Ein Beitrag zur Debatte um deutsche Waffenlieferungen in den Irak

Rupert Neudeck, Pazifist: "Gebt den Peschmerga Waffen!"

Ist der Völkermord im Nordirak nur mit unseren Waffen zu verhindern? Politik und Gesellschaft in Deutschland diskutieren. Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur und des Friedenscorps "Grünhelme", im domradio.de-Interview.

Rupert Neudeck (dpa)
Rupert Neudeck / ( dpa )

domradio.de: Sie fordern Waffenlieferungen an die Gegner der Terrorgruppe "Islamischer Staat". Warum?

Neudeck: Erst einmal fordere ich, dass keine Waffen mehr nach Saudi-Arabien gegeben werden, weil das der Unterstützer der ISIS ist, dieser Gruppe, die ich selbst kennengelernt habe. Ich weiß, wovon ich spreche. Drei unserer Mitarbeiter sind am 15. Mai letzten Jahres in Syrien in einem Ort in der Nacht gekidnappt worden von dieser Gruppe. Das ist eine Gruppe, die ausdrücklich von Saudi-Arabien unterstützt wird, in der Tschetschenen gesammelt werden , Tunesier, auch Deutsche übrigens. Das zweite ist, dass wir jetzt, aufgrund der Tatsache, dass niemand bisher gegen die ISIS gekämpft hat, in einer totalen Sackgasse sind in Bezug auf die Frage, wie gehen wir gegen diese Mörderbande vor. Ich bin radikal dagegen, dass man die mit irgendwas vom Islam in Verbindung bringt, denn das sind einfach Verbrecher. Die hängen, die würgen, die töten, die exekutieren, die vergewaltigen - das hat alles mit Islam und Christentum und Judentum nichts zu tun, um das klar zu sagen. Da bin ich in der Situation plötzlich total im Widerspruch zu meiner sonstigen Haltung. Ich bin dafür, dass die Peschmerga, die einige Kurden in der Wüste geschützt haben, die aus Mossul und anderen Orten vertrieben wurden, dass die auf jeden Fall auf die Höhe des Widerstands gebracht werden können, dass die die gleichen Waffen bekommen, die die irakische Armee der ISIS überlassen hat.

domradio.de: In der politischen Diskussion ist ja da noch viel Zurückhaltung zu spüren. Auch die Grünen zum Beispiel sind zurückhaltend. Der Bundestag muss erst debattieren. Die USA haben schon längst gehandelt und damit einen Völkermord zumindest vorerst abgewendet. Ist die Zurückhaltung Deutschlands da noch angemessen?

Neudeck: Ich finde erstmal Zurückhaltung in Bezug auf Waffen in jeder Weise angemessen und gut. Ich finde das immer gut, wenn man bei jeder Produktion von Waffen in Deutschland und bei jedem Export von Waffen aus Deutschland vorsichtig und zurückhaltend ist. Das sind wir aber nicht. Das ist die Heuchelei unserer Politik. Wir sind dritter Exportweltmeister in Waffen, unter anderem an solche Mörder-Regime wie Saudi-Arabien und andere. Deshalb kann ich diese Zurückhaltung jetzt, wo es wirklich um die Verhinderung eines Massenmordes an Kurden, Jesiden, Aleviten, Christen, Muslimen aus dem Nordirak geht, nicht verstehen. Eine Lieferung von Waffen nicht zu genehmigen, die die Peschmerga, also eine funktionierende Miliz, von der wir sagen können, die hat wirklich bewiesen in der letzten Zeit, dass es ihr um das Los dieser Menschen geht, das kann ich nicht verstehen.

domradio.de: Während ja Außenminister Steinmeier am Wochenende in den Irak gereist ist, am Sonntag im Ukraine-Konflikt versucht hat zu vermitteln, fragt man sich ja bisweilen: Was ist die Rolle der Bundesrepublik bei den aktuellen Weltkonflikten? Wie würden Sie die denn beschreiben?

Neudeck: Ich finde meine Bundesrepublik eigentlich sehr gut aufgestellt in Bezug auf die totale Aktivität der Diplomatie, auf die Aktivität von Steinmeier, den ich außerordentlich schätze in diesen Aktivitäten, auch auf die Aktivität der Bundeskanzlerin, die gestern nochmal demonstrativ und symbolisch nach Lettland geflogen ist und die Unterstützung der Deutschen für die Letten ausgedrückt hat. Ich finde diese Aktivität der Diplomatie ganz außerordentlich. Was ich vermisst habe 2012, war, dass man die Rebellion in Syrien, die eine klassische Jugendrebellion ist, die nur für Freiheit und Demokratie eingetreten ist - wir haben seit 2012 dort gearbeitet, ich kenne die Kerle also - dass wir damals sehr viel mehr humanitär hätten tun können, auch in der Unterstützung der Selbstverwaltungsgruppen, die sich in den befreiten Gebieten gebildet haben. Damals haben wir diesen Vorschlag gemacht. Der ist abgeschmettert worden aus Trägheit oder aus Absicht, das weiß ich gar nicht. Man hatte politisch alles getan, um diese Koalition der Freien Syrer zu unterstützen. Aber man hat daraus keine Folgerung gezogen für eine Unterstützung der Leute im Feld und am Ort. Und das rächt sich jetzt. Wir hätten diese Situation mit der ISIS nicht so haben müssen, wie wir sie jetzt haben, wenn wir 2012 diese Bewegung massiv unterstützt hätten mit allen humanitären Sachen, die jetzt im Gespräch sind. Da hätte man gar keine Waffen gebraucht.

domradio.de: Kann man denn eigentlich diplomatisch, so wie es Deutschland macht, immer an vorderster Front mitmischen, aber wenn es dann zur Sache geht, wie Sie es ja eben angedeutet haben, immer Amerikaner, Franzosen oder Briten den Vortritt lassen?

Neudeck: Ich denke, dass wir das können als Deutsche, weil wir aufgrund unserer Geschichte das einzige Volk sind auf der Welt, dem man diese Zurückhaltung abnimmt, in Bezug auf Armee, Militär und Waffen. Wir können uns vor der Welt gerieren und sagen, wir wollen gerne, dass andere übernehmen, was auch teuer ist und sehr anstrengend, wie zum Beispiel Flugzeuge mit Hospitälern an Bord, wie zum Beispiel Schiffe, die Gesundheitsversorgung hinbringen an solche Katastrophenplätze. Ich hab das beim Tsunami in Indonesien erlebt, wie wertvoll das ist. Ich glaube, wir sollten uns darauf sehr spezialisieren. Es wäre sowieso gut, wenn Europa sich spezialisiert, wenn die einzelnen Nationen genau das, was sie gut können, in den Vordergrund stellen und nicht alle das gleiche machen müssen. Deshalb halte ich diese Zurückhaltung in Bezug auf Militär und Waffen für sehr, sehr günstig. Mein Plädoyer war auch nicht, deutsche Waffen, deutsche Produktionen in den Irak, sondern europäische Waffen. Weil die Amerikaner in dieser Region zum Teil auch nicht mehr sehr gut gelitten sind aufgrund des Irak-Krieges. Deshalb hat Europa eine große Rolle. Mir ist das gleich, ob das Frankreich, Niederlande oder Belgien oder Großbritannien ist. Es muss nicht unbedingt die Bundesrepublik sein.

Das Gespräch führte Christian Schlegel.


Quelle:
DR