domradio.de: Die deutsche Sprache mitten in der Wüste zu hören, ist das nicht schräg?
Benjamin Lassiwe (Freier Journalist): Das ist es. Man kommt in Windhoek an, hat im Flugzeug noch die Durchsagen auf Deutsch, das ist man ja vielleicht noch gewohnt, dann geht man in die Stadt und findet die Hans-Dietrich-Genscher-Straße. Im Café im Hof des Goethe-Instituts gibt es Rouladen mit Salzkartoffeln. An der Straßenecke wird die „Allgemeine Zeitung“ verkauft. Sie erscheint komplett auf Deutsch.
domradio.de: Wenn es eine Genscher-Straße gibt, heißt das aber die deutschen Spuren kommen nicht nur aus der Kolonialzeit?
Lassiwe: Es gibt selbst heute noch ganz lebendige Beziehungen nach Deutschland. Die Ergebnisse der Bundesliga werden in der Allgemeinen Zeitung abgedruckt. Die einzige interkontinentale Flugverbindung in Namibia geht nach Frankfurt. Es ist nicht so, dass die Deutschen in Namibia eine Art ‚Restvolk‘ sind, das wir mal dort zurückgelassen haben. Über die Jahre haben sich immer wieder Deutsche dorthin aufgemacht. Man kann dort siedeln und sich niederlassen. Auf dem Hinweg saß neben mir im Flugzeug eine Frau aus dem Ruhrpott, die mal Polizeibeamtin war und jetzt in der Nähe von Windhoek Farmerin geworden ist.
domradio.de: Also ist es durchaus ein Lebensentwurf für Deutsche zu sagen: Ich wandere nach Afrika aus, will aber weiter ein deutsches Umfeld haben?
Lassiwe: Es ist eine Mischung. Es gibt tatsächlich diese ‚Glücksritter‘ aus Deutschland, dann gibt es aber auch Namibier deutscher Sprache, die sich nicht mehr als Deutsche bezeichnen würden. Sie sind Namibier, die dann eben nicht Herero oder Nama, sondern Deutsch sprechen.
domradio.de: Was heißt das für das gesellschaftliche Miteinander? Welche Rolle nehmen die Deutschen in Namibia ein?
Lassiwe: Namibia war, ähnlich wie Südafrika, lange von der Apartheid geprägt. Auch heute noch bilden die Weißen eine relativ kleine Gruppe, die aber einen Großteil der Farmen besitzt, auch die Handwerksbetriebe führen, also die gesellschaftliche Mittelschicht darstellen. Viele von ihnen engagieren sich rührend in den Slums und tun viel für ihre schwarzen Mitmenschen und Nachbarn. Auf der anderen Seite war es schon eine kleine Sensation, dass ein schwarzer Pfarrer kürzlich die Vertretung in einer weißen Gemeinde übernommen hat.
domradio.de: Merkt man die deutschen Wurzeln eigentlich auch an der Architektur? Gibt’s zum Beispiel Fachwerk?
Lassiwe: Fachwerk habe ich in Windhoek nicht gesehen. Aber es gibt zum Beispiel die Christuskirche, die mit ihrer Bauart auch irgendwo in Brandenburg stehen könnte. Dann gibt es das Alte Fort, es gibt Kolonialarchitektur. Da sind die Küstenorte aber einiges repräsentativer als die Hauptstadt. Swakopmund wird zum Beispiel auch als das südlichste Ostseebad bezeichnet. Da findet sich die gleiche Architektur, die wir sonst von Usedom oder vom Darß kennen.
domradio.de: Die Christuskirche in Windhoek …
Lassiwe: Das ist eine neo-gotische Backsteinkirche mit einem monumentalen Kriegerdenkmal für die Opfer der Kolonialkriege. Auch vor der Kirche findet man ein Mahnmal, das es in Deutschland so nicht mehr überall geben würde: „Ostdeutsche Provinzen unvergessen“. Das haben Heimatvertriebene noch in den 2000er-Jahren dort aufgestellt.
domradio.de: Und in der Kirche wird auf Deutsch Gottesdienst gefeiert?
Lassiwe: In der Kirche ist die Gottesdienstsprache Deutsch. Wobei sich die deutschen Gemeinden in Namibia durchaus der Situation anpassen und immer mehr englische Bestandteile in ihre Gottesdienste integrieren. Je nach Gemeinde werden die Gottesdienste dann zweisprachig abgehalten.
domradio.de: Gehen wir mal rein in so einen Gottesdienst. Läuft der denn genau so ab wie bei uns?
Lassiwe: Kommt darauf an, was man hier bei uns erwartet. Namibia ist ein Land, dass mehrheitlich lutherisch geprägt ist. In Deutschland haben wir unterschiedliche evangelische Kirchen: Reformierte, Unierte oder Lutheraner. Im Prinzip läuft ein Gottesdienst in Namibia aber so ab wie in einer deutschen lutherischen Landeskirche. Namibia ist übrigens auch das lutherischste Land in ganz Afrika. Von 2,3 Millionen Einwohnern gehört immerhin eine Million den lutherischen Kirchen an. 4.500 Mitglieder hat die deutschsprachige evangelisch-lutherische Kirche in Namibia.
domradio.de: Wie organisiert sich das denn? Gibt es eine deutsche evangelische Landeskirche in Namibia, oder etwas in der Art?
Lassiwe: In Namibia gibt es drei verschiedene deutsche lutherische Kirchen. Ihren Ursprung haben sie alle in der Kolonialzeit. Eine entstand durch die Rheinische Missionsgesellschaft, die zweite durch die Finnische Mission, und die dritte würde ursprünglich für die Versorgung der deutschen Kolonialbeamten gegründet, das ist die heutige deutsche evangelisch-lutherische Kirche. Drei Kirchen also, aber keine einheitliche namibisch lutherische Kirche. Die Bestrebungen, diese drei Kirchen zu vereinigen sind mit den Jahrzehnten im Sande verlaufen.
domradio.de: Wie sieht das denn auf der katholischen Seite aus?
Lassiwe: Es gibt auch katholisches Leben in Namibia. Ganz in der Nähe von Windhoek gibt es zum Beispiel eine Niederlassung der Missionsbenediktinerinnen aus Tutzing.
domradio.de: Die deutsche evangelische Kirche hat auch eine Rolle beim Unabhängigkeitskampf in Namibia gespielt.
Lassiwe: Sie hat eine Rolle gespielt, aber keine gute. Sie war die Minderheitenkirche der Weißen. Wegen ihrer Unterstützung der Apartheid wurde sie sogar in den 80er und 90er Jahren vom Lutherischen Weltbund suspendiert. Der Weltbund selbst hatte ein großes Interesse daran die Apartheid zu beenden. Zu der Zeit gab es zum Beispiel die Aktion der deutschen evangelischen Frauen „Kauft keine Früchte aus Südafrika“, die Früchte im Supermarkt beklebt haben. Namibia war in dieser Zeit unter dem Protektorat Südafrikas, dafür galt also in gewisser Weise das selbe. Der Lutherische Weltbund selber hat die schwarzen Minderheiten-Kirchen unterstützt, sowie die Freiheitsbewegung SWAPO (South-West Africa People's Organisation). Führende SWAPO-Aktivisten haben zum Beispiel auch Stipendien vom Lutherischen Weltbund bekommen und wurden dort ausgebildet. Es ist auch kein Zufall, dass Zephania Kameeta, der ehemalige Bischof, heute Minister in der namibischen Regierung ist, gleichzeitig aber auch immer noch Ratsmitglied im Lutherischen Weltbund.
domradio.de: Und im Jahr 2017 wird die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes zudem auch in Namibia stattfinden.
Lassiwe: Das stimmt. Und man könnte sich denken, warum geht der Weltbund zum 500. Jahrestag der Reformation nicht nach Wittenberg? Die Antwort darauf hängt einerseits damit zusammen, dass Namibia das lutherischste Land in Afrika ist, sie hängt auch damit zusammen, dass man die SWAPO im Freiheitskampf unterstützt hat. Sie hängt aber auch damit zusammen, dass man das Reformationsgedenken nicht Europa-zentristisch oder gar Wittenberg-zentristisch begehen möchte. Im Herbst 2016 wird das Gedenkjahr im schwedischen Lund eröffnet, gemeinsam vom Lutherischen Weltbund und dem päpstlichen Einheitsrat. Der Weltbund hat sich überlegt, wir müssen auch eine Sache außerhalb von Europa machen. Deshalb geht man im kommenden Jahr nach Windhoek.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch