Vor 150 Jahren folgt auf die Reichsgründung der Kulturkampf

Ein Großkonflikt zwischen Staat und Kirche

Kaum hatte Bismarck das Deutsche Reich geschmiedet, brach er den Konflikt mit der katholischen Kirche vom Zaun. Es war ein erbittert geführter Kampf um die Rolle der Religion im modernen Staat.

Autor/in:
Christoph Arens
Otto von Bismarck (dpa)
Otto von Bismarck / ( dpa )

"Es handelt sich hier um einen großen Kulturkampf." Der Mediziner und liberale Reichstagsabgeordnete Rudolf Virchow gab dem gesellschaftlichen Großkonflikt seinen Namen. Vor 150 Jahren, kurz nach der Gründung des Deutschen Reiches, eskalierte der Streit zwischen katholischer Kirche und Regierung in Preußen-Deutschland. Die Katholiken in Deutschland verbinden mit 1871 Erinnerungen, die lange traumatisch nachwirkten.

Spannungen von Anfang an

Von Anfang an gab es Spannungen. Am 8. Juli 1871 löste der preußische Ministerpräsident und Reichskanzler Otto von Bismarck die Katholische Abteilung im preußischen Kultusministerium auf, die Interessenvertretung der Katholiken im überwiegend protestantischen Preußen. Das war der Auslöser für einen erbittert geführten Kampf um das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Erst 1878 kam es wieder zu einer Annäherung. Diplomatisch beigelegt wurde die Krise erst ein Jahrzehnt später. 1887 erklärte Papst Leo XIII. den "Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte", für beendet.

In ganz Europa wurden im 19. Jahrhundert die Machtverhältnisse zwischen Kirche und Staat neu ausgefochten. Hatte die Kirche seit dem Mittelalter großen Einfluss auf Schulen, soziale Einrichtungen und gesellschaftliche Institutionen gehabt, so brachten die Französische Revolution und Napoleons Eroberungsfeldzüge das bestehende Kirchensystem an den Rand der Existenz. Kirchengüter wurden enteignet, Bischöfe mussten auf weltliche Herrschaft verzichten, der Staat drängte die Religion zurück.

Neuer Aufbruch

Ein Schock, dem aber ein neuer Aufbruch der katholischen Kirche folgte: Neue Orden und Vereine wurden gegründet, eine religiöse Presse entstand, und das Wallfahrtswesen erlebte einen Boom. Wie nie zuvor orientierten sich die Katholiken nach Rom und auf den Papst hin. 1864 verurteilte Papst Pius IX. im "Syllabus Errorum" vermeintliche Irrlehren der Moderne, darunter Sozialismus, Kommunismus, Menschenrechte und Liberalismus. Das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) erklärte die Unfehlbarkeit des Papstes in "Religion und Sitten".

Darin sahen Bismarck und viele Liberale einen Angriff auf das gerade gegründete Kaiserreich. Und das umso mehr, als die Katholiken sich seit 1870 politisch in der Zentrumspartei organisierten. Gefährlich waren nach Bismarcks Meinung auch die Zusammenarbeit des Zentrums mit den katholischen Minderheiten der Polen, Elsaß-Lothringer und Dänen. Der Kanzler deklarierte die deutschen Katholiken zum verlängerten Arm des Papstes und zu Reichsfeinden.

Weitere staatliche Repressionen für die Kirche

Die staatlichen Maßnahmen wurden immer härter: Ende 1871 folgte der "Kanzelparagraph", nach dem Geistliche mit Haftstrafen belegt wurden, wenn sie ihre Predigt für politische Äußerungen missbrauchten. Ein Jahr später übernahm der Staat die alleinige Schulaufsicht und verbot den Jesuitenorden. 1873 wurde in den "Maigesetzen" eine staatliche Abschlussprüfung für Geistliche eingeführt. Darüber hinaus behielt sich der Staat ein Einspruchsrecht bei der Vergabe geistlicher Ämter vor. Immer mehr Pfarrerstellen verwaisten. 1874 wurde zunächst in Preußen, später im ganzen Reich, die Zivilehe bindend eingeführt. 1875 verfügte das "Brotkorbgesetz", alle finanziellen Zuwendungen an die Kirche zu sperren - bis die Bischöfe den Kulturkampfgesetzen schriftlich zustimmten.

Ein Boomerang für Bismarck und die Liberalen, die den Kurs des Kanzlers stützten und damit zugleich ihren Anspruch auf demokratische Teilhabe aller Bürger verrieten. Der Druck schweißte die Katholiken zusammen; das Zentrum gewann Wähler. Zugleich aber empfanden sich die Katholiken lange als Bürger zweiter Klasse.

1878 war Bismarck bereit, sich mit den Katholiken zu arrangieren. Jetzt sollte der Kampf gegen die SPD zum Kitt des Staates werden. Die Aussöhnung wurde erleichtert, als Pius IX. starb und mit Leo XIII. ein kompromissbereiterer Papst folgte. Die Gesetze wurden gemildert. 1882 nahm Preußen wieder Beziehungen zum Vatikan auf. Die 1886 und 1887 erlassenen Friedensgesetze legten den Konflikt offiziell bei. Das Jesuitengesetz allerdings wurde erst 1917, der Kanzelparagraph erst 1953 aufgehoben.


Quelle:
KNA