und ist und bleiben sollte!

Mr. Bean, ähem – natürlich Eterovic sucht da doch lieber den Kontakt zu den Bischöfen. Er hastet von Gespräch zu Gespräch. Der Papst soll und muss das alles wissen, was hier passiert. Allzu liberale Untugenden listet er ordentlich auf, dazu die Bischöfe, auf die man sich noch verlassen kann. "Das sind ja nicht mehr viele in Deutschland", Eterovic seufzt und Eterovic kann seufzen, das hat ihn schon als Mr. Bean ausgezeichnet. Dabei zieht er die markanten schwarzen Augenbrauen hoch. Große Augen wird auch der Papst machen, wenn er das alles erfährt, das ist wohl sicher.

Wenn ich den Botschafter des Heiligen Vaters morgen wieder durch die Straßen eilen sehe, werde ich ihn ansprechen und fragen, vielleicht hat er drei schmale Minuten Zeit für einen Espresso im Restaurant Peter Pane. Ein Restaurant mit einem Gimmick, der mich auf eine Idee gebracht hat. Auf dem Lokus hört man im Lokal Peter Pane wie eine samtweiche Bassstimme, so tief wie die vom seligen Elmar Gunsch, Peter Pans Abenteuer vorliest. Toll – noch toller wäre da der Vorschlag, den Erzbischof Eterovic dem Papst mit nach Rom bringen könnte. Wie wäre es mit Bibellesungen auf allen vatikanischen Toiletten. Mr. Bean ließe sich davon sicher begeistern – also dürfte auch Eterovic darauf anspringen. Oder?

Ein schwarzer Kater namens "Mohrle"

"Parad-eis" gibt es am Stand des Erzbistums Berlin. Vanille, Erdbeere, Schokolade. Einige Meter weiter kann man beim Bistum Limburg zeigen, was in einem steckt und auf den Lukas hauen. Humor haben die Katholikentagsmacher auch. Die Reforminitiative "Wir sind Kirche" hat ihren Stellplatz direkt gegenüber der konservativen "Maria 1.0" Bewegung – und wenige Meter weiter machen "Vom Zölibat betroffene Frauen" auf sich aufmerksam.

"Wir vermissen die Kölner", sagt Roswitha Pass am Stand des Ruhrbistums Essen. "Bei den Kölnern war immer so eine gute Atmosphäre". Das Erzbistum Köln sucht man auf der Bistumsmeile vergeblich. "Die Kölner haben doch nicht etwa Angst vor uns – wegen des ganzen Troubles dort", vermutet jemand. Also kein Kölsch am Kölner Stand, wie in den Jahren zuvor, dafür schenken Limburg und Speyer bischöflichen Wein aus. Auf dem Weg zu Kanzler Scholz begegnet mir Walter Kardinal Kasper, der mit seinen 88 Jahren frisch und munter über den Katholikentag spaziert und immer wieder freundlich grüßt.

Viel Beifall für den Kanzler. Mehr Applaus gibt es höchsten auf dem SPD Parteitag. Im Gespräch mit ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp und Autorin Nora Bossong geht es um den Zusammenhalt in unsicheren Zeiten. "Putin darf mit seinem zynischen menschenverachtenden Krieg nicht durchkommen", sagt Scholz.

Meine Abendbekanntschaft Nora Bossong schafft es tatsächlich dem Kanzler Paroli zu bieten. Die Welt sei doch nicht erst seit dem Überfall Putins auf die Ukraine aus den Fugen, sie sei es schon lange vorher gewesen. Putins Landnahme in der Krim, sein Krieg in Syrien, sein mächtiger Einfluss in vielen Afrikanischen Staaten. Überhaupt habe Europa Afrika doch längst abgeschrieben. Scholz verweist auf die stattliche Entwicklungshilfe. Darauf Bossong: "Entwicklungshilfe sei ein Unwort". Entwicklungszusammenarbeit die viel bessere Bezeichnung.  

Dann geht es um die Energiewende, die Obdachlosigkeit, Bildung, den Hunger in Afrika, Corona, China, ... Ganz schön viele Themen. Nur die Kirchenkrise wird ausgespart. Wirklich interessant wird es, als Scholz aus dem Publikum gefragt wird, welche Ethik ihn denn geprägt habe und was seinen Wertekompass bestimme. "Füreinander da zu sein", sagt er kurz und knapp. Religion und Christentum spart Scholz, der aus der Kirche ausgetreten ist, hier bewusst aus. Ach ja, und dass er als Kind einen schwarzen Kater gehabt habe, der "Mohrle" hieß, das erzählt er auch noch. Ein Name, den man, sagt Scholz, heute nicht mehr vergeben dürfe.

Der Wille zur guten Laune ist da

Der Katholikentag ist eine Tankstelle. Katholiken können, dürfen und sollen hier auftanken. Denn sie haben es zurzeit schwer genug. In den vielen guten Gesprächen zwischen den vielen liebevoll eingerichteten Pagoden offenbart sich, was den Katholikentag auszeichnet. Das bunte Miteinander, das "sich gegenseitig bestärken" – hier dürfen sich Katholiken in den für sie doch schweren Zeiten unbeschwert wohl fühlen. "Der Wille zur guten Laune ist da", sagt ein Kollege, der seit Jahren über die katholische Kirche schreibt.

Und am Abend gibt es im "Ochs'n Willi" ein herzhaftes Gericht. "Ein Münchner im Himmel" oder doch den "Schwabenstreich". Den Tag Revue passieren lassen. Fandest du das Podium rund um die Kirchensteuer auch so lahm? Überhaupt: Könnte auf den Podien nicht kontroverser diskutiert werden, mit etwas mehr Pfeffer? Da fehlt doch oft die Spannung. Liegt sicher auch daran, dass so viele Podiumsteilnehmer eher kurzfristig abgesagt haben – und das nicht nur wegen Corona. Also blieb die Wolke des Wohlwollens bislang unbehelligt.

Die Gespräche, die zufälligen Begegnungen sind das Salz in der Katholikentagsuppe. Ich sitze – ganz ungeplant – neben Nora Bossong, eine Bestsellerautorin aus Berlin, die sich vor kurzem entschlossen hat, zur Erstkommunion zu gehen und das dann auch getan hat. Getauft war sie, aber dann geriet ihre Glaubensbiographie ins Stocken. Jetzt also die Erstkommunion. Ein selbstbewusstes Glaubenszeugnis. Die Hintergründe – zu vielfältig und zu persönlich, um sie hier zu veröffentlichen. Nora Bossong tut was, sie engagiert sich im ZdK, kämpft für das Überleben der Kirche. Davon erzählt sie mir und auch, dass sie morgen, am Freitag, mit Bundeskanzler Scholz auf einer Bühne sitzt. Wie aufregend. Das Thema: "Zeitenwende und Zusammenhalt. Gesellschaft und Politik in unsicheren Zeiten". Mein Gott, unverbindlicher und schwammiger ging es wohl nicht. Ich rate ihr, den drögen Kanzler mal ordentlich aufzuwecken, ihm zu sagen, dass die SPD wie auch de Kirche endlich damit aufhören sollen, sich immer wieder und mit verschwenderischer Kraft mit sich selbst zu beschäftigen und sich selbst zu zersägen. Die Positionen sind doch so einfach und klar. Kirche: Frohe Botschaft verkünden, Nächstenliebe und Erlösung. SPD: für eine gerechtere solidarische Gesellschaft eintreten, nachhaltig und global fair. Bin gespannt, ob Frau Bossong auf meinen Rat hört.   

Der Mehrwert des Glaubens?

Mit Pauken und Trompeten. Die Messe zum Himmelfahrtstag findet auf dem Schlossplatz statt. "In einer Krise hilft mir … Katholikentagsbesucher können sich auf großen Tafeln in Stuttgarts Fußgängerzone Mut machen und verschiedene Sätze ergänzen. "Singen" – hat da jemand geschrieben. "Ich bleibe weil …" – "ich noch ein wenig Hoffnung habe", notiert eine ältere Frau eher zögerlich.

Gleich nebenan lange Schlangen vor der Radio Vatikan Pagode. 50 Cent kostet hier eine Münze im gleichen pekuniären Gegenwert, aber statt Brandenburger Tor oder König Albert ziert diese besondere Münzen das druckfrische Wappen des Vatikan "Citta del Vaticano". 50 Cent für 50 Cent? Was bringt denn das? "Gück", sagt Stefan von Kempis, der Chef der Redaktion, der aus Rom angereist ist. Wenn man so will, ist das doch eine pfiffige Idee, den Wert bzw. Mehrwert des Kapitals auf den Prüfstand zu stellen und damit die Grenzen der säkularen Glückssuche zu hinterfragen. Was Karl Marx wohl dazu gesagt hätte? Aber halt, ein Glücksbringer ist ein Glücksbringer ist ein Glücksbringer und gut iss.  

Ist die Kirche noch zu retten? Kevin Kühnert, Bischof Bätzing, Irme Stetter-Karp und Dunja Hayali suchen auf einem Podium nach einer Antwort. Während des "public viewings" im Pressezentrum (ZDF überträgt live) höre ich, wie ein Kollege mächtig stöhnt. "Immer dasselbe", klagt er. "Der Missbrauchsskandal als Urgrund allen Übels“. Dabei sei es doch viel spannender, über den Relevanzverlust der Kirche in der säkularen Welt in größerem Rahmen nachzudenken. Relevanzverlust der Kirche – das ist hier ein großes Thema. Der Rundfunkkollege aus Sachsen neben mir atmet tief durch. Die Redaktionen im Osten Deutschlands seien dermaßen uninteressiert an einem Katholikentag in Stuttgart, stöhnt er. Und auch in anderen großen Medien wie Tagesschau oder BILD Zeitung kommt der Katholikentag an Himmelfahrt nur unter ferner liefen oder gar nicht vor. Ob es da sinnvoll ist, mit den Besucherzahlen sehr großzügig zu hantieren? Das tut der Katholikentag, indem er für die Eröffnungsveranstaltung am Mittwochabend meint, 6000 Teilnehmer gezählt zu haben. "Weit gefehlt", sagt ein Journalist, das seien höchstens 2500 gewesen. Und beim Himmelfahrtsgottesdienst hätten auch niemals, wie offiziell angegeben, 9000 Gläubige teilgenommen. "Hört doch auf um Tausend mehr oder weniger zu feilschen", fährt ihn ein Kollege genervt an: "Es sind ganz einfach wenig". Es wird immer klarer, nach diesem Katholikentag wird das Format dieses überdimensionierten Glaubensfestes neu definiert und sortiert werden müssen.

P.S. auf ebay kostet die 50 Cent Münze mit dem Vatikanlogo ca. 20 Euro

Bundespräsident am Mikrofon

Als Ehrengast hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Katholikentag in Stuttgart eröffnet und nimmt auch am Programm teil. Gegenüber DOMRADIO.DE-betonte das Staatsoberhaupt die gastfreundliche Atmosphäre in Stuttgart und das Bedürfnis nach Begegnung, gerade in Zeiten von Krise und Krieg.

Mittwochabend

Der Katholikentag in Stuttgart ist ein Glaubensfest. Die Sonne scheint, das Gras ist grün und das Bistum Rottenburg-Stuttgart verteilt blau-gelbe Solidaritätsschals für die Ukraine. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft als Gastredner der Eröffnungsfeier Putin dazu auf, den Krieg zu beenden. "Dona nobis pacem", singen alle und schwenken ihre Schals. Das ist richtig, das ist wichtig und das ist auch gut so.

 (DR)

Später am Abend gibt es Käpsele-Bräu (beim Empfang der Konrad Adenauer-Stiftung) und danach Wulle-Bier (bei der parlamentarischen Nacht der Grünen). Der Dresscode ist … na, sagen wir, bunt. Jesuiten (Pater Mertes) tragen Poloshirts und einen schmalen Rucksack. Ältere Herren in akkuraten Anzügen fallen durch knallige Turnschuhe auf. Rot, blau, grün, alles geht. Liegt vielleicht auch an den 42,5 Kilometern, die man pro Tag auf dem Katholikentag zu Fuß zurücklegt. Bischöfe tragen natürlich Bischofsklamotten, was sonst. Selbst Katholikentagsbesucher wären enttäuscht, wenn die Eminenzen hier in Jeans und T-Shirt herumliefen.

22 Uhr 30: "Minischterpräsident", so heißt das hier, Winfried Kretschmann spricht auf der Bühne der Grünen. Er ist gut drauf. Für die Grünen ist der Katholikentag 2022 ein echtes Heimspiel: "Sie sind hier in Stuttgart. Auf dem Katholikentag", sagt der Minischterpräsident, "das ist eine feine Sache". Alle lachen und freuen sich.

Die langen Abende auf Katholikentagen sind wertvolle Informationsbörsen. "Käpsele" heißt übersetzt "Zündplättchen" und das trifft es ganz gut. Besonders wenn nach drei, vier Käpsele Bräu und weiteren "Wulle" Bieren die Zunge lockerer wird und sich so manches Nähkästchen öffnet. Unter Medienmenschen tauscht man sich zum Beispiel aus, wer schon alles von sogenannten Headhuntern angerufen worden sei, Tenor: Wie und was und überhaupt für die vakante Stelle des Mediendirektors im Erzbistum Köln eine interessante Option sein könnte. Unklar bleibt, ob diese Anrufe als Auszeichnung zu bewerten sind. Personalfragen zu später Stunde zu diskutieren, ist heikel, besonders wenn sich der Horizont mit zunehmendem Alkoholgenuss ins Unermessliche zu weiten scheint und plötzlich Papst Franziskus auftritt. Was? Franziskus auf dem Katholikentag? Ich bitte um Contenance. Immerhin hat er eine Grußbotschaft geschickt  - an seine kunterbunte deutsche Katholikenherde. Er bittet um Demut, etwas von anderen annehmen zu können. Das sind Rätselworte, wie wir sie von Franziskus kennen, wie gemacht, um sich bis zum Morgengrauen die Köpfe darüber heißt zu reden, um dann auf dem nächtlichen Heimweg einer Sternschnuppe die Wahrheit abzulauschen.    

Mittwochmorgen

Am Hauptbahnhof angekommen, geht es zunächst durch lange provisorische Betontunnel, bis man das Licht der Innenstadt erblickt. Klar, Stuttgart 21, hier wird alles aufgewühlt und umgebaut. Welch ein passendes Symbolbild für die aktuelle Situation der katholischen Kirche, die sich in einer Krise befindet, die man fast unterirdisch nennen möchte.

 (dpa)

Es geht um eine glaubwürdige Erneuerung der Kirche. „Wir wollen Kraft tanken“, beschwört Claudia Lücking-Michel das Zentralkomitee der deutschen Katholiken auf der Vollversammlung, die unmittelbar vor dem Katholikentag stattfindet. „Natürlich ist die katholische Kirche keine Demokratie“, sagt sie, „aber das heißt noch lange nicht, dass Kirche in einer Hierarchie erstarren muss, wie wir sie gerade erleben“.

 (DR)

"Reformer unter sich. Prominente Konservative fehlen", titelt am Mittwochmorgen die Süddeutsche Zeitung und stellt fest, dass nicht nur Bischof Voderholzer oder Kardinal Woelki nicht nach Stuttgart kommen, sondern auch die gesamte Unionsspitze von Merz bis Söder abgesagt haben. Dass auch sämtliche Ministerinnen und Minister der Ampelkoalition, bis auf Cem Özdemir, nicht auf dem Katholikentag auftreten, trifft die Veranstalter. Durch die enorme, selbst verschuldete Krise  hat die katholische Kirche ihren Ruf so sehr ruiniert und ist so sehr ins Abseits geraten, dass sich Politiker nicht mehr mit Kirchenvertretern in der Öffentlichkeit zeigen wollen.

Mittwochmorgen, noch ist der Schlossplatz, noch ist die Fußgängerzone in Stuttgart leer. In den weißen Pagoden werden Teppiche verlegt, an der Hauptbühne werden die Scheinwerfer ausgerichtet. Am Abend findet hier der Eröffnungsgottesdienst statt. Wie steht es um die katholische Kirche? Braucht die noch jemand? Und: Ändert sich doch noch etwas in der katholischen Kirche in Deutschland? Fragen, auf die der Katholikentag in den kommenden drei Tagen nach Antworten sucht..