Anlässlich der Verleihung eines Doktors ehrenhalber durch die Universität Luzern trug Irlands frühere Staatspräsidentin Mary McAleese Anfang November ein ausführliches Resümee zum katholischen Engagement für die Rechte von Kindern und Jugendlichen vor. Es fiel mager aus. Der Heilige Stuhl, so McAleese, sei "immer noch weitgehend untätig, wenn es darum geht, ein glaubwürdiges Kinderrechtsethos in der gesamten Weltkirche aufzubauen, zu übernehmen und zu verankern".
Dabei verfüge die katholische Kirche über einzigartige Möglichkeiten. Sie sei "der weltweit größte nichtstaatliche Anbieter von kindbezogenen Dienstleistungen im Bildungs- und Wohlfahrtsbereich". McAleese nannte Zahlen aus dem Jahr 2015, wonach rund 60 Millionen Kinder 200.000 katholische Schulen auf fünf Kontinenten besuchten.
Zwar kritisierte die 2018 an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Kirchenrecht promovierte Juristin auch die schleppende Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche. (Das Thema ihrer Doktorarbeit lautete: "Children's Rights and Obligations in Canon Law".) Ihr Hauptaugenmerk in Luzern lag allerdings auf Körperstrafen für Kinder.
Kritik an Papstworten
Die werden in der UN-Kinderschutzkonvention von 1989 verurteilt: "Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung (...) zu schützen", heißt es in Artikel 19. Zu dem Thema, so der Vorwurf von McAleese, hätten bisher weder katholische Theologen, Kirchenrechtler, Anthropologen noch Vatikanbehörden wie das Dikasterium für Familie, Laien und Leben, noch die ehemalige Kongregation für das katholische Bildungswesen oder die Päpstliche Kinderschutzkommission beigetragen.
Papst Franziskus selber habe sich nur eine "unbedachte Bemerkung zugunsten der elterlichen Anwendung von Körperstrafen" geleistet. In einer Generalaudienz hatte Franziskus vor ein paar Jahren gesagt, wenn ein Vater sein Kind ins Gesicht schlage, nehme er ihm die Würde.
Ein Klaps auf den Hintern sei aber okay. Zwar erwähnt der Katechismus der katholischen Kirche das Wort "Körperstrafe" nicht. Aber im Abschnitt über die Erziehungspflicht der Eltern zitiert er einen Satz aus dem Buch Jesus Sirach (30,1-2): "Wer seinen Sohn liebt, hält den Stock für ihn bereit, damit er später Freude erleben kann. Wer seinen Sohn in Zucht hält, wird Freude an ihm haben."
Die eindeutige Auffassung, "dass die körperliche Bestrafung eines Kindes durch die Eltern ein Ausdruck von Liebe ist", müsse geändert werden, so McAleese. Damit verstoße der Heilige Stuhl gegen die von ihm selbst unterzeichnete Kinderrechtskonvention. (Dass der Katechismus es als erste elterliche Pflicht nennt, "ein Zuhause zu schaffen, wo Zärtlichkeit, Vergebung, gegenseitige Achtung, Treue und selbstlose Dienstbereitschaft herrschen" (KKK 2223), ließ sie unerwähnt.)
Dabei habe andererseits die katholische Kirche doch eine "weltweit führende Rolle im Kampf gegen Kinderarmut und Bildungsmangel", konzedierte McAleese. Sie unterstütze internationale Bemühungen zur Verhinderung von Kinderhandel und Kinderpornografie sowie zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten, von Kinderarbeitern und Migrantenkindern.
Blick auf die UN-Kinderschutzkonvention
Mit Blick auf die gesamte UN-Kinderschutzkonvention kritisierte McAleese deren mangelnde Umsetzung durch Vatikan und katholische Kirche. Immerhin sei das Dokument in den 1980er Jahren mit Unterstützung von Vatikanvertretern entstanden. Und der Heilige Stuhl einer der ersten, der die Konvention ratifizierte.
Seitdem stritten UN- und Vatikanvertreter unter anderem darüber, ob und inwieweit die Konvention nur für das Territorium des Vatikanstaats gilt oder für die ganze katholische Kirche. Ersteres scheint inzwischen geklärt. Seit 2019 ist im Vatikanstaat die körperliche Bestrafung von Kindern durch Vatikanangestellte uneingeschränkt verboten.
Doch die Pflicht, ein umfassendes Verbot der Gewaltausübung gegen Kinder zu beachten und umzusetzen, gilt laut McAleese "nicht nur auf dem Territorium des Vatikanstaates umzusetzen, sondern ebenso in seiner Eigenschaft als oberste Machtinstanz der katholischen Kirche" - mittels der Einzelpersonen und Institutionen, die ihm unterstehen.
Sie zitierte dabei den Kinderrechtsausschuss in Genf, der das in den vergangenen Jahren ebenfalls so sah.
Da verkenne man den Charakter des Heiligen Stuhls und der Kirche; sie seien eben kein Staat wie jeder andere, konterten Vatikanvertreter schon früher. Als Leitungsorgan der katholischen Kirche und globale moralische Instanz könne der Vatikan die Grundsätze der Konvention fördern. Er sei aber nicht verpflichtet, deswegen Lehre oder Kirchenrecht zu ändern.
Eine Chance, zu gesetzlich zwar vielfach verbotenen, aber in vielen Kulturen unterschiedlich bewerteten Körperstrafen etwas zu sagen, böte der "Global Compact on Education". Die 2020 gestartete Vatikan-Initiative möchte international möglichst viele Verantwortliche in Erziehung und Bildung - von Eltern über Wissenschaftler bis Bildungspolitiker - zusammenbringen, um Projekte für eine nachhaltigere und ganzheitliche Bildung und Erziehung anzustoßen. Doch von dort war bisher kaum etwas zu hören.
Weiterer Bericht aus dem Vatikan nicht absehbar
Die Vertragsstaaten der Kinderrechtskonvention sollen alle fünf Jahre berichten, wie es bei ihnen um deren Umsetzung steht. Der Heilige Stuhl tat dies bisher nur 1994 und 2011. Die erste Runde von Bericht, Bewertung und Diskussion zwischen Genf und Vatikan war eher harmlos.
Die zweite 2011 stand klar unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals. Bis ins Jahr 2014 folgten eine Reihe von Auseinandersetzungen, bei denen der damalige Vatikanvertreter in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi, ebenso wie der Kinderschutzexperte Hans Zollner den Bewertungsbericht aus Genf als ideologisch gefärbt sowie teils "ungerecht" und "verwirrend" befanden.
Ein weiterer, längst fälliger Bericht aus dem Vatikan ist derzeit nicht absehbar. Das formal zuständige Staatssekretariat scheint überlastet, die thematisch zuständigen Behörden für Bildung und Familie haben sich dazu bisher nicht geäußert. Die Kinderschutzkommission ist mit der Begleitung der Ortskirchen in Sachen Missbrauchsprävention und -intervention gut ausgelastet, leidet aktuell zudem unter einer gewissen Führungsschwäche.
Ob Franziskus absehbar den Satz mit dem "Stock" aus dem Katechismus entfernen lässt, scheint zweifelhaft. Die 2019 erfolgte Ächtung der Todesstrafe mit entsprechender Änderung im Katechismus erscheint ihm wichtiger. Kritisch beobachtet werden von Rom aus eher andere Inhalte und Bestrebungen, wie sie in der Kinderrechts- und anderen UN-Konventionen enthalten sind: eine zunehmende Einschränkung des primären elterlichen Erziehungsrechts zugunsten eines überzogenen Selbstbestimmungsrechts von Minderjährigen sowie staatlicher und anderer Institutionen. Eine Entwicklung, so Vatikanvertreter, die aus einer anthropologische Sicht des Menschen resultiert, die dem christlichen Menschenbild widerspreche.