Drohender Lehrermangel vor Schulstart in NRW

"Lehrerberuf muss attraktiver werden"

Spitzt sich der teils dramatische Lehrermangel zum neuen Schuljahr in vielen Bundesländern noch weiter zu? Vor dem Schulstart in Nordrhein-Westfalen in der kommenden Woche schrillen auch eher die Alarm- als die Pausenglocken. Zurecht?

Schüler im Unterricht / © Julian Stratenschulte (dpa)
Schüler im Unterricht / © Julian Stratenschulte ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was denken Sie, wenn der Lehrermangel wieder durch die Schlagzeilen geistert? Denken Sie auch: nicht schon wieder! Oder eher: Gut, dass wir darüber sprechen. Wir brauchen mehr Öffentlichkeit?

Gregor Stiels (Vorsitzender des Kölner Katholikenausschusses und Leiter der Gemeinschaftsgrundschule "An St. Theresia" in Köln-Buchheim): Tatsächlich ist es ja kein neues Thema. Es ist ja allgemein bekannt. Jetzt ist die Frage: Wo sind die langfristigen Konzepte und wo sind die Ideen, wie man damit umgeht? Man kann erste Dinge sehen. Was umgesetzt wird, hilft uns aber im Konkreten nicht. Deswegen ist es gut, dass man weiter darüber im Gespräch bleibt.

DOMRADIO.DE: 40.000 Lehrer fehlen, 10.000 Lehrerstellen sind nicht besetzt und 30.000 sind mit Quereinsteigern, Pensionisten, Studenten belegt. Wie sieht das an Ihrer Schule aus? Arbeiten Sie auch mit Quereinsteigern?

Stiels: Ja, machen wir auch. Wir haben sowohl Studenten als auch Quereinsteiger aus anderen Berufsgruppen. Das bringt auf jeden Fall auch besondere Herausforderung mit sich.

DOMRADIO.DE: Welche Art von Herausforderung ist das? Sind das Menschen, die erstmal nicht fachlich geschult sind und eingearbeitet werden müssen?

Stiels: Das ist richtig, genau. Gerade in einer Schule, die wie meine im sozialen Brennpunkt liegt, sind die Lehrkräfte besonders belastet und eine hohe Schlagzahl an Dingen, die zu tun sind, steht da an. Es ist schon schwierig Menschen, die im Berufsfeld keine Erfahrung haben, anzuleiten, einzuführen, zu begleiten, manchmal auch zu beaufsichtigen. Das bringt manchmal mehr Arbeit mit sich als Entlastung.

DOMRADIO.DE: Aber welche Alternative gibt es?

Stiels: Ja, gute Frage. Man muss schauen, dass man die vorhandenen Lehrkräfte, die gut ausgebildet sind, auch gut verteilt. Dass man schaut, dass da, wo ein hoher Bedarf an Fachkräften ist, diese auch hingeschickt werden. Ich als Schulleiter in einem Brennpunkt sage: Wir brauchen die Besten. Die Besten müssen dahin kommen, wo die Kinder die höchsten Bedürfnisse haben.

DOMRADIO.DE: Dennoch ist es ja zahlenmäßig so, dass es weniger Lehrer gibt. Glauben Sie denn, dass so eine kurzfristige Lehrerausbildung, so eine Art Crashkurs, weiterhelfen würde?

Stiels: Ich bin skeptisch. Das kann gut gehen. Es gibt sicherlich Menschen, die dafür eine Begabung haben und die auch schnell merken: Ich schaffe das auch, vor einer Klasse zu stehen. Aber: Tatsächlich liegt der Teufel im Detail. Es gibt ja nicht umsonst die zweite Ausbildungsphase praxisbegleitend. Das heißt, der Lehramtsanwärter steht vor der Klasse, wird auch begutachtet und bekommt Rückmeldegespräche und so weiter.

Das hat auch seinen Sinn und seinen guten Wert, denn genau im Ausprobieren, in der Reflexion liegt genau das, was wichtig ist, damit man auch mit einem guten Handwerkszeug vor einer Klasse stehen kann.

DOMRADIO.DE: Ist die langfristige Lösung, den Lehrerberuf wieder attraktiver zu machen?

Stiels: Ja natürlich! Man muss sich fragen: Warum fehlen denn die ganzen Lehrkräfte? Und vor allem ich auch als Grundschulleiter frage: Wo sind denn die ganzen Männer in der Grundschule? Es muss ja irgendwo unattraktiv sein. Da muss man sich mal Gedanken darüber machen, wie man sie hereinbekommt.

Denn gerade auch die Kinder, die ich vor Augen habe, die brauchen Männer in den Grundschulen. Das kann nicht sein, dass ich der Einzige bin. Wir waren mal zu fünft, jetzt bin ich der Einzige. Die einzige männliche Person in einem pädagogischen Beruf - das kann nicht gut gehen, das muss sich dringend ändern.

DOMRADIO.DE: Ich kenne viele Grundschulen, wo es keinen einzigen Lehrer gibt. Wenn es einen Mann gibt, dann ist er Schulleiter. Liegt das an der Bezahlung? Wo ist das Problem? Oder dass man keine Aufstiegschance hat?

Stiels: Ich muss jetzt mal spekulieren. Ich bin ja in der Grundschule. Mir macht es gerade Freude genau da an der Basis, wo die Grundlagen gelegt werden, mit Kindern zu arbeiten. Das war meine Motivation, in den Beruf zu gehen. Aber natürlich ist es so, dass die Einstiegsgehälter für die Lehrer in den weiterführenden Schulen höher sind als in der Grundschule. Das mag sicherlich mit ein Grund sein.

DOMRADIO.DE: Warum lohnt es sich, auf jeden Fall Grundschullehrer zu werden? Was ist das Schöne an Ihrem Job?

Stiels: Das Wunderschöne an dem Job ist, dass man sofort eine Rückmeldung von Kindern bekommt. Man gibt ihnen etwas mit auf den Weg und bekommt eine ganz ehrliche Rückmeldung. War das jetzt gut, was du mir gesagt hast, oder war es nicht gut?

Man kann Grundlagen legen und Erfolge sieht man sofort. Man sieht sofort, wenn sich etwas getan hat, wenn etwas da ist, was vor ein paar Wochen noch nicht da war. Diese Erfolge sofort zu sehen, diese Rückmeldungen zu bekommen, Grundlagen bei Kindern zu legen, ist wirklich eine wunderbare Sache.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Gregor Stiels / © Viola Kick (DR)
Gregor Stiels / © Viola Kick ( DR )
Quelle:
DR