Misereor als Beobachter beim UN-Klimagipfel in Polen

Ein Blick hinter die Kulissen

Es gibt viele Streitpunkte, die UN-Klimagespräche ziehen sich in die Länge. Misereor ist als Beobachter in Kattowitz dabei. Welche Rolle spielt eine Nichtregierungsorganisation bei den Verhandlungen? Und welche Position nimmt Deutschland ein?

Weltklimagipfel in Kattowitz / © Andrzej Grygiel (dpa)
Weltklimagipfel in Kattowitz / © Andrzej Grygiel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie waren eine Woche lang in Kattowitz. Wie sah Ihre Arbeit für Misereor vor Ort genau aus?

Anika Schroeder (Misereor-Expertin für den Bereich Klimawandel und Entwicklung): Misereor ist bei den Verhandlungen in Kattowitz als Beobachter vor Ort. Das bedeutet, dass wir dort in den Fluren mit Verhandlern sprechen und uns gemeinsam mit der internationalen Zivilgesellschaft darüber abstimmen, wie die Position und der Handlungsverlauf ist. Es geht um die Fragen, wie der Verlauf insgesamt eingeschätzt wird und welche Position wir dort einbringen wollen. Natürlich tauschen wir uns auch aus, welche Strategien am sinnvollsten sind.

DOMRADIO.DE: Von außen betrachtet, sieht es oft so aus, als würde doch jeder seine ganz eigene Politik vor Ort verfolgen. Täuscht dieser Eindruck?

Schroeder: Nein, überhaupt nicht. Zuerst einmal ist natürlich festzuhalten, dass Klimapolitik im Sinne aller Menschen und im Sinne aller Staaten ist. Niemand ist ausgeschlossen aus den massiven Folgen, die sich durch die epochalen Veränderungen ergeben. Das trifft wirklich inzwischen jedes einzelne Land und zwar schon heute: sei es die Dürre, die wir dieses Jahr erlebt haben in Deutschland, seien es die Waldbrände in Kalifornien oder auch die zunehmende Trockenheit im Amazonasgebiet, die auch dort zu zunehmenden Waldbränden führt. Jedes Land ist betroffen und jedes einzelne Land muss agieren.

Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass momentan viele Personen an der Macht sind, die viel Einfluss gewinnen möchten. Deshalb müssen wir jetzt einen Umbruch schaffen, dass diejenigen an die Macht kommen, die zukünftig vom Klimaschutz profitieren – in erster Linie die, die von den Folgen betroffen sind, aber auch jene, die im erneuerbaren Energiesektor arbeiten oder in einer nachhaltigen Wirtschaft.

DOMRADIO.DE: Eine Schwierigkeit dabei ist auch das geltende Einstimmigkeitsprinzip. Eine Abschlusserklärung kann nur zustande kommen, wenn auch alle zustimmen. Kann man denn bestimmte Staaten dabei als Bremser bezeichnen?

Schroeder: Ja, natürlich. Traditionsgemäß sind das Länder, wie die USA, aber vor allem die Erdölnationen, die OPEC-Staaten, Saudi-Arabien an erster Stelle, die immer wieder versuchen zu blockieren. Wo immer wieder diplomatische Wege gefunden werden, versuchen sie doch wieder andersrum anzufangen.

Dieses Einstimmigkeitsprinzip trifft also in der Tat zu. Es macht in gewisser Weise auch Sinn, weil Länder natürlich vor allem dann Klimaschutz leisten, wenn sie das Gefühl haben, dass alle mitziehen. Klimaschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe und einige Staaten haben dann doch Angst, zu viel Klimaschutz in den Klimaschutz zu investieren. Es profitieren im Grunde genommen alle davon, aber ein Staat für sich betrachtet hätte vielleicht den Schaden. Deshalb betont jeder immer nur, dass er etwas mache, wenn alle anderen mitziehen.

Dadurch ist in den letzten Jahrzehnten eine Werterhaltung entstanden, dass sich alle irgendwie auf den anderen verlassen. Das erleben wir auch in Deutschland immer wieder, dass alle nur auf die Europäische Union verweisen. So kommen wir natürlich nicht weiter. Wir brauchen den internationalen Konsens, damit auch die Staaten wissen, es gibt einen verlässlichen Rahmen. Vor allem geht es ja gar nicht nur um den Klimaschutz, sondern um die Unterstützung der ärmsten Staaten und der ärmsten Menschen.

DOMRADIO.DE: Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagte, Deutschland werde auf der Konferenz sehr geschätzt und nehme eine Vorreiterrolle ein. Wie beurteilen Sie das?

Schroeder: Ja, das Verrückte ist im Moment, dass Deutschland vielleicht im erneuerbaren Sektor einen Ausbau erreicht. Gleichzeitig senken wir aber die Treibhausgasemissionen überhaupt nicht, weil wir einen großen Teil unserer Energie aus Braunkohle beziehen und unsere Emissionen im Verkehrssektor steigen. In der Landwirtschaft setzen wir eher auf eine Massentierhaltung, als auf eine wirkliche Agrarwende. Das sind ganz deutlicher Widersprüche.

Gleichwohl ist es so, dass Deutschland auf internationalem Parkett eine gute Rolle spielt und immer spielte und sehr viel Vertrauen genießt. Deutschland agiert immer wieder als Vermittler und nimmt oftmals an entscheidenden Stellen Einfluss, um doch noch Erfolge in den internationalen Klimaverhandlungen voranzubringen. Das ist ein zweischneidiges Schwert momentan. Dieses Jahr ist Deutschland ja wieder mit ziemlich leeren Händen gekommen: es gibt keinen genauen Plan, wie der Ausstieg aus der Kohle gelingen soll und die Verkehrsemmissionen gesenkt werden.

DOMRADIO.DE: Medienberichten zufolge ist es mehrmals zu Festnahmen und sogar zu Ausweisungen von Teilnehmern am Rande der Konferenz gekommen. Was haben Sie davon mitbekommen?

Schroeder: Die Rolle von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, aber auch von Gewerkschaften auf dem Klimagipfel ist, ihren eigenen Regierungen auf die Finger zu klopfen, wenn sie ihre Zusagen und Versprechungen nicht einhalten. Und dass es jetzt dazu kommt, dass Nichtregierungsorganisationen bei den Verhandlungen massiv eingeschränkt werden, ist absolut nicht hinnehmbar und verlangt eigentlich auch sehr deutliche Worte von der Bundesregierung gegenüber der polnischen Regierung.

Wir haben erlebt, dass einige Vertreter von Umweltorganisationen nicht einreisen durften und jetzt mag jemand meinen, das sind bestimmt die Aktivisten gewesen, die auf der Straße Randale gemacht hätten und im schwarzen Block marschiert sind. Nein, darunter waren Angestellte von Umweltorganisationen, die auf unserem Netzwerk im Forum mitarbeiten und eine absolut reine Weste haben. Da waren auch Organisationen aus dem Ostblock darunter, die wirklich nur auf Projektebene im Bereich der erneuerbaren Energien tätig sind.

Dass man diese Leute nun wirklich von der Straße geholt hat, zum Teil aus ihren Hotelzimmern heraus über Stunden festgehalten hat, ohne Informationen an die Organisation, ohne Informationen an die Familien und dann zum Teil an die Grenze zurück gebracht hat, das ist für einen europäischen Staates absolut nicht vertretbar. Das hat auch viele andere Organisationen von ihrer Arbeit abgehalten, weil sie natürlich versucht haben, diesen Leuten zu helfen. Insgesamt hat es die Stimmung massiv verdorben.

Das Interview führte Beatrice Steineke.


Quelle:
DR