Die Erinnerung an seine Ankunft auf Sizilien löst bis heute so etwas wie ein Glücksgefühl bei Elias Orjini aus. "Ich werde diesen Moment - als meine Füße endlich wieder Boden spürten und sie mir sagten: Du bist jetzt in Italien - niemals vergessen. Ich fühlte mich so erleichtert." Rund drei Jahre hatte seine Flucht aus Ghana damals gedauert. Drei Jahre voller Entbehrungen, Leid und Lebensgefahr. Im Oktober 2013 ging die Reise des heute 26-Jährigen vorerst zu Ende. In dem rund 19.000 Einwohner zählenden Städtchen Pozzallo im Süden der Insel. Seitdem wartet der Ghanaer darauf, dass die italienischen Behörden seinen Asylantrag genehmigen.
Die Fahrt über das Mittelmeer ist lebensgefährlich. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) kamen im gesamten Jahr 2014 etwa 170.000 Bootsflüchtlinge in Italien an, für 2015 werden nach den ersten Monaten ähnliche Zahlen erwartet. In Pozzallo sind bereits Zehntausende Flüchtlinge angekommen, die aus dem Mittelmeer gerettet wurden. Doch in aller Regel werden sie von dort aus in andere Unterkünfte in Italien gebracht. Viele versuchen anschließend weiter in den Norden Europas zu gelangen, wo sie Freunde oder Verwandte haben, oder wo sie sich bessere Jobaussichten erhoffen. Mit seinem ungewöhnlich langen Aufenthalt in der Stadt stellt Orjini eine echte Ausnahme dar.
Hoffnung auf eine zweite Chance
Er fühlt sich sichtlich wohl und betrachtet die Stadt als Quasi-Heimat. "Ich denke, ich bin der einzige Schwarze in Pozzallo", sagt er mit einem Grinsen, während er mit seiner Freundin Leandra Maltese in einer Bar im Stadtzentrum Platz nimmt. Maltese stammt aus der Gegend und arbeitete als Sozialarbeiterin. Beide haben sich im örtlichen Flüchtlingszentrum kennengelernt. Sie seien das erste gemischte Paar hier, sagt die 29-Jährige. "Als wir angefangen haben uns zu treffen, dachte ich mir schon, dass es schwierig werden könnte." Doch mittlerweile sei ihre Beziehung von den Einheimischen weitgehend akzeptiert.
Orjini hofft, dass die italienischen Behörden ihm eine Chance geben, in Pozzallo ein neues Leben zu beginnen. Denn in seiner Heimat, der ghanaischen Volta Region, dürfte ein solches kaum mehr möglich sein. 2010 habe er sein Dorf verlassen müssen, weil er gegen die lokalen Traditionen aufbegehrt habe, sagt er. Damals sei er zum König seines Dorfes gesalbt worden. Eine Prozedur, die er selbst als "schwarze Magie" beschreibt. Doch noch vor seiner Vereidigung hätte er die Anweisung geben sollen, einen anderen Menschen zu opfern. "Wo ich herkomme, ist es nicht einfach ein König zu werden. Du musst wie ein Krieger auftreten, du musst töten, Dinge tun, die ein normaler Mensch nicht tun kann. Und als Christ kann ich so etwas nicht", sagt Orinji.
"Eine fürchterliche Reise"
Ein Zwischenfall, über den er nicht sprechen mag, habe dazu geführt, dass er im Laufe des Jahres 2010 die Flucht ergriffen habe. Auf seiner Route nach Norden habe er in Niger auch drei Wochen die Sahara durchquert, bevor er nach Libyen gelangte. "Es war eine fürchterliche Reise. Viele Menschen starben, viele meiner Freunde kamen in der Wüste ums Leben."
Doch in Libyen sei es nur noch schlimmer geworden. Er habe sich während des gewaltsamen Sturzes von Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 im Land befunden und die Folgen unmittelbar miterlebt. Dabei sei er von Milizen entführt, gefoltert, eingesperrt und zur Arbeit gezwungen worden. Zwei Versuche, mit einem Schiff nach Italien zu gelangen, scheiterten.
Erst der dritte Versuch war erfolgreich
Beim ersten Mal seien 350 der 500 Mitreisenden bei dem Versuch der Überfahrt ums Leben gekommen. Beim zweiten Mal hätte ein Motorschaden dazu geführt, dass er und die 44 anderen Flüchtlinge mit ihren Händen das Schlauchboot wieder nach Libyen zurückpaddeln mussten. Beim dritten Versuch ging ihnen zwar irgendwann der Treibstoff aus, doch ein vorbeifahrendes Handelsschiff habe ihn und die anderen Flüchtlinge gerettet und nach Pozzallo gebracht, sagt Orjini.
Mittlerweile hat er mehr als einmal die Flüchtlingsunterkunft gewechselt. Vor zwei Monaten wurde er von den Behörden befragt, doch deren Antwort steht weiterhin aus. Seine Freundin Leandra ist derzeit arbeitslos, versucht aber wieder eine Stelle im örtlichen Flüchtlingszentrum zu finden. In Bezug auf ihre Beziehung sei eigentlich von Anfang an alles gut gelaufen, sagt die 29-Jährige. "Ich habe keine Ablehnung erlebt", sagt sie. Ganz im Gegenteil, meint ihr Freund. Ihre Eltern würden ihn bereits als ihren "Sohn" bezeichnen.