domradio.de: Wie würden sie denn George Michael musikalisch einordnen?
Stefan Ahrens (Bistum Regensburg/Autor bei The Cathwalk – Das Onlinemagazin für katholische Lebensart): Meistens wird er jetzt posthum sehr stark reduziert auf seine Rolle als Sänger von "Last Christmas". Natürlich ist das ein Song, der jedes Jahr an Weihnachten gespielt wird und angeblich acht Millionen Euro an Tantiemen jährlich einspielt. Aber Georg Michael hatte alleine in Großbritannien sieben Nr. 1-Hits, in den USA sogar acht. Er hat über 100 Millionen Alben verkauft. Man muss ihn in einem Atemzug mit Madonna und Michael Jackson nennen.
domradio.de: In welcher Tradition sehe Sie seine Musik?
Ahrens: Er hat im besten Sinne des Wortes Pop gemacht, eine Musik, die in alle Richtungen offen ist. Die frühen Wham-Stücke hatten viel Motown-Soul in sich. In den Solosachen kann man sehr viele Soul- und R&B-Einflüsse erkennen. Sein Solodebut war das erste R&B-Album eines weißen Sängers, das den Grammy gewonnen hat für das R&B-Album des Jahres. Georg Michael war ein unglaublicher Zuhörer. Er kannte die Popgeschichte aus dem Effeff und hat sich dann aus vielen Quellen bedient um daraus die für ihn beste Musik zu machen.
domradio.de: Kann man in seinen Liedern auch eine christliche Botschaft erkennen?
Ahrens: Es gibt ja das Lied "Jesus to a child", und er hat auch tatsächlich mal ein Weihnachtslied geschrieben, den "December Song". Darin kommen Jesus und die Jungfrau Maria vor.
Er war wohl kein praktizierender Kirchgänger, aber er war jemand, der etwas aufgenommen hat von der christlichen Botschaft, vom Evangelium. Wenn er in dem Lied - gerichtet an einen geliebten Menschen – singt: "You smile at me like Jesus to a child", dann haben wir hier einen liebenden Christus, auch den Christus, der als Erlöser in Erscheinung tritt. Das spielte implizit bei ihm eine gewisse Rolle. Er war Sohn orthodoxer Christen, von dieser mystischen Christologie und diesem positiven Menschenbild und Christenbild hat er etwas transportiert.
domradio.de: Hätten sie gedacht, dass die Reaktionen auf seinen Tod so gewaltig ausfallen?
Ahrens: Er lieferte den Soundtrack für ganz viele junge Menschen in den 80er und 90er Jahren. Das ist wie bei Michael Jackson oder wie für die ältere Generation Elvis oder John Lennon. Diese Lieder haben uns ein Leben lang begleitet. Er war immer da. Und wenn dann auf einmal eine solche Konstante wegbricht, führt das dazu, dass unglaublich viele Menschen betroffen sind.
Das Interview führte Heike Sicconi.