Die in den Jahren 2011 und 2013 vorgelegten wissenschaftlichen Berichte über Missbrauchsfälle an dem Kolleg dokumentierten nur einen Teil der Übergriffe, heißt es in einem am Montagabend in Berlin veröffentlichten "Offenen Brief" der Opfergruppe "Eckiger Tisch Bonn". Ereignisse, die nach Erscheinen dieser Dokumente bekannt geworden seien, und weitere Berichte Betroffener seien bislang in keinem Bericht erwähnt.
Auch nicht-sexuelle körperliche und seelische Gewalt an Schülern sowie Suizide würden bislang nicht durch Dritte untersucht, heißt es in dem Brief. Betroffene seien nicht an der Überarbeitung des Präventionsleitfadens beteiligt worden. Zudem kritisiert der Verein, dass es für den früheren Rektor Theo Schneider keine Konsequenzen seitens des Ordens gegeben habe. Ihn bezeichnet die Initiative als "Vertuscher und Mitwisser".
Der Provinzial der deutschen Jesuitenprovinz, Johannes Siebner, wies den Vorwurf zurück, dass der Orden sich nicht der Verantwortung stellen wolle. Die unabhängigen Berichte zeigten, dass sich die Jesuiten ihrer Vergangenheit schonungslos stellten. Den Autoren sei volle Akteneinsicht gewährt worden.
Viele Maßnahmen wie Präventionskonzepte seien an den Schulen umgesetzt, so Siebner, der von 2011 bis 2016 Rektor am AKO war. Die Atmosphäre an den Jesuiten-Schulen zeuge von einem offenen, ehrlichen und vertrauensvollen Umgang.
Zugleich räumte der Provinzial ein, dass der Orden in Sachen Aufarbeitung und Prävention noch nicht am Ende sei. Konkrete Schritte sollten aber im direkten Gespräch mit dem "Eckigen Tisch" und nicht über die Presse erörtert werden. Siebner rief die Gruppe dazu auf, die 2018 abgebrochenen Gespräche mit dem Orden wieder aufzunehmen.
Das Bonner Gymnasium ist eine von bundesweit drei Jesuitenschulen. 2010 hatte der damalige Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes, Fälle von Missbrauch an der Berliner Jesuitenschule bekanntgemacht und damit eine Welle von Berichten über ähnliche Vorkommnissen in kirchlichen und anderen Einrichtungen ausgelöst. Am Aloisiuskolleg und der angeschlossenen Freizeiteinrichtung "AKO-Pro-Seminar" gab es nach den Berichten seit den 1950er Jahren mindestens 60 Betroffene und 23 Beschuldigte, darunter 18 Jesuiten. (KNA)