Donnerstag, 16. Juli (ergänzt)

Teil 14: Der Superdonnerstag - Endlich kommt der Papst

Sonnenaufgang in Sydney. Ein Jogger läuft an der Hafenpromenade, dann mitten durch die Stadt. Er genießt das Großstadtpanorama, freut sich über die vielen Weltjugendtagsfahnen, die überall flattern.

Gerettet: Der kleine Papagei / © Johannes Schröer (DR)
Gerettet: Der kleine Papagei / © Johannes Schröer ( DR )

Aber was hat er da für ein T-Shirt an? domradio steht auf seiner Brust.  Der Jogger heißt Dominik Schwaderlapp und ist Generalvikar in Köln. "Ich mache jeden morgen tüchtig Werbung für euch", hat er mir erzählt. Kurz überlege ich, ob ich morgen in aller Herrgottsfrühe nicht mitlaufen sollte, mein Chef vom domradio macht das auch immer. Aber dann verwerfe ich den Gedanken. Das kann ich immer noch tun, wenn ich auch einmal Chef bin. Super Thursday, so nennen sie diesen Tag im Frühstücksfernsehen: Super Thursday of popes visit in Sydney. Der aufgedrehte Morgenmoderator holt einmal tief Luft und dann rast er durch das Papstprogramm für diesen Donnerstag: … Gebet in der Mary McKillop Chapel, Besuch beim Prime Minister … bis zur Bootsfahrt … begleitet natürlich von einer stattlichen Flotte von Begleitschiffen … und dann die Fahrt mit dem Papamobil durch die Innenstadt. Puh, der Morgenreporter ist außer Atem und scherzt: „Wie mich dieses Programm schon außer Atem bringt. Wie anstrengend muss das dann erst für einen 82jährigen Mann sein."

In einer lustigen Studiorunde ulken die australischen Morgenmoderatoren herum und versuchen: „Franziskaner Weißbier" auszusprechen, das Lieblingsbier des Papstes und wundern sich dann, dass der kleine Josef Ratzinger schon mit fünf Jahren gewusst habe, dass er Kardinal werden wolle: „Andere wollen da Football Profi werden".

Um heute näher dran zu sein, bin ich umgezogen. Die Anfahrt vom College in die Stadt - jeden Tag neunzig Minuten hin und zurück - frisst doch zuviel Zeit. Ich will nicht leugnen, dass sich die Aussicht auf ein eigenes Zimmer, eine heiße Dusche, eine eigen Toilette UND ein warmes Bett meine Entscheidung durchaus mit beeinflusst haben. Wie die das machen? Die Jugendseelsorger, die Gruppenleiter, Mike Kolb, Dominik Meiering, Norbert Fink … man müsste sie hier alle einmal nennen.

Zwei Wochen schlafe ich nun in Flugzeug- oder Bussitzen, in Turnhallen, auf dem Fußboden des Pfarrheims, Klassenräumen, und ich bin rechtschaffen erledigt. Wenn ich morgens in der Frühstückshalle des Colleges in die Gesichter von Father Mike und Father Dominik schaue, dann sind diese Strapazen da abzulesen, blass und müde sehen sie aus. Dominik hat eine drei Tage dauernde Erkältung einfach ignoriert und ohne groß zu klagen, ohne den Anflug von Wehleidigkeit weiter gemacht. Sie sind erschöpft, aber das zeigen sie nicht, sie verlieren nicht den Schwung, sondern sind weiter fröhlich, die Gitarre gestimmt, geben sie den munteren Ton an. Eine enorme Leistung. Und wer lohnt es ihnen? Der liebe Gott. Ein wenig irdischen Applaus aber auch - bitte.

Etwas erstaunt bin ich, dass es mitten in der Stadt gar keine Probleme gibt, ein günstiges Hotelzimmer zu bekommen. Aldi, Mc Donald´s, Coca Cola und IBIS gibt es überall auf der Welt. Also nehme ich ein Ibis Zimmer direkt am Darling Harbour, zwei Minuten zu Fuß vom Pressezentrum. An der Rezeption erzählt man mir, dass noch mehr als genug Zimmer frei seien, schließlich sei Winter in Australien, keine Saison. Ein seltsamer Widerspruch zu den 500.000 Menschen, die heute die Innenstadt stürmen, um dem Papst zuzujubeln.

Frühstück, Bircher Müsli, Rührei, fünf verschieden Sorten Brot - ich bin im Paradies. Dann stürmt eine Gruppe lärmender US-Kinder den Frühstücksraum. „Boston to Sydney" steht auf einigen T-Shirts. Ich traue meinen Augen nicht, die gut gefütterten Amis kommen auf Socken, in ihren schäbigen Trainingsanzügen, manche sogar barfuss - können die nicht wenigstens Flip-Flops überstreifen? Reisen war früher auch einmal etwas anderes. Das halslose Ungeheuer mir gegenüber kaut mit offenem Mund. Das sieht so dumm aus. Zu den molligen robusten Mädchen, die sich mit klodeckelgroßen Pranken kräftig und kumpelhaft auf die Schulter schlagen und sich einen fetten Teller baked beans in den Wanst schaufeln, kann ich mir sofort die amerikanischen Farmerväter vorstellen mit ihren stolz nach vorn gewölbten Farmerbäuchen. Wie hatte der australische Kommentator des Papstbesuchs in Melbourne über die dicken weißen katholischen Wohlstands-„cats" geschrieben? Die Zeit für sie sei vorbei. Hier kann man sie noch besichtigen. Amerika, du hast es nicht besser. So, das musste mal gesagt werden. Jetzt wollen wir wieder das Gute im Menschen sehen. Schließlich kommt gleich der Papst.

Um mich vorzubereiten, will ich noch im Pressezentrum im Covention Center vorbei schauen. Auf dem Weg dorthin sehe ich wie ein kunterbunter Papagei in vollem Flug gegen die verspiegelten Scheiben eines Hochhauses kracht und vor mir auf den Boden knallt. Da liegt er, leblos, nein nicht leblos, man sieht wie das kleine Herz den Körper aufgeregt und in großer Not beben lässt. Exotische Ibis-ähnliche Vögel mit langen spitzen Schnäbeln kommen dazu und wollen frech auf den kleinen Papagei, grünes Gefieder, knallrote Brust, blauer Kopf mit gelbem Kranz, einpicken. Das Tier, ein kleiner kaputter Paradiesvogel, guckt ganz hilflos. Wütend verscheuche ich die garstigen Ibisse mit den stochernden Schnäbeln. Was soll ich jetzt machen. Ich muss auf den kranken Papagei aufpassen, setze mich und lese die Zeitungen. Manchmal rappeln sich Vögel nach so einem Unfall wieder auf, hoffe ich, sie brauchen nur eine Ruhepause.

„One billion cast their eyes on our holy city", steht im Daily Telegraph. Jetzt machen sie Sydney schon zur Heiligen Stadt. Die Euphorie kennt keine Grenzen. Auf großen Photos ist Benedikt zu sehen, wie er eine Python streichelt, da schaut er eher fragend den Tierpfleger an: „Es kann doch nichts passieren", aber als er dem Koala auf einem anderen Bild den Kopf krault, lacht er wie ein Kind, das sich freut.

Wie lange kann ich noch bei dem kunterbunten Papagei sitzen bleiben? Ich beschließe einen Polizisten anzusprechen, vielleicht kann der helfen. Doch als ich aus dem Schneidersitz aufstehen, stellt sich auch der Papagei auf die Zehenspitzen, reckt den Kopf und fliegt geschwind davon. Wie mich das anrührt. Ganz begeistert gehe ich nun meines Weges.

Welch eine Luxusaussicht wir auf den Presseplätzen haben. Direkt vor uns die Papstbühne und die bunte Pilgerschar. Auf Fernsehschirmen am Arbeitsplatz können wir genau verfolgen, wo sich der Papst gerade aufhält, wie er unterwegs ist, und wen er trifft.

Auf dem Weg zur „Sydney 2000", so heißt das Schiff, das der Papst gleich besteigt, heißen ihn Aborigenes willkommen. Sie tanzen jahrtausendalte Stammestänze. Welch´ ein Kontrast, welch ein Aufeinandertreffen der Kulturen. Der Papst schreitet in seinem vornehmen Renaissance-Gewand, weißes Kleid, roter Umhang, eher steif und langsam, vor ihm tanzen die Aborigenes, werfen Arme und Beine durch die Luft, als könne der Mensch viel mehr als nur gehen und laufen, als habe er den Tieren die leichten und fließenden Bewegungen abgeschaut. Sie sind erdfarben und im Gesicht mit Asche bemalt, man ahnt, dass sie ein besonderes, ein spirituelles Verhältnis zur Natur haben. Von einem Aborigene wird der Papst nun begrüßt, plaudert ein wenig mit ihm, umarmt seine Frau. Auf dem Boot weht ein frischer Wind, zuviel Wind für die Kappe des Papstes. Wie der Wind sein weißes Haar zerzaust, auftürmt, und auch mit dem Gewand spielt. Begleitet wird das Papstboot, das genauso aussieht wie das beim Weltjugendtag in Köln, von einer Armada anderer Schiffe, Feuerwehrboote, die mit Fontänen den Papst feiern. Aber der Heilige Vater genießt nicht nur einfach die Aussicht, sondern begrüßt australische Einwanderer aus allen Kontinenten unter ihnen auch Anna Gräfin von Spee aus Deutschland.

Es geht nun durch den Hafen am Opernhaus vorbei zur Bühne am Darling Harbour.  Da heizt ein Moderator das Publikum bereits kräftig an, etwas zu laut und affektiert, wie ich finde, das wäre gar nicht nötig, die Jugendlichen sind auch so schon ganz aufgeregt, dass gleich der Papst kommt. Vom Schiff aus kann Benedikt die über 150.000 Mädchen und Jungen schon sehen, direkt neben ihm steht ein Aborigene, beide winken fröhlich. Und auch als der Papst die Serpentinen zur Bühnen hoch schreitet, geschieht das zu den Rhythmen der Ureinwohner. In einem Kanu, das Einwohner der Tokelau Inseln schultern, wird das Evangelium nach vorn getragen. In Erinnerung daran, dass vor vielen Jahren Missionare die Frohe Botschaft ebenfalls in einem Kanu auf die Inseln gebracht haben.   

„Ich bin tief bewegt, jetzt auf Ihrem Land zu stehen", sagt Benedikt zu den Nachfahren der Ureinwohner Australiens: „ich weiß, was sie erlitten haben, und ich hoffe auf die Versöhnung, an der nun alle arbeiten." Die tiefe Verbundenheit mit der Natur und der achtsame Umgang mit Pflanzen und Tieren macht einen wesentlichen Teil der Spiritualität der Aborigenes aus. Vielleicht denkt der Papst auch daran, als er in seiner Begrüßungsrede die Bewahrung der Schöpfung konkret anspricht. Für ihn, so erzählt er den Jugendlichen, sei es immer noch etwas Besonderes mit dem Flugzeug unterwegs zu sein, und wie vor wenigen Tagen um die halbe Welt zu fliegen. „The view of our planet were truly wondrous." Und diesen wunderbaren Planeten, „the Genesis Creation", gelte es zu bewahren. Er kritisiert die Abholzung der Regenwälder, die rücksichtslose  Ausbeutung der Bodenschätze. Viele Jugendliche kämen aus Ländern, wo der Wasserspiegel bedrohlich steigt, andere würde erleben, wie zuhause Wassermangel und Trockenheit das Land immer mehr  verwüsten.

Aber es geht dem Papst nicht nur um den Schutz der ökologischen Umwelt, er spricht auch die soziale Umwelt an. Er warnt davor, sich von Gott abzuwenden und der Ideologie des Säkularismus und Relativismus zu folgen. Die Würde des Menschen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod dürfe nicht in Frage gestellt werden, sagt der Heilige Vater. Er ist etwas heiser und muss dann und wann husten.

Den Text liest er ab, sich eher mühsam durch die englische Sprache arbeitend. Zwanzig Minuten dauert das. Die Sätze, die auf seinem Papier stehen, sind lang und kompliziert, fast philosophisch. Für viele Jugendliche ist es nicht einfach, seinem Vortrag zu folgen. Der gleichförmige Singsang macht schnell müde. Dazu kommt seine ganz eigene Art der englischen Aussprache, die klingt sehr deutsch, nicht sehr musikalisch, er kämpft mit den Vokalen und dem „th" und wäre bei meinem alten Englischlehrer bestimmt nicht mit einer guten Note belohnt worden. Aber - mein Gott - das ist der Papst und da geht es um andere weltwichtigere Dinge!

Großer Jubel, mehr Jubel als in dem ganzen Vortrag zuvor, unter den deutschen Pilgern als der Papst sie dann auch auf Deutsch grüßt: „Sprecht mutig von eurem Glauben, auch wenn ihr zuweilen auf Widerspruch stößt." In fünf Sprachen heißt Benedikt die Jugendlichen der Welt willkommen. Die Weltmeister im Jubeln sind eindeutig die Spanier, die wollen den Papst gar nicht weiter reden lassen.

Als der Papst nach Ende der Begrüßungsfeier mit seinem Papamobil durch die Menge fährt, drängen sich die Mädchen und Jungen. Sie wollen ihm besonders nah sein, sie haben ein herzliches Verhältnis zu Benedikt. Er freut sich darüber. Fragt man allerdings nach, ob sie sich an seine Ansprache erinnern können, so geben sie zu, dass sie entweder nur Bruchstücke oder gar nichts verstanden haben. Selbst ein Mädchen aus Australien, das doch eigentlich englisch gut verstehen müsste, meint, sie habe sich nicht darauf konzentrieren können. Ein Dommessdiener aus Köln sagt klipp und klar, er habe gar nicht zugehört, die Party um ihn herum sei wichtiger gewesen. Ich frage mich, ob der Papst weiß, dass die Jugendlichen gar nicht mitbekommen, was er sagt. Ich frage mich, ob man das nicht anders lösen kann. Vielleicht einfach kürzer, vielleicht persönlicher, vielleicht frei gesprochen. Denn einmal, auf Nachfrage,  erinnert sich doch ein Mädchen an einen Ausschnitt in der Ansprache. Sie meint, der Papst habe von seinem Flug nach Sydney erzählt und wie sehr er sich über den Anblick der Erde aus der Luft gefreut habe. Da wurde er persönlich, da hat er eine Geschichte erzählt. Aber ein anderes Mädchen beruhigt mich, es käme gar nicht darauf an, was Benedikt sage. Seine Ausstrahlung, seine Art sei es, die ihr Herz öffne.

Auf dem Weg zurück treffe ich noch Lars Kretschmer. Er ist 24 Jahre alt, kommt aus Köln und ist Protestant. Beim Weltjugendtag in Köln hat er als freiwilliger Helfer gearbeitet. Er war damals so begeistert, dass er sich auch für Sydney angemeldet hat. „Für mich ist das nicht nur ein Treffen der Kulturen und Nationen sondern auch der Konfessionen", freut er sich. Bereits im Flugzeug seien schon Scherze gemacht worden, einen Protestant dürfe man doch gar nicht mitnehmen. „Die Diskussionen untereinander sind aber sehr interessant - über die Ansichten, beiderseitig." Und bei den Messen? Geht er zur Kommunion? „Wieso muss das getrennt sein?" fragt er und meint dann ganz pragmatisch: „Ich nehme daran teil. Wir sind doch alle Christen."

Ein langer Tag geht für den Papst zu Ende. Um halb acht begann der mit einer Heiligen Messe in der Chapel des St. Mary´s Cathedral House. Bis um 18 Uhr war er dann unterwegs, über zehn Stunden, viele wichtige Termine. Doch trotz seiner 82 Jahre wirkte er nicht müde oder angestrengt. Er ist munter, fit und man sah ihm die Freude über die Begeisterung der Jugendlichen aus aller Welt deutlich an.