Ein Tunesier erzählt seine Geschichte

Leben nach Lampedusa

Lampedusa - dort sollte auch sein neues Leben, eines in Wohlstand, beginnen. In einem kleinen Boot überquerte der Tunesier Samir Abdaoui vor zwei Jahren das offene Meer. Er schaffte es nach Lampedusa, zog weiter nach Paris. Doch Europa brachte ihm kein Glück.

Autor/in:
Clare Byrne
Der Tunesier Samir Abdaoui in Paris (dpa)
Der Tunesier Samir Abdaoui in Paris / ( dpa )

Auch für ihn war Lampedusa das Tor nach Europa. Samir Abdaoui, 30 Jahre alt, kam vor zwei Jahren auf der kleinen Mittelmeerinsel an. Mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft hatte er seine Heimat Tunesien in einem vier Meter langen Boot verlassen.

"Ich habe immer auf die Auswanderer geschaut - die großen Häuser, die sie zu Hause gebaut haben, ihre großen Autos - und dachte mir, ich will auch so leben", erzählt Abdaoui der Nachrichtenagentur dpa. "Jetzt bin ich hier und sehe die Realität: In Tunesien leben sie in Schlössern, aber hier wohnen sie im Dreck."

Hier, das ist für Abdaoui mittlerweile der Pariser Vorort Aubervilliers, bekannt für seine große Einwanderergemeinde. Seit 2011 lebt Abdaoui am Rande der französischen Hauptstadt. In seiner alten Heimat, der tunesischen Küstenstadt Hammam Sousse, hatte er als Wachmann in einem Hotel gearbeitet. Doch dann brach der Arabische Frühling aus und die Touristen blieben weg.

"Ich sagte mir: "Das war's. Es ist vorbei, wir haben alles verloren." Abdaoui wagte die Überfahrt. Die umgerechnet rund 750 Euro, die er dafür benötigte, borgte er sich von seinen Eltern.

Die beißende Kälte des Wassers ist Abdaoui in Erinnerung geblieben. Es war ein grauer Morgen im März, das Boot wartete einige hundert Meter vor der Küste auf ihn und die 74 anderen Flüchtlinge. "Wir zogen uns aus, steckten unsere Kleider in Plastiktüten, die wir uns um die Handgelenke banden und begannen, zu schwimmen."

Fünf Freunde verloren

Das Boot knarrte unter der Last seiner hoffnungsvollen Passagiere, Wasser lief hinein. Doch der Kapitän nahm die Fahrt auf. Nach einer Weile verlor er die Orientierung. Einer der Flüchtlinge forderte den Mann am Steuer auf, einem amerikanischen Flieger zu folgen, der sich gerade auf dem Rückflug von Tunesien nach Italien befand. Es gelang.

Nach 18 Stunden kamen Abdaoui und die anderen Flüchtlinge sicher in Lampedusa an. Einen Monat später war Abdaoui schon auf dem Weg nach Frankreich, mit einem befristeten Visum, das ihm italienische Behörden ausgestellt hatten. Wenige Tage nach seiner Ankunft in Paris wurde er zum ersten Mal festgenommen. Seither geschah das immer wieder. Doch eine Ausweisung konnte Abdaoui bislang umgehen.

Seine Jugendträume von einem Leben im Überfluss jenseits des Mittelmeers bewahrheiteten sich für ihn nicht. Mit Gelegenheitsjobs verdient Abdaoui im krisengeschüttelten Frankreich gerade genug, um sich das Nötigste zu leisten - und Bier. Alkohol ist eine der wenigen Freiheiten, auf die er in seiner alten Heimat verzichten musste und die er nun in Frankreich genießt.

Seine Träume sind bescheidener geworden. Abdaoui will eine feste Arbeit, etwa als Installateur. Er wünscht sich eine Familie. Ereignisse wie das Flüchtlingsdrama von Lampedusa erinnern ihn nicht nur an sein eigenes Schicksal. Auch an das vieler Freunde.

Abdaoui hat fünf Freunde verloren, die, ermutigt durch seine Flucht nach Europa, sich einen Monat später auf die Reise über das Mittelmeer begaben. Ihr Boot sank. Mit ernstem Ton sagt Abdaoui: "Ich denke ständig an sie. Ich kann nicht anders, als zu glauben, dass die Schuld bei mir liegt."