Zum 30. Jahrestag der Grenzöffnung in Ungarn hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das sogenannte Paneuropäische Picknick im ungarischen Sopron (Ödenburg) als Weltereignis bezeichnet. Die ungarischen Grenzschützer hätten die DDR-Bürger damals ohne zu schießen ziehen lassen, sagte Merkel am Montag in Sopron.
Sie äußerte sich bei einem ökumenischen Gottesdienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Stadt. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban nahm daran teil.
Menschlichkeit über Dienstvorschriften gestellt
Die Grenzschützer hätten damals Mut bewiesen, indem sie die Menschlichkeit über die Dienstvorschriften gestellt hätten, so Merkel weiter. Sopron zeige, wie viel Europäer erreichen könnten, wenn sie für die unteilbaren Werte mutig einstünden. Es bedeute ihr sehr viel, an diesem Tag vor Ort zu sein.
Das "Paneuropäische Picknick" war eine Friedensdemonstration der Paneuropa-Union an der österreichisch-ungarischen Grenze nahe der Stadt Sopron am 19. August 1989. Sie wurde in der Erinnerungskultur nachträglich zum Meilenstein jener Vorgänge, die zum Ende der DDR, zur deutschen Wiedervereinigung und zum Zerbrechen des Ostblocks führten.
Predigt von Kardinal Erdö
Auch der Budapester katholische Erzbischof Kardinal Peter Erdö betonte in seiner Predigt während des Gottesdienstes die Bedeutung der Ereignisse vor drei Jahrzehnten: Statt der vorherigen militärischen und politischen Konfrontation zwischen Ost und West hätten der Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer die freie Begegnung der aus ideologischen Gründen getrennten europäischen Völker gebracht.
Den Gottesdienst leiteten neben Erdö mehrere hochrangige protestantische Kirchenvertreter, unter ihnen auch der reformierte Pastor und Fidesz-Politiker Zoltan Balog, der von 2012 bis 2018 ein Ministeramt im Regierungskabinett von Orban ausübte.
Balog dankte in seinen Worten allen Verantwortlichen, die vor 30 Jahren Schritte für die Freiheit der Völker und Nationen Europas gesetzt hätten. In Europa gebe es heute Frieden und zuvor nie gelebten Wohlstand, gleichzeitig dürften die blutigen Konflikte rund um den Kontinent nicht vergessen werden.
Anstoß für den Fall der Berliner Mauer
Am 19. August 1989 waren beim sogenannten Paneuropäischen Picknick unmittelbar an der Grenze zu Österreich rund 600 DDR-Bürger spontan in den Westen geflüchtet.
Die Massenflucht bei dem Picknick der Paneuropa-Union war der Vorlauf zur generellen Öffnung der ungarischen Westgrenze für Zehntausende in Ungarn festsitzende ausreisewillige DDR-Bürger. Dies war ein entscheidender Schritt zum Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989.
Kühle Beziehungen zwischen Berlin und Budapest
Die von Dankbarkeit getragene Erinnerung der Kanzlerin an die epochalen Ereignisse vor 30 Jahren steht allerdings in einem starken Kontrast zu den gegenwärtig kühlen Beziehungen zwischen Berlin und Budapest. Merkel ist seit 2014 nicht mehr in dem Donauland gewesen, in dem seit 2010 der rechtskonservative Orban regiert.
Deutschland stört sich vor allem an dem von Orban betriebenen Demokratieabbau sowie an der europa-skeptischen und pro-russischen Haltung Orbans. Außerdem hat der Ungar in der Vergangenheit immer wieder gegen die Flüchtlingspolitik Merkels polemisiert. Orban selbst sieht sich als Vorkämpfer einer "illiberalen" Demokratie, in der zum angeblichen Wohle des Volkes durchregiert wird.
Ökumenischer Gottesdienst
Die Meinungsverschiedenheiten über die Migrationspolitik bestünden weiterhin fort, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Wie sehr das deutsch-ungarische Verhältnis derzeit leidet, zeigt sich nach Ansicht von Beobachtern auch darin, dass sich das gemeinsame Gedenken an die dramatische Grenzöffnung von 1989 den ursprünglichen Plänen zufolge auf einen Festakt mit Reden und ein bilaterales Gespräch beim Mittagessen beschränkte.
In Budapest wird hervorgehoben, dass nun ein anderthalbstündiges Gespräch der beiden Regierungsdelegationen sowie eine gemeinsame Pressekonferenz Merkels und Orbans anberaumt worden sei. Dies deute darauf hin, dass eine "folgenschwere, positive Ankündigung" zu erwarten sei, berichtete die Tageszeitung "Nepszava" in der Samstagausgabe unter Berufung auf Budapester Regierungskreise. Nähere Einzelheiten brachte das Blatt nicht in Erfahrung.