Expertin über den Weißen Sonntag und die Bedeutung liturgischer Stoffe

"Ein fragiler Teil unserer Kultur"

Zahlreiche junge Menschen feiern heute ihre Erstkommunion - am Weißen Sonntag. Woher dieser Name kommt und welche Bedeutung Textilien in der Kirche haben, darüber konnten wir mit einer Expertin für historische Stoffe sprechen. 

Erstkommunion (KNA)
Erstkommunion / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Woher kommt der Name "Weißer Sonntag"?

Dr. Gudrun Stracke (Institut für historische Textilien) Der Name leitet sich vom Lateinischen "Dominica in Albis" ab: der Sonntag in weißen Gewändern. Man vermutet, dass der Brauch, diese weißen Gewänder am Tag der Erstkommunion zu tragen, auf die Taufgewänder zurückgeht. In der Zeit des frühen Christentums war es üblich, als Erwachsener lange, tunikaförmige Gewänder zu tragen.

DOMRADIO.DE: Weiße Gewänder bei der Taufe, weiße Kleider bei der Kommunion, dann haben wir Brautkleider in weiß, der Papst trägt weiß. Was symbolisieren diese weißen Stoffe in der Kirche?

Stracke: Weiß ist die Farbe, in der alle Farben zusammenkommen. Sie ist Ausdruck des Lichtes und der Unschuld. Wenn man sich auf die erste Heilige Kommunion vorbereitet, tut man das in einem längeren Unterricht. Man geht zur Beichte, empfängt das Bußsakrament und geht dann mit reinem Herzen zur Eucharistie. Das drückt die weiße Kleidung aus.

DOMRADIO.DE: Nicht nur die weiße Kleidung - in der Kirche generell spielen Textilien eine besondere Rolle. Warum ist das so?

Stracke: Wenn wir an Textilien denken, dann gehen wir vielleicht von unserer Alltagskleidung aus. Die ist funktional, bequem, schlicht und sportlich. Aber wenn wir etwas aus der Alltäglichkeit herausheben wollen, einen besonderen Akzent setzen wollen, dann tragen wir festlichere Kleidung: ein schickes Kostüm, etwas Farbenfrohes. Damit setzen wir ein Zeichen, dass etwas Besonderes stattfindet.

DOMRADIO.DE: Textilien gehören oft auch zum Kirchenschatz. Wie kann es sein, dass Textilien und Stoffen in der Kirche eine so wichtige Bedeutung zugeschrieben wird?

Stracke: Textilien sind sakrale Schatzkunst. Sie sind ein Teil unserer Kultur, der besonders fragil ist. Manchmal sind sie weit gereist, als diplomatisches Geschenk hierher gelangt. Sie waren in ihrer Materialität unfassbar, also für den Menschen des Mittelalters schier nicht zu begreifen. Die ersten Seidenstoffe, die wir hier in Europa selbst fertigen können, entstehen erst im 14. Jahrhundert. Alles, was davor zu uns gekommen ist und was auch noch in großer Zahl hier in Kölner Kirchenschätzen überliefert ist, ist weit gereist: aus Byzanz, aus dem Vorderen Orient, aus China. Aufgrund seiner Materialität, der feinen Seide, aufgrund der Farbigkeit, aber auch der fremdartigen und exotischen Ornamente ist dieser Schatz unfassbar kostbar. Aus diesem Grunde sind die Textilien dazu bestimmt, einerseits die Reliquien zu umhüllen aber dann auch Gewänder der Liturgie zu gestalten.

DOMRADIO.DE: Ab wann muss man sich Gedanken um die Konservierung solcher Textilien machen? Nur wenn sie ausgestellt werden?

Stracke: Nein, das ist natürlich auch so, wenn sie in der Liturgie genutzt werden. Stoffe, die schon viele Jahrhunderte getragen werden, sind natürlich besonders beansprucht und auch anspruchsvoll in ihrer Pflege und Aufbewahrung. Sie müssen lichtgeschützt lagern. Sie dürfen nicht dem Staub ausgesetzt werden, weil Staub an der Oberfläche der Fasern reibt. Es gibt viele Dinge, die im sorgsamen Umgang mit Textilien zu beachten sind.

DOMRADIO.DE: Im 19. Jahrhundert hat man dann damit begonnen, Textilien zu sammeln?

Stracke: In der Zeit, als man den Dom in Köln fertig stellte, gab es eine Bewegung, die sich sehr auf das Mittelalter konzentrierte und die Wurzeln der eigenen Kultur in der mittelalterlichen Kunst sah. So hat man angefangen, sich von den barocken Stoffen mit den reichen Blumenmustern abzuwenden. Man hat sich auf die Suche nach eigenen Paramentenstoffen begeben, die man im 19. Jahrhundert neu kreiert hat. Um diese Stoffe und Ornamente neu zu schaffen, hat man auch alte Stoffe gesammelt. Das waren zum Teil kleine Fragmente, es waren aber auch Gewänder. Einer der in Köln bekannten Sammler, Alexander Schnütgen, hat in seinem Leben eine unglaubliche Zahl von liturgischen Gewändern zusammengetragen, die heute einen wichtigen Kernbestand des Museums Schnütgen ausmachen.

DOMRADIO.DE: Sie haben in Ihrem Institut tagtäglich mit solchen Textilien und Objekten zu tun. Gibt es etwas, das Ihnen während ihrer Zeit im Institut ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Stracke:: Ja, ein ganz besonders faszinierendes Objekt, das sehr großformatig ist. Es handelt sich dabei um ein rotes bemaltes Seidentuch, das als Sekundärreliquie die Zeiten überdauert hat und eine Darstellung des Heiligen Rocks aus Trier zeigt. Ein Engel hält darauf dieses Gewand an den Schultern und präsentiert es frontal. Es befindet sich heute in adeligen Privatbesitz. Wir wissen, dass dieses Tuch bei der Weisung des Heiligen Rocks im 17. Jahrhundert aufgelegt wurde. Der Maler bekam den Auftrag, den Heiligen Rock eins zu eins zu kopieren und abzuzeichnen. Wir wissen, dass der Heilige Rock im Laufe der Zeit, auch gerade im 19. Jahrhundert, vielfach restauriert worden ist und nicht in seiner ursprünglichen Dimension erhalten ist. Aber mit dieser Berührungsreliquie, mit diesem bemalten Tuch, kennen wir die ursprüngliche Dimension des Heiligen Rocks.

DOMRADIO.DE: Was fasziniert Sie denn am meisten an Ihrem Beruf?

Stracke: Das ist die Veränderung der Textilien. Auch liturgische Gewänder verändern sich im Laufe der Jahrhunderte, obwohl sie einen ursprünglichen Typus spiegeln. So werden zum Beispiel Stoffe gestiftet, die ursprünglich mal ein Brautkleid waren, dann werden Stickereien hinzugefügt, die vielleicht aus anderem Zusammenhang kommen. Im Laufe der Jahrhunderte und gerade auch im 19. Jahrhundert hat man die Dinge dann nochmals verändert. Dieser ständige Wandel ist sehr faszinierend. Eine besondere Entdeckung haben wir auch einmal gemacht: Wir waren gezwungen - das macht man nicht so gerne - eine historische Naht zu öffnen und das Leinen-Inlay einer Kasel zu untersuchen. Wir haben den Oberstoff ein bisschen zur Seite gelegt und auf dem Inlay fanden wir eine Inschrift des Schneiders. Auf der war zu lesen: "Wenn dieses Gewand jemals verändert wird und man dieses Futter findet, möge man für mich ein Vaterunser beten." Das haben wir dann auch gemacht.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch aktuelle Forschungsprojekte, an denen sie arbeiten?

Stracke: Wir haben vor einiger Zeit ein großes Forschungsprojekt abgeschlossen. In Kooperation mit der Universität in Köln ist ein Korpuswerk der Kölner Borten entstanden. Darin sind alle Kölner Borten des späten Mittelalters erfasst, die sich auf Kölner Stadtgebiet noch erhalten haben. Die Borten waren ein Kölner Exportschlager. Mit ihnen hat man liturgische Gewänder ausgestattet, die man bis nach Island hin exportiert. Sie haben sich bis heute in großer Zahl bewahrt, weil sie aus einem so wunderbaren Material geschaffen sind, das die Kölner Zünfte bereitgestellt haben und das wahrscheinlich von den Wappenstickern hergestellt wurde.


Quelle:
DR