Weltkriegssuche des Deutschen Roten Kreuzes wird verlängert

"Ein hervorragendes Zeichen der Humanität"

Das Deutsche Rote Kreuz ist ein großer Wohlfahrtsverband. Auch die Suche nach Flüchtlingen und Weltkriegsvermissten liegt in seinem Zuständigkeitsbereich. Letztere sollte eingestellt werden, wird nun aber doch verlängert.

Verlassenes Montorrad der Wehrmacht / © Zayne C (shutterstock)
Verlassenes Montorrad der Wehrmacht / © Zayne C ( shutterstock )

KNA: Noch immer suchen Menschen nach Angehörigen, die sie im Zweiten Weltkrieg aus den Augen verloren haben. Welche Rolle spielt hierbei das DRK?

Gerda Hasselfeldt (Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes / DRK): Wir sind von der Bundesregierung als freiwillige Hilfsgesellschaft der Behörden beauftragt, gemäß dem Genfer Abkommen nach Weltkriegsvermissten zu suchen. Es gibt weiterhin viele Kinder, Enkelkinder, manchmal auch hochbetagte Geschwister von vermissten Soldaten, Zivilinternierten oder Weltkriegsflüchtlingen, die das Schicksal ihrer Angehörigen klären möchten.

KNA: Wie viele Suchanfragen erreichen Sie im Jahr?

Hasselfeldt: Im vergangenen Jahr waren es etwas mehr als 10.000 Anfragen zu Weltkriegsvermissten und in der ersten Hälfte 2020 fast 5.800. Für dieses Jahr rechnen wir daher mit insgesamt rund 11.000 Suchanfragen.

KNA: Wie erklären Sie sich diese Zunahme?

Hasselfeldt: Ich glaube, dass der 75. Jahrestag des Kriegsendes mehr Aufmerksamkeit für das Thema gebracht hat. Darüber hinaus haben wir mit Blick auf das eigentlich geplante Ende der Suchdienst-Arbeit zum Zweiten Weltkrieg dazu aufgerufen, die Gelegenheit zu nutzen und noch Suchanfragen zu stellen.

KNA: Der DRK-Suchdienst zu Weltkriegsanfragen sollte 2023 eingestellt werden. Dagegen gab es lauten Widerstand. Was passiert nun?

Hasselfeldt: Wir haben aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Debatte einen Antrag beim Bundesinnenministerium gestellt, diese Suchdienst-Aufgabe bis 80 Jahre nach Kriegsende, also bis 2025 fortzuführen, und das Ministerium hat zugestimmt. Damit wird Tausenden von Menschen geholfen, und das begrüße ich sehr. Es ist ein hervorragendes Zeichen der Humanität. Das Ministerium finanziert den DRK-Suchdienst mit zuletzt insgesamt elf Millionen Euro pro Jahr, wobei etwa 15 bis 20 Prozent auf die Weltkriegsanfragen entfallen.

KNA: Haben Sie Erfolg bei Ihrer Suche?

Hasselfeldt: In rund 20 Prozent der Fälle können wir Auskunft geben über das Schicksal der Gesuchten im Zweiten Weltkrieg.

KNA: Worum geht es bei dem geplanten Forschungsprojekt zum Suchdienst?

Hasselfeldt: Es wurde immer wieder diskutiert, welche Rolle der Suchdienst bei der Klärung der Schicksale von Weltkriegsvermissten gespielt hat. Das Projekt steht erst am Anfang, aber es wird für unsere Geschichte und das Verständnis des Umgangs mit den Leiden des Zweiten Weltkriegs und seinen Folgen von großer Bedeutung sein.

KNA: Sie kümmern sich auch um die Suche nach Flüchtlingen heutiger Konflikte. Wie viele Anfragen erreichen Sie hierzu?

Hasselfeldt: Im vergangenen Jahr waren es etwa 2.100 Anfragen, im ersten Halbjahr 2020 rund 720. Hier arbeiten wir eng mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zusammen, und diese humanitäre Arbeit läuft auf alle Fälle längerfristig weiter.

KNA: Sie kommen aus der aktiven Politik. Welche Erwartungen haben Sie an die europäische Flüchtlingspolitik?

Hasselfeldt: Es gibt noch großen Handlungsbedarf. Die EU muss endlich zu einer gemeinsamen Migrationspolitik finden. Ich begrüße die Anstrengungen der Bundesregierung während der EU-Präsidentschaft in diese Richtung, weiß aber auch um die schwierige Situation.

KNA: Tauschen Sie sich mit ihren CSU-Kollegen hierzu noch viel aus?

Hasselfeldt: Ja, ich tausche mich regelmäßig mit Bundestagsabgeordneten und den zuständigen Ministerien aus. Ich habe den Eindruck, dass unsere Erfahrungen ernst genommen werden.

KNA: Das DRK ist auch im Libanon sehr aktiv. Wie sehen Sie die Lage vor Ort nach der Explosion im Hafen von Beirut?

Hasselfeldt: Die Situation ist auch drei Wochen nach der Katastrophe weiterhin verheerend. Das Zuhause von fast 300.000 Menschen wurde beschädigt oder zerstört, auch einige unserer Mitarbeiter sind betroffen. Hinzu kommt, dass die Corona-Infektionen mit mehr als 600 Fällen pro Tag einen neuen Höchststand erreicht haben. Nach einem ersten Hilfsflug unterstützen wir das Libanesische Rote Kreuz vor allem im Bereich Gesundheit, dem Katastrophenmanagement und weiteren Hilfsgütern. Die Menschen bleiben noch auf Jahre hinaus auf Hilfe angewiesen, und hierfür brauchen wir Spenden aus der Bevölkerung.

KNA: Kann das DRK sich aus den politischen Querelen heraushalten und neutral agieren?

Hasselfeldt: Wir sind zur Neutralität verpflichtet und orientieren uns nur an der Not der Menschen. Das ist manchmal schwierig, aber unser weltweiter Grundsatz.

KNA: Die Corona-Pandemie hält nicht nur den Libanon, sondern die Welt seit Monaten in Atem. Wie wirkt sich das auf die Arbeit des DRK aus?

Hasselfeldt: Pflege- und Rettungskräfte sind zusätzlichen Gefahren ausgesetzt und arbeiten unter erschwerten Bedingungen - physisch und psychisch. Die Anerkennung von Seiten der Politik und der Bevölkerung tut gut, aber sie muss andauern. Die Arbeitsbedingungen müssen für beide Beschäftigtengruppen langfristig besser werden.

KNA: Die Zahl der Blutspender ist wegen Corona zurückgegangen. Wie ist die Lage mittlerweile?

Hasselfeldt: Wir brauchen die regelmäßigen Blutspenden und haben derzeit regionale Engpässe. In der Urlaubszeit ist es ohnehin schwieriger, Spender zu finden. Durch verschobene und nun nachgeholte Operationen ist der Bedarf zudem zuletzt gestiegen. Auf den angebotenen Blutspendeterminen besteht aufgrund strengster Hygienevorschriften keine erhöhte Ansteckungsgefahr. Wer Leben retten möchte, findet unter www.drk-blutspende.de einen passenden Termin.

KNA: Wie haben Sie persönlich die Pandemie-Zeit erlebt?

Hasselfeldt: Ich war bereits im März selbst infiziert und eine Woche im Krankenhaus, aber nicht auf der Intensivstation. Ich achte sehr darauf, die Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. Ich arbeite viel mit Video- und Telefonkonferenzen. Ich weiß um diese heimtückische Krankheit aus eigener Erfahrung und möchte vor Sorglosigkeit im Umgang mit der Pandemie ausdrücklich warnen.

Das Interview führte Anna Mertens.


Gerda Hasselfeldt / © Matthias Balk (dpa)
Gerda Hasselfeldt / © Matthias Balk ( dpa )
Quelle:
KNA
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