Die Rede ist von einer "Kannibalisierung des Buchhandels". Seit Wochen streiten Bibliotheken, Verlage, Autoren und Buchhandlungen über den Umgang mit elektronischen Büchern. Hintergrund ist die anstehende Reform des Urheberrechts.
Der E-Book-Markt wächst
Zwar haben die Deutschen lange damit gefremdelt, statt des gedruckten Buches auf digitales Lesefutter und E-Reader wie tolino oder kindle zurückzugreifen. Doch mittlerweile ist der E-Book-Markt kräftig gewachsen - und hat durch die Corona-Pandemie noch einmal einen Schub erhalten.
Laut aktuellsten Statistiken des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels kletterte der Absatz von E-Books im ersten Halbjahr 2020 auf 18,8 Millionen verkaufte Exemplare, 15 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2019.
Damit entfielen in den ersten sechs Monaten 2020 rund 7,5 Prozent des gesamten Umsatzes auf dem Publikumsbuchmarkt auf E-Books.
Das betrifft die Bibliotheken
Dieser Trend lässt auch die Bibliotheken in Deutschland nicht unberührt. E-Books sollten wie gedruckte Bücher von den Bibliotheken frei eingekauft und verliehen werden können, forderte jüngst der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) in einem Offenen Brief an die Bundestagsabgeordnenten.
Vor allem sollten die digitalen Titel sofort nach Erscheinen zur Ausleihe zur Verfügung stehen.
Die Bibliotheken argumentieren mit dem Gemeinwohl: Der digitale Zugang sei gerade in Zeiten von Corona und geschlossenen Bibliotheksgebäuden oft die einzige Möglichkeit für Bürger, an Bücher und Medien heranzukommen, so der Bundesvorsitzende Andreas Degkwitz.
Doch bislang werde die digitale Ausleihe stark eingeschränkt. 70 Prozent der E-Book-Titel der Spiegel-Bestsellerliste würden Bibliotheken bis zu einem Jahr lang vorenthalten.
Hintergrund: "Onleihe"
Dafür sorgt das derzeit gültige E-Book-Leihsystem "Onleihe": Wenn Bibliotheken E-Books verleihen, werden die Werke auf den Computer der Nutzer geladen und mit technischen Schutzmaßnahmen versehen. Nach Ablauf der Leihfrist von 14 Tagen wird die Datei unbrauchbar gemacht, erst danach kann der nächste Nutzer das E-Book ausleihen. Allerdings können Bibliotheksnutzer nur die E-Book-Titel ausleihen, für die es Verträge mit den Verlagen gibt.
Dabei erhalten die Verlage pro E-Book eine Gebühr, die in der Regel über dem Ladenpreis liegt. Manche Autoren und Verlage stellen ihre Werke nicht zur E-Book-Ausleihe zur Verfügung, weil sie wirtschaftliche Nachteile befürchten.
Manche Neuerscheinungen, insbesondere Bestseller, sind auch erst mit einigen Monaten Verzögerung in der Ausleihe - weil Verlage und Autoren zunächst einen Verkauf ihrer Werke anstreben.
Bibliotheken als Konkurrenz?
Verlage, Buchhandel und Autoren wollen dieses System erhalten. Laut Börsenverein funktioniert es einwandfrei. Eine Gleichstellung von Büchern und E-Books hätte massive Umsatzverluste bei Verlagen, Autoren und im Buchhandel zur Folge, erklärte die Vorsitzende des Verleger-Ausschusses des Börsenvereins, Nadja Kneissler.
"Letztlich würden die Bibliotheken einen kostenlosen Parallelmarkt aufbauen." Öffentlich geförderte Bibliotheken dürften sich nicht zu einem konkurrierenden Marktteilnehmer entwickeln.
Protest der Buchhändler
Am Donnerstag protestierten auch die großen Filialisten Thalia, Hugendubel, die Weltbild Gruppe, die Osiandersche Buchhandlung sowie Lehmanns Media. Die Forderungen des Bibliothekenverbandes kämen "einem Frontalangriff auf unser Geschäftsmodell gleich", heißt es in einem Offenen Brief an die Abgeordneten des Bundestages.
Der Buchhandel verweist darauf, dass es 2020 mehr als 30 Millionen Leihvorgänge von E-Books gegeben habe. Damit habe die Onleihe bereits das Niveau des gesamten kommerziellen E-Book-Absatzes erreicht.
Aus Sicht der großen Buchhandelsketten steht zudem fest, dass Onleihe-Nutzer nur zu einem geringen Anteil auch E-Books kaufen. "Sie befriedigen ihren Bedarf vorrangig über die digitale Leihe."
Also doch eine "Kannibalisierung"?
Die großen Filialisten befürchten deshalb eine "Kannibalisierung" des Buchhandels. Sie werfen den Bibliotheken zugleich vor, ihr Angebot an physischen Büchern zurückzufahren.
"Es ist vor diesem Hintergrund fraglich, ob die Öffentlichen Bibliotheken ihrem Auftrag, den kommunalen Zugang zu Büchern und Wissen sicherzustellen, mittelfristig noch gerecht werden können."