Besuch bei den Nachfahren in Rückerts Haus in Coburg
Die Bibliothek in Coburg war für Fridrich Rückert (* 16.5.1788 in Schweinfurt, † 31.1.1866 in Neuses bei Coburg) ein wichtiger Ort für seine Studien, sie besaß unter anderem etliche historische Koran-Ausgaben aus dem 16. Jahrhundert. Um diesen bibliophilen Schätzen möglichst nahe zu sein, hatte Rückert sich gleich im gegenüberliegenden Haus – heute befindet sich darin ein Puppenmuseum – einquartiert. Es gehörte einem Amtsrat Fischer,und Rückert lernte so seine spätere Frau Luise kennen, die Tochter des Amtsrates. Rückert widmete Luise über 300 Gedichte; später als „Liebesfrühling“ in Buchform veröffentlicht, waren sie über Jahrzehnte erfolgreich.
Amtsrat Fischer besaß auch ein kleines Gut in nahen Dorf Neuses. Hier vor den Toren der Stadt Coburg hat sich Rückert im Sommer mit seiner späteren Frau getroffen und hat sich so in diese Gegend verliebt, dass er dann 1838 von seiner Schwiegermutter dieses Gut käuflich erwarb. Heute wohnen darin Christel und Klaus Rückert, Ururenkel von Rückert.
Das große, hell verputzte Gebäude mit den hohen Sprossenfenstern und blauen Fensterläden hat im rückwärtigen Teil eine kunstvolle Gartenanlage im Stile des Biedermeier. Ihr schließt sich ein kleiner Park an. Ein schmaler Pfad führt zu einem stattlichen Denkmal Friedrich Rückerts – in weißem Marmor gearbeitet. Und natürlich ist ein Teil des Wohnhauses als Gedenkstätte für den Dichter eingerichtet.
„Grund dafür, dass wir uns bemüht haben, in Teilen wieder den Urzustand herzustellen, war das authentische Arbeitszimmer von Friedrich Rückert. Das ist ein Raum, der nach dem Tode Rückerts von der Familie nur in Ehren gehalten worden ist, niemals verändert worden und niemals restauriert worden ist.“, erzählt Christel Rückert den Besuchern. Drei Räume sind jetzt wieder so hergerichtet, wie sie zu Rückerts Lebzeiten gewesen sind.
Über eine schmale Holztreppe erreicht man die obere Etage. Das meiste Inventar haben damals – nach Rückerts Tod im Jahre 1866 – die Kinder bekommen. Adäquat wurden die Zimmer im Stile der Zeit, des Biedermeier, wieder ausgestattet.
Das Stehpult des großen Dichters
Christel Rückert zeigt das Stehpult des Dichters: „Das hat er mit einem Schreiner hier in Neuses selbst gebaut, weil er eben eine körperliche Größe hatte.“ Und dann zeigt sie auf die Bücher, es ist die Hausbibliothek, wie sie Rückert noch kurz vor seinem Tode benützt hat. „Und da hinten haben wir einen Zettelkasten. Da hat Rückert geordnet seine Gedanken festgehalten. Es gibt 10.000 davon, und die sind in der Uni Münster. Die hat irgendein Nachkomme an Münster gegeben.“
In Neuses übersetzte Rückert die Hamasa, eine Sammlung von über 1000 arabischen Gedichten. Er schrieb Dramenzyklen nach klassischen und biblischen Vorlagen. Es entstanden aber auch politische Gedichte und Kampflieder, die ihn als Verfechter eines deutschen Nationalstaates unter der Führung Preußens ausweisen.
Ein Refugium besonderer Art war für ihn ein kleines Gartenhaus in der Nähe auf einem leicht ansteigenden Hügel, dem Goldberg. Es liegt inmitten von Wiesen, Feldern und Obstbäumen. Familienmitglied Ulrike Rückert hat selbst einmal vorübergehend in dem Häuschen am Waldrand gewohnt:
„Hier oben war's auch seine Lieblingsstätte. Er hat hier nicht gewohnt, sondern es war wirklich nur eine Stätte, wo er sich besinnen konnte und wo er seine Blätter liegen lassen konnte.“
Auf dem Dorffriedhof nahe seines Wohnhauses befindet sich das Grab von Friedrich Rückert, seiner Frau Luise und weiteren Angehörigen. Wie er in so vielen Gedichten geschrieben hat, ruhen sie unter Blumen und Klee.
Ein Werk allein von 20.000 Gedichten
Ortswechsel: Rückert Gesellschaft in Schweinfurt. Vorsichtig und mit einem gewissen Stolz zeigt Rudolf Kreutner, Geschäftsführer der Gesellschaft, ein fragiles Bändchen. Es besteht aus groben, grauen Blättern, ähnlich dem Löschpapier. Die Ränder sind unregelmäßig und leicht zerfranst. Es ist Rückerts erstes gedrucktes Werk „Die fünf Märlein zum Einschläfern für sein Schwesterlein Marie“, 1813 gedruckt. Davon gibt’s nur noch ein einziges Exemplar.
„Das sind klassische, romantische Kunstmärchen, aberwitzig im wahrsten Sinne des Wortes: ‚Das Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt‘. Auch der ‚Spielmann‘ sind nette, aberwitzige Gedichtchen mit nur wenig erhobenem Zeigefinger.“, erklärt Kreutner.
Das gesamte dichterische Werk Rückerts wird mit 20.000 Gedichten angegeben, die Übersetzungen und wissenschaftlichen Arbeiten nicht mitgerechnet. Die Bedeutung dieses Mannes war und ist immens: Er war Sprachgenie, Orientalist, Philosoph, Philologe, Zeitkritiker, Wissenschaftler, Patriot und Familienvater.
Rudolf Kreutner kennt seinen Rückert durch und durch: „Rückert hat rein faktisch die deutsche Sprache um tausende von Begriffen vermehrt und natürlich liegt die große Bedeutung Rückerts auch darin, dass er die Literaturen des Orients den Deutschen brachte. Er hat sämtliche großen Mythen der Weltliteratur übersetzt, das indische Mahabharata, er hat aus der Bibel übersetzt, teilweise den Koran übersetzt, er hat sich mit der finnischen Kalevala beschäftigt, er hat natürlich auch aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt, er hat das persische Königsbuch, das Shanameh, übersetzt.“
Rückert wollte, so Kreutner, mit dem Urquell der Sprache auch den Urmythos entdecken.“
Ein großes Sprachgenie mit kleiner Schrift
Insgesamt erlernte Rückert über 40 Sprachen, um seinen Zeitgenossen das Denken und Dichten des Nahen und Mittleren Ostens vermitteln zu können. Das war mehr als eine mühselige Angelegenheit, denn Lehrmaterial gab es nur bedingt. Kreutner: „Er hat zum Teil große Werke abgeschrieben, hat daraus Grammatiken gebastelt und Wörterbücher gemacht oder auch bei den indischen Sprachen hat er dann mit Texten des Neuen Testamentes die Grammatiken erstellt und Lexika.“
Die herzogliche Hofbibliothek in Coburg verfügte über zahlreiche orientalische Bücher. Diese Quellen nutzte er ausgiebig. Auffallend klein ist die Schrift, mit der sich Rückert in das Besucherbuch eingetragen hat. Auch fast alle Notizen, die sich in dem riesigen Nachlass finden, sind in solch winzigen Buchstaben geschrieben. Aber nicht nur die Schreibweise fällt auf, auch die Länge der Gedichte. Über 520 sind es über den Tode von zwei seiner Kinder, 6000 Verse umfasst das „Liedertagebuch“, das größtenteils noch unveröffentlicht ist. 4347 Zeilen umfasst Rückerts längstes Gedicht, das Gedicht von Rom.
Die winzige Schrift steht im krassen Gegensatz zu Rückerts Erscheinung. Er war ein Hüne – fast zwei Meter groß. Abbildungen zeigen einen Mann mit meist ernstem Gesicht, als einzig weiche Komponente fallen die lockigen Haare in langen Wellen auf die Schultern. Diese Haartracht, sein Hang zu schwarzer, so genannter „altdeutscher“ Kleidung und die Nähe zum Freimaurertum waren der Obrigkeit suspekt und brachten ihn zeitweise sogar in Gefahr, aus dem Königreich Württemberg ausgewiesen zu werden.
Ehrlich bis zum Affront
Aber, so Rudolf Kreutner, Rückert war in allem sehr ehrlich: „Er konnte ehrlich bis zum Affront sein, auch sich selbst gegenüber. Er war sich selbst sein schärfster Kritiker. Er hat sich immer wieder fast vernichtend kritisiert in seiner Arbeit. Aber er konnte auch über andere Menschen einen sehr deutlichen Ton anschlagen, der heute manchmal sogar verletzend wirken würde.“ So wundert es nicht, dass er nur wenige Freunde hatte.
Um seine Familie zu ernähren, nahm Rückert ab 1826 den von ihm stets ungeliebten Lehrberuf auf, er selbst war der Ansicht, er könne nicht lehren, denn er habe noch selbst soviel zu lernen. Luise hielt derweil ihrem Mann den Rücken frei, vom Bierbrauen bis zum Verlagsvertrag erledigte sie alles. So konnte Rückert schon ab fünf Uhr in der frühe Sprachen lernen. Kreutner führt als Beleg handschriftliche Gedichte an, Rückert habe im Dunkeln weitergeschrieben und so eine Zeile über die andere geschrieben.
Als Rückert seine Lehrtätigkeiten wieder los war, ließ er sich 1848 endgültig in Neuses bei Coburg nieder. Er wurde immer kritischer, thematisierte beispielsweise die abzusehenden Folgen der Industrialisierung, die Vergiftung der Umwelt, die Begrenzung der Energie-Ressourcen, damals noch auf die Kohle bezogen, und beschäftigte sich mit der Ausbeutung der Arbeiterschaft. Unerträglich wurde ihm die Adelsherrschaft, die Monarchie. Rudolf Kreutner:
„Er wird zum Schluss richtiger Jakobiner. Er wünscht einem jeden gekrönten Haupt die Guillotine an den Hals, im wahrsten Sinne des Wortes. Er schreibt: Was ist die Revolution? Erst die Zöpf ab, dann die Köpf ab. Das ist Revolution.“
(M. Lüpschen)
Du bist die Ruh,
Der Friede mild,
Die Sehnsucht du
Und was sie stillt.
Ich weihe dir
Voll Lust und Schmerz
Zur Wohnung hier
Mein Aug und Herz.
Kehr ein bei mir,
Und schließe du
Still hinter dir
Die Pforten zu.
Treib andern Schmerz
Aus dieser Brust!
Voll sei dies Herz
Von deiner Lust.
Dies Augenzelt
Von deinem Glanz
Allein erhellt,
O füll es ganz!