Dramatiker Rolf Hochhuth wird 85 Jahre alt

Der Abarbeiter

Es gibt Schriftsteller, deren Name vor allem mit einem Werk verknüpft ist. In diese Kategorie gehört Rolf Hochhuth, der jetzt 85 Jahre wird. Sein Theaterstück "Der Stellvertreter" sorgte 1963 international für Aufsehen.

Autor/in:
Joachim Heinz
Rolf Hochhuth auf der Buchmesse in Leipzig / © Hendrik Schmidt (dpa)
Rolf Hochhuth auf der Buchmesse in Leipzig / © Hendrik Schmidt ( dpa )

Die große Geste beherrscht er - immer noch. Im Mai 2012 erklärte Rolf Hochhuth schlagzeilenwirksam seinen Austritt aus der Berliner Akademie der Künste. "Ich weigere mich, neben Antisemiten zu sitzen", lautete seine Botschaft an die Adresse der Akademie, die eine Diskussion über das kurz zuvor veröffentlichte israelkritische Gedicht "Was gesagt werden muss" von Literaturnobelpreisträger Günter Grass (1927-2015) auf die Tagesordnung ihrer Vollversammlung gesetzt hatte.

Seine Angst, die Debatte werde "einseitig zugunsten des Iran und der Palästinenser auf Kosten Israels" ablaufen, habe sich als nur allzu berechtigt erwiesen, so Hochhuth, der Grass' Gedicht ein "antisemitisches Pamphlet" nannte und "einen Text, den sehr gern - der 1946 in Nürnberg gehängte - Julius Streicher in seinem 'Stürmer' gedruckt hätte". Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist so etwas wie ein Lebensthema von Hochhuth, der am 1. April 85 Jahre alt wird.

Debatte um Pius XII.

Gleich mit seinem Erstlingswerk sorgte der gelernte Buchhändler für internationales Aufsehen. In seinem "christlichen Trauerspiel" mit dem Titel "Der Stellvertreter" stellte er 1963 die Rolle der Kirchen während des NS-Regimes auf den Prüfstand. Mit seiner These, der Vatikan und Papst Pius XII. (1939-1958) hätten während des Judenmordes durch die Nationalsozialisten zu wenig getan, um Menschenleben zu retten, spaltete der damals 32-jährige Hochhuth die Öffentlichkeit.

Allein beim Hamburger Rowohlt-Verlag, bei dem das Stück erschien, gingen in den ersten sieben Monaten nach der Uraufführung rund 3.000 Reaktionen ein. Auch hochrangige Vertreter der beiden großen Kirchen meldeten sich zu Wort. Einige sahen in dem Stück trotz aller Kritik eine Chance, über die Vergangenheit ins Gespräch zu kommen. Andere warfen dem Autor vor, den Papst als Sündenbock genutzt zu haben und historische Fakten zu verfälschen.

Mix aus Fakten und Fiktion

Die Debatte über den "Stellvertreter" entwickelte sich schnell zu einer Stellvertreterdebatte, die den eigentlichen Fragen im Umgang mit der NS-Zeit auswich. Schuld daran war auch der Autor selbst. Sein 212 Seiten langes Werk machte sich angreifbar: mit vielen Nebenhandlungen, Regieanweisungen in Form von polemischen Kurzporträts und dem für das dokumentarische Theater typischen Mix aus Fakten und Fiktion. Historiker sollten später ein differenzierteres Bild von Pius XII. und dem Vatikan zeichnen. Der "Moralist und Mahner" Hochhuth blieb seiner Linie treu, nahm es immer wieder mit vermeintlichen oder tatsächlichen Autoritäten auf, arbeitete sich gelegentlich daran ab.

1978 bezeichnete er den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) als "furchtbaren Juristen" und stieß damit eine Debatte über die NS-Vergangenheit des Politikers los - die schließlich in dessen Rücktritt mündete. Die wirtschaftlichen Exzesse der Nachwendezeit brachte der Literat 1993 mit "Wessis in Weimar" auf die Bühne; 2004 legte er sich in seinem Theaterstück "McKinsey kommt" mit Bankern und Beratern an.

Auch wenn ihm seine Kritiker immer wieder Skandalsucht vorwarfen und eine "hölzerne Sprache" bemängelten, wurde Hochhuth viel geehrt: unter anderem mit dem Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache und dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis.

Lust an der Provokation

Die langjährigen Querelen zwischen Hochhuth und dem Berliner Ensemble um das Theater am Schiffbauerdamm - Hochhuth ist über die von ihm gegründete Ilse-Holzapfel-Stiftung Eigentümer der Spielstätte - scheinen einstweilen beigelegt. Über die Stränge dagegen schlug er nach Ansicht auch Wohlmeinender, als er 2005 den britischen Holocaustleugner David Irving in der rechts-nationalen Wochenzeitung "Junge Freiheit" als einen "fabelhaften Pionier der Zeitgeschichte" bezeichnete.

War es die Lust an der Provokation? Später distanzierte sich der Dramatiker von seinem Urteil: Er habe allein "vom jungen Irving" geredet, der einen Bestseller über die Vernichtung Dresdens geschrieben habe. Ralph Giordano (1923-2014) schrieb damals in der "Berliner Zeitung", Hochhuth bleibe für ihn als Überlebenden des Holocaust trotz dieser Äußerungen ein "Bundesgenosse" in der "langwährenden Auseinandersetzung um die Naziepoche".

 


Quelle:
KNA