Weggefährte Küngs bedauert nie erfolgte Rehabilitierung

"Ein rabenschwarzer Tag"

Der Pfarrer Wolfgang Gramer ist ein langjähriger Weggefährte von Hans Küng und wird dessen Beerdigung leiten. Küngs Entzug der Lehrerlaubnis beschäftigt ihn bis heute. In seinen Augen hatte Küng Brücken gebaut, die Rom ausgeschlagen hat.

Trauer um Hans Küng / © Harald Oppitz (KNA)
Trauer um Hans Küng / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind eigentlich im Ruhestand. Hat man Sie gebeten, sich bereit zu halten, um die Beerdigung von Hans Küng am Freitag durchzuführen?

Pfarrer Wolfgang Gramer (Pfarrer i.R. im Bistum Rottenburg-Stuttgart): Hans Küng, den ich 1963 als Erstsemester, als Student erlebt habe, der prägend für mich geworden ist und mit dem ich freundschaftlich verbunden bin, hat mich vor sieben Jahren gebeten, wenn er stirbt, seine Beerdigung zu halten.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie darauf reagiert?

Gramer: Ich hab sofort Ja gesagt. Einige Jahre zuvor hatte ich meinen Philosophie-Professor, bei dem ich über Adorno, über die Musikästhetik promoviert habe und der damals Hans Küng als Dekan nach Tübingen berufen hat, auch beerdigt. Hans Küng wollte auch die Ansprache, die ich da bei Joseph Müller gehalten habe.

Ich denke, wir haben uns einfach auch wunderbar ausgetauscht. Ich war ja häufiger als Pfarrer in Argentinien und deshalb hat Hans Küng auch seit 2013 besonders interessiert, wie ich Franziskus sehe, wie ich die Situation in Lateinamerika sehe und so weiter.

Ich denke, in diesem Zusammenhang entstand der Gedanke, dass er mich kurze Zeit später bat, dann, wenn es soweit sei, seine Trauerfeier zu halten.

DOMRADIO.DE: Küng hat seine Lehrerlaubnis 1979 von der Deutschen Bischofskonferenz entzogen bekommen und wurde auch vom Papst nie wirklich rehabilitiert. Wie haben Sie diesen Konflikt zwischen Küng und der Kirche wahrgenommen?

Gramer: Das war 1979 für uns ein ganz schwerer Schlag. Ich war damals Gemeindepfarrer in Böblingen. Ich kann Karl Lehmann nur voll zustimmen, der damals sagte, es sei ein rabenschwarzer Tag gewesen. Wir haben noch Unterschriften gesammelt und diese in der Nacht Bischof Moser, bevor er nach Rom flog, mit der Bitte eingeworfen, einfach standhaft zu bleiben und zu schauen, dass es seinen Weg geht. Als es dann kurz vor Weihnachten kam, waren wir wie am Boden zerstört.

Bei meiner Primiz, der ersten Eucharistiefeier in der Heimatgemeinde, habe ich am Vorabend aus der Verbundenheit mit den evangelischen Mitchristen heraus einen ökumenischen Gottesdienst halten wollen. Dann habe ich ihn eingeladen, nach Waiblingen zu kommen und zu predigen. Das war so bewegend. Und seither sind wir da immer wieder zusammen gewesen.

In Böblingen habe ich ihn dann nach dem Entzug der Lehrerlaubnis eingeladen, in meiner Gemeinde zu predigen. Es war ein bewegender Abend.

Deshalb hab ich auch immer wieder versucht, irgendwas zu tun, wenn ich mal eine Möglichkeit sah. So habe ich 2003 an den Diözesanrat Rottenburg-Stuttgart eine Anfrage gerichtet, ob dieser nicht vorstellig werden könnte, um die Rehabilitierung von Hans Küng zu betreiben. Aber das ging dann schief.

DOMRADIO.DE: Das beschäftigt Sie bis heute und geht Ihnen noch sehr nah, oder?

Gramer: Ja, natürlich. Mein letzter Versuch war erst letztes Jahr am vierten August. Das ist der Gedenktag des Pfarrers von Ars. Beim Bügeln von Hemden kam mir die Idee: Ich schicke jetzt einfach Walter Kasper, mit dem ich ja gut bekannt bin, eine Mail und bitte ihn, entweder beim Papst oder bei der Glaubenskongregation etwas für Hans Küng zu tun. Ich merke, er wird immer schwächer. Ich denke, sein Leben neigt sich dem Ende zu. Es wäre doch schön, wenn da noch was von Rom käme.

Dann hat Walter Kasper sofort - er war da gerade in Ferien in Brixen - mit dem Papst telefoniert und dann kam dieser berühmte Satz vom Papst - vielleicht haben Sie ihn mal gehört oder gelesen: Er umarmt ihn "nella communione christiana". Und hat es zweimal betont, sagte mir der Walter Kasper. Das war für mich schon mal ein ganz wichtiges Zeichen von Franziskus.

Ich weiß, dass das hier nicht so ankam, weil man in Deutschland die lateinamerikanische Mentalität nicht so gut versteht, wenn man sie nicht miterlebt hat, so wie ich. Ich habe das als sehr wichtigen Schritt empfunden, auch wenn ich dann dem Walter Kasper noch geschrieben habe und gesagt habe: Aber wäre es nicht möglich, dass doch noch offiziell was von der Glaubenskongregation käme?

Es bekam nämlich kurz zuvor ein argentinischer Freund von mir, mit dem ich zusammen Theologiestudenten in Santiago ausgebildet habe und der von seinem Bischof auch die Lehrerlaubnis entzogen bekam, vom Vatikan die Nachricht, dass seine Causa aufgehoben sei. Dann hab ich zum Walter Kasper gesagt: Kannst du nicht versuchen, dass vielleicht auch die Causa Küng aufgehoben werden könnte. Das wäre wunderbar. Es hat nur nicht funktioniert.

DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass es heute nochmal zum Entzug einer solchen Lehrerlaubnis kommen würde? 1979 ist lange her. Seitdem hat sich sehr viel getan. Glauben Sie, es wäre heute nochmal so möglich?

Gramer: Das kann ich nicht sagen, ob das möglich wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ginge, vor allem bei Papst Franziskus nicht. Wissen Sie, was mich an dem Punkt auch noch schlaucht? Hans Küng hat ja uns als Studenten den ganzen Zusammenhang mit dem Ersten Vatikanum und der sogenannten Unfehlbarkeit versucht zu deuten. Und das war ja wohl der Auslöser. Nicht, sein Buch "Unfehlbar? Eine Anfrage".

Und das werde ich auch in der Predigt dann sagen, dass er gesagt hat: Man muss das anders verstehen. Infallibilität heißt nicht Unfehlbarkeit. Das ist ja das Problem, das wir im Deutschen haben, denn "fallere" heißt "täuschen", "betrügen". Und er hat uns gesagt: Wenn die Kirche unter dem Wort Gottes steht, dann kann sie nicht radikal in die Irre gehen. Auf das darf sie vertrauen. Aber sie muss immer unter dem Wort Gottes stehen.

Der Papst kann das als Sprecher der Gesamtkirche dann auch definitiv ausdrücken. Das ist ja was ganz anderes, als was man bei uns immer mit Infallibilität meint. Das war für mich ein Brückenschlag vom Hans Küng und ich bin einfach enttäuscht, dass der noch nicht gereicht hat.

DOMRADIO.DE: Wie wird denn die Beerdigung ablaufen? Hans Küng war ein besonderer Theologe. Was haben Sie für die Beerdigung einer so besonderen Persönlichkeit geplant?

Gramer: Ich werde versuchen, in der Ansprache das zu sagen, was Hans Küng mir persönlich auf meinem Lebensweg bedeutet hat. Und da flechte ich natürlich immer wieder diese Themen ein, die da mitkommen. Dazu zählt auch meine Hoffnung, dass sich in der Kirche der Titel seines dritten Memorierenbandes "Erlebte Menschlichkeit" durchsetzt und nicht ein Streit um Worte oder um was weiß ich was, sondern dass wir alle spüren, wozu die Kirche Jesu gerufen ist.

Das war für mich als Student schon so. Der Hans hat mir den Impuls gegeben, auf diesem Weg weiterzugehen.

Am stärksten war es immer, wenn er Eucharistie mit uns Studenten gefeiert hat und da gepredigt hat. Da hab ich seine Seele gespürt und das hat mich motiviert. Und das werde ich auch sagen und werde dann auch darum bitten, dass wir uns auch der anderen Titel seiner Memoiren immer wieder vergewissern: "Erkämpfte Freiheit". Das ist ja im Moment sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft so eine Frage mit der Freiheit und der Freizügigkeit und all dem, was dazugehört.

Ich stelle es zumindest als einfach als Frage. Genauso wie der zweite Band "Die umstrittene Wahrheit". Auch da hat Hans Küng damals einen wunderbaren Satz zu uns Studenten gesagt: "Nicht wir haben die Wahrheit, sondern die Wahrheit hat uns."

Das öffnet doch viel mehr auf das, was er ja dann trotz des Lehrentzugs versucht hat, im neuen Horizont mit den Weltreligionen und mit dem Weltethos deutlich zu machen. Seine Schwester hat mir vermittelt, dass sie einfach immer von seinem Gottvertrauen beeindruckt war. Das hab ich gerade in den letzten Tagen auch noch gespürt.

Ich war am Mittwoch vor Gründonnerstag bei ihm, habe mit ihm noch das eucharistische Brot geteilt, auch in dankbarer Erinnerung an das, was er mir bei meiner Primiz bedeutet hat. Es war für mich faszinierend. Er konnte ja kaum mehr einen Satz sagen, aber als ich das Vaterunser anfing, hat er vom ersten Wort bis zum letzten mitgebetet.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR