DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung hat in diesem laufenden Jahr Genehmigungen für Waffenexporte in Höhe von 416 Millionen Euro nach Saudi-Arabien erteilt. Sie haben schon vor einem Jahr gefordert, dass die Bundesregierung keine Waffen an Staaten liefern solle, die am Krieg im Jemen beteiligt sind. Hat sich denn gar nichts getan?
Prälat Karl Jüsten (Katholischer Vorsitzender der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung "GKKE" und Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe): Leider müssen wir eine sehr ernüchternde Bilanz ziehen. Im Grunde genommen hat sich eigentlich nichts getan. Die Bundesregierung ist erst wach geworden als der furchtbare Fall Khashoggi bekannt wurde. Erst dann wurden Rüstungsexport-Genehmigungen zurückgezogen, die wahrscheinlich jetzt doch wieder erteilt werden. Das ist eine sehr unerfreuliche Angelegenheit, wie die Bundesregierung sich gegenüber Saudi-Arabien verhält, weil Saudi-Arabien ansonsten für den Westen ja ein strategisch wichtiger Partner in der Region ist und natürlich ein Land ist, das viel Öl hat.
DOMRADIO.DE: Selbst mit dem Mord an Khashoggi, der von Saudi-Arabien mutmaßlich in Auftrag gegeben worden ist, hat sich in ihren Augen nichts daran geändert, dass Deutschland an Saudi-Arabien Waffen liefert?
Jüsten: Ich habe heute Morgen noch gehört - das konnten wir nicht mehr in unserem Rüstungsexportbericht einfügen - dass wieder Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien gemacht werden. So hat es das Institut Sipri aus Schweden berichtet.
DOMRADIO.DE: Sie gehen soweit zu sagen: "Die deutschen Waffenexporte brechen das Völkerrecht". Warum?
Jüsten: Im Grunde genommen herrscht in Saudi-Arabien Krieg. Und in Kriegsregionen dürfen keine Waffen exportiert werden. Folglich ist jede Waffe, die in eine Kriegsregion exportiert wird, ein Bruch.
DOMRADIO.DE: Seit einiger Zeit fordern Sie ein Rüstungskontrollgesetz. Da tut sich nicht viel. Warum ist so ein Gesetz dringend notwendig?
Jüsten: Bisher gibt es ja nur Selbstverpflichtungen der Bundesregierung. Diese Selbstverpflichtungen indes sind justiziabel ein sehr dünnes Brett. Damit können sie nicht viel anfangen. Wenn es aber ein Gesetz geben und die Bundesregierung damit gegen ein Gesetz verstoßen würde, würde möglicherweise das Strafrecht eine Rolle spielen. Deshalb glauben wir, dass ein Gesetz eine "schärfere Waffe" wäre - um es mal in dieser Diktion zu sagen - als nur die Selbstverpflichtungen der Bundesregierung. Mit einem Gesetz könnte man die Behörden oder diejenigen, die für die Exporte gegenzeichnen, auch in die Verantwortung nehmen.
DOMRADIO.DE: Jedes Jahr kurz vor Weihnachten legt die "Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung" diesen Rüstungsexportbericht vor. Wir haben um diese Zeit im vergangenen Jahr miteinander gesprochen und es scheint ein wenig so, als ob man die gleichen Dinge vom letzten Jahr wieder konstatieren müsse. Kommen Sie sich eigentlich wie ein Rufer in der Wüste vor?
Jüsten: Das ist die Aufgabe unseres Rüstungsexportberichts. Deshalb haben wir als Kirchen beschlossen, weiterhin einen Bericht vorzulegen. Man könnte ja sagen: Jetzt, wo die Bundesregierung den Rüstungsexportbericht selbst zeitnah vorlegt und die Zahlen bekannt sind, könnte man das einstellen. Aber es gibt viele, die sagen: Ihr müsst weitermachen, damit es eine Kontrolle der Regierung gibt. Damit eine Stimme außerhalb von Parlament und Regierung da ist, die die Probleme, die mit Rüstungsexporten zusammenhängen, immer wieder aufgreift.
Es gibt auch immer wieder neue Herausforderungen, vor denen wir stehen. Der evangelische Kollege hat darauf hingewiesen, dass die Rheinmetall-AG weitere Firmen aufgekauft hat und jetzt über diese Firmen, die in Europa sind, die Rüstungsexport-Richtlinien der Bundesregierung unterlaufen kann. Leider ist das ein Thema, das uns noch weiterhin beschäftigen wird.
DOMRADIO.DE: Es ging also nicht vorwiegend um Saudi-Arabien. Was haben Sie sonst festgestellt?
Jüsten: Unser Rüstungsexport-Bericht befasst sich seit vielen Jahren mit allen Rüstungsexporten, zum Beispiel auch mit kleinen Waffenexporten an Drittstaaten. Da wollte die Bundesregierung dafür sorgen, dass dies nicht mehr geschehen soll. Wir haben indes mitbekommen, dass solche Kleinwaffen in Mexiko aufgetaucht sind und erheblich dazu beigetragen haben, dass das Verschwinden der 43 Studierenden möglich war. Wir müssen im Bericht auch leider andere Themen auffahren und nüchtern feststellen was, wann, wo, wie viel exportiert worden ist.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.