DOMRADIO.DE: Ihr Hilfswerk unterstützt seit vielen Jahren ja die Christen im Irak. Wie überraschend ist diese Ankündigung des Vatikan, dass der Papst im März dort hin reisen will, für Sie gewesen?
Tobias Lehner (Internationales katholisches Hilfswerk "Kirche in Not"): Es war tatsächlich eine gewisse Überraschung, wobei man natürlich sagen muss: Die Einladung in den Irak lag schon lange auf dem Tisch. Der chaldäische Patriarch Louis Raphael Sako hatte den Papst schon mehrfach eingeladen. Franziskus hat auch oft schon Interesse an der Lage der Christen im Irak signalisiert. Er hat auch zum Beispiel Projekte von "Kirche in Not" für den Irak sogar direkt unterstützt.
Bisher gab es Sicherheitsbedenken. Nun scheinen die ausgeräumt zu sein. Es gab grünes Licht. Und wir freuen uns riesig über diese Überraschung.
DOMRADIO.DE: Die Lage der Christen im Irak ist seit Jahren sehr schwierig. Viele verlassen ihre Heimat oder haben sie bereits verlassen. Warum ist die Lebenssituation so kompliziert?
Lehner: Man muss sich die absoluten Zahlen vor Augen führen. 2003 gab es circa 1,5 Millionen Christen im Irak, heute sind es unter 150.000. Manche sagen sogar, es seien noch weniger. Also innerhalb einer Generation gibt es einen Rückgang um 90 Prozent. Warum ist die Lage so unsicher? Der "Islamische Staat" (IS) ist zwar militärisch zurückgedrängt, die Kontaktkanäle allerdings funktionieren. Die Unterstützer sind da. Es gibt natürlich auch eine große wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, weswegen viele einfach ihr Glück im Ausland versuchen.
Wir haben eine Umfrage von "Kirche in Not" unter den zurückgekehrten Christen gemacht. Da sagen 90 Prozent, sie fühlen sich unsicher oder sehr unsicher. Hinzu kommt natürlich auch die politisch instabile Situation im Irak selbst. Bekannt ist ja die Auseinandersetzung zwischen der irakischen Zentralregierung und der Kurdenregion. Die Christen siedeln in der Ninive-Ebene, die sozusagen wie ein Riegel dazwischen liegt. Und die fühlen sich auch tatsächlich wie zwischen den Stühlen, denn sie haben, als sie vor dem IS flüchten mussten, in Kurdistan Aufnahme gefunden. Sie sind dort versorgt worden, sind dort auch sehr dankbar, fühlen sich aber auch dem irakischen Staat zugehörig. Also ist das eine sehr schwierige Situation – nach wie vor.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sagen? Was kann das für die Menschen, für die Christen vor Ort, bedeuten, dass ein Papst sagt: Ich komme zu euch?
Lehner: Patriarch Sako hat es ja heute in einer ersten Reaktion schon gesagt: "Wir erwarten uns viel vom Papst." Was auch immer "viel" bedeutet. Also ich denke, der Papst macht zum einen deutlich: Ihr liegt mir am Herzen. Ich bekunde das nochmal wirklich vor Ort, was ich in den letzten Jahren schon oft gesagt und gezeigt habe.
Ich denke, ein erstes Ziel dieser Papstreise könnte sein, Aufmerksamkeit wieder auf den Irak zu lenken. Wir haben so viele andere Nachrichten, die das Schicksal der Christen im Irak überlagert haben. Nicht nur das Schicksal der Christen wurde übrigens überlagert, sondern auch das der anderen religiösen Minderheiten. Nicht umsonst haben die EU und das US-Außenministerium von einem regelrechten Völkermord gesprochen, der in den vergangenen Jahren stattgefunden hat. Da Aufmerksamkeit zu schaffen auf diese brenzlige Situation, das kann natürlich ein erstes Ziel der Papstreise sein. Das zweite ist natürlich: Der Papst reist auch in die Ebene Ur, der traditionell angenommenen Heimat von Abraham. Also damit sendet er auch ein starkes interreligiöses Signal, das weit über den Irak, denke ich, hinausreichen kann.
DOMRADIO.DE: Ist das eine sichere Reise für den Papst?
Lehner: Wir waren alle überrascht, dass er jetzt auch angesichts von Corona diese erste Auslandsreise signalisiert hat. Natürlich, die Lage im Irak ist nach wie vor schwierig, wie gesagt. Nichtsdestotrotz: Der Präsident des Irak hat auch starke Unterstützung gezeigt und hat gesagt: Wir sorgen dann auch für die Sicherheit, wir wollen das gewährleisten.
Ich denke, der Papst beweist wie immer sein Gottvertrauen. Auch darauf, dass das gut gehen wird, weil ihm die Menschen einfach sehr am Herzen liegen.
Das Interview führte Verena Tröster.